Studie mit Patienten aus Wuhan Coronavirus kann möglicherweise auch das Nervensystem schädigen

Eine Infektion mit Sars-CoV-2 kann auch zu Geschmacksverlust und Schwindel führen. Wissenschaftler sehen Neurologen künftig "an vorderster Front der Pandemie".

Eine Infektion mit dem Sars-CoV-2 kann sich nicht nur mit Fieber, Husten und Atembeschwerden äußern, sondern chinesischen Wissenschaftlern zufolge auch neurologische Symptome verursachen. Das ist das Ergebnis einer Studie mit Patienten in Wuhan, dem Epizentrum der Pandemie, von dem aus sich das Virus weltweit ausbreitete.

Wie die Mediziner im Fachblatt "JAMA Neurology"  berichten, zeigte mehr als ein Drittel der von ihnen untersuchten 214 Patienten Anzeichen dafür, dass das Virus das Nervensystem geschädigt hatte. Zu den häufigsten Symptomen gehörten Schwindel und Kopfschmerzen sowie Riech- und Geschmacksstörungen.

Schon zuvor hatten Ärzte berichtet, dass Corona-Patienten zumindest zeitweise ihren Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Diese Symptome deuteten darauf hin, dass das Gehirn beteiligt sei, sagte der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg. "Es gibt bisher aber nur ganz wenige Untersuchungen am Gehirn von Corona-Patienten. Da tappen wir noch im Dunkeln."

Schwindel, Kopfschmerzen, Geschmacksstörungen

Auch die aktuelle Studie aus Wuhan stützt sich lediglich auf die Auswertung der entsprechenden Patientenakten, Laborbefunde und radiologischen Untersuchungen für die 214 Studienteilnehmer mit einer nachgewiesenen Covid-19-Erkrankung. Wie das Team um den Neurologen Ling Mao von der Huazhong University of Science and Technology berichtet, zeigten 78 (36,4 Prozent) von ihnen neurologische Manifestationen, die sich umso schwerwiegender äußerten, je gravierender die Covid-19-Erkrankung insgesamt war.

Am häufigsten beobachteten die Mediziner Schwindel (36 Patienten, 16,8 Prozent) und Kopfschmerzen (28 Patienten, 13,1 Prozent). Zudem kam es bei zwölf Patienten (5,6 Prozent) zu Geschmacksstörungen und bei elf Patienten (5,1 Prozent) zu Störungen des Geruchssinns.

In einem unabhängigen Editorial  zur Studie teilen die Neurologen Samuel Pleasure, Ari Green und Andrew Josephson von der Universität von Kalifornien diese Manifestationen in spezifische Symptome (Verlust von Geruchs- oder Geschmackssinn, Muskelschwächen und Schlaganfälle) und unspezifische Symptome (Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, Schwindel und Krampfanfälle) ein. Gerade bei den unspezifischen Symptomen bleibe unklar, ob diese Ausdruck der Krankheit selbst seien oder Teil einer systemischen Entzündungsreaktion bei Patienten, die bereits sehr krank waren. Diese Frage müssten künftige Studien untersuchen.

Coronavirus, Covid-19, Sars-CoV-2? Was die Bezeichnungen bedeuten.

Coronavirus: Coronaviren sind eine Virusfamilie, zu der auch das derzeit weltweit grassierende Virus Sars-CoV-2 gehört. Da es anfangs keinen Namen trug, sprach man in den ersten Wochen vom "neuartigen Coronavirus".

Sars-CoV-2: Die WHO gab dem neuartigen Coronavirus den Namen "Sars-CoV-2" ("Severe Acute Respiratory Syndrome"-Coronavirus-2). Mit der Bezeichnung ist das Virus gemeint, das Symptome verursachen kann, aber nicht muss.

Covid-19: Die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit wurde "Covid-19" (Coronavirus-Disease-2019) genannt. Covid-19-Patienten sind dementsprechend Menschen, die das Virus Sars-CoV-2 in sich tragen und Symptome zeigen.

"Wichtig ist, dass die Autoren herausfanden, dass die von ihnen untersuchten Patienten mit einigen der häufigsten spezifischen Symptome einschließlich Geruchs- oder Geschmacksstörungen und Muskelerkrankungen dazu neigten, diese Symptome zu Beginn ihres klinischen Verlaufs zu haben", schreiben die drei Neurologen. Dies unterscheide sich deutlich von den neurologischen Manifestationen bei den Sars-Infektionen 2002/2003, die ebenfalls von einem Coronavirus ausgelöst wurden.

Tatsächlich ist von Sars und auch Mers - ebenfalls eine auf einen Coronavirus zurückgehende Erkrankung - bekannt, dass sie Schädigungen des Nervensystems bewirken können. Für beide Infektionen wurde experimentell belegt, dass das Virus über die Riechnerven in der Nasenhöhle ins Gehirn eintreten kann.

Im Fall von Covid-19 wird nun diskutiert, ob etwa ein Atemstillstand auch Resultat neurologischer Schäden sein könnte, beispielsweise bei einer Entzündung des Hirnstamms, in dem auch die Steuerung für das Herz-Kreislauf-System und die Atemwege sitzt. Aus neurologischer Sicht sei es wichtig abzuklären, wie viele der schweren Krankheitsverläufe durch die Mitbeteiligung des zentralen Nervensystems ausgelöst werden, sagte etwa Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Angesichts der aktuellen chinesischen Studie sehen die Mediziner Pleasure, Green und Josephson in ihrem Editorial Neurologen künftig "an vorderster Front der Pandemie". Die Autoren der Untersuchung halten es vor allem für wichtig, dass Ärzte bei Patienten mit entsprechenden neurologischen Symptomen auch eine Covid-19-Infektion in Betracht ziehen, "um eine verzögerte Diagnose oder Fehldiagnose zu vermeiden und eine weitere Übertragung zu verhindern".

bbr/dpa
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