Neue Fallberichte Man kann sich zweimal mit Corona anstecken - was daraus folgt

Um Ansteckungen zu vermeiden, herrscht unter anderem auf dem Münchner Viktualienmarkt jetzt Maskenpflicht
Foto: Sammy Minkoff / imago images/Sammy MinkoffDass eine Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 nicht dazu führt, dass man lebenslang immun gegen diesen Erreger ist, hatten Fachleute schon vermutet. Nun haben Ärzteteams fast parallel von zwei bestätigten Reinfektionen mit dem Virus berichtet, die innerhalb von zwei Monaten nach der ersten Infektion passierten.
Im Fachblatt "The Lancet Infectious Diseases" geht es um einen 25-Jährigen aus dem US-Bundesstaat Nevada. Der Mann hat laut dem Bericht keine Vorerkrankungen. Seine erste Coronavirus-Infektion wurde Mitte April diagnostiziert. Seit dem 25. März hatte er entsprechende Symptome - Halsweh, Husten, Kopfschmerz, Übelkeit und Durchfall. Es dauerte bis zum 27. April, bis er völlig genesen war. In die Klinik musste der Mann jedoch nicht. Zwei im Mai durchgeführte Corona-Tests waren negativ. Bereits am 28. Mai ging es ihm jedoch wieder schlecht, Anfang Juni musste er wegen Atemnot in eine Klinik, ein erneuter Corona-Test war positiv.
In diesem Fall konnten Forscherinnen und Forscher das Erbgut der Viren in den Proben von April und Mai analysieren und vergleichen. Es unterschied sich so deutlich, dass die beste Erklärung lautet: Der Mann hat sich erneut angesteckt.
Das Erbgut der Viren war unterschiedlich
Im Fachblatt "Clinical Infectious Diseases" schildert ein niederländisches Team den Fall einer 89-jährigen Krebspatientin, die wegen einer seltenen Form von Lymphdrüsenkrebs, dem Morbus Waldenström , in Behandlung war. Als sie erstmals an Covid-19 erkrankte, hatte die Frau lediglich Fieber und schweren Husten, sie erholte sich gut, fühlte sich allerdings länger etwas erschöpft. 59 Tage nach dem Beginn der ersten Covid-Erkrankung hatte sie erneut Fieber und Husten. Zusätzlich litt sie unter Atemnot. Sie musste ins Krankenhaus, ihr Zustand verschlechterte sich. Die Frau starb zwei Wochen später.
Auch bei ihr war das Erbgut der Viren zu unterschiedlich, um davon auszugehen, dass sie kontinuierlich infiziert war. Die Krebstherapie, die die Frau erhielt, führe nicht zwingend dazu, dass Infektionskrankheiten potenziell tödlich verlaufen würden, merkte das Ärzteteam an.
Zusätzlich zu diesen Fällen sind drei Reinfektionen bekannt, eine in Hongkong , eine in Belgien , eine in Ecuador . In einigen anderen Fällen ist nicht völlig klar, ob es sich um eine erneute Infektion handelt oder um ein Wiederaufflammen der ursprünglichen.
"Diese Einzelfälle deuten darauf hin, dass eine ausgeheilte Sars-CoV-2 Infektion nicht alle Personen vor einer Neuinfektion schützt. Präventionsmaßnahmen wie Abstand halten und Mund-Nasenschutz sollten daher auch von allen Personen mit vorangegangener Sars-CoV-2-Infektion eingehalten werden", sagt der Immunologe Marcus Altfeld vom Hamburger Heinrich-Pette-Institut dem SPIEGEL.
Reinfektionen sind selten, aber nicht ausgeschlossen
Vieles im Zusammenhang mit Reinfektionen ist aber noch unklar. Bei den beiden oben beschriebenen Fällen ist nicht bekannt, ob und in welcher Menge sie nach der ersten Infektion Antikörper gebildet haben. Diese Überprüfung ist nicht Routine bei der Nachbehandlung. Bei einem der bereits bekannten Fälle waren jedoch Antikörper nach der ersten Infektion nachgewiesen worden - und trotzdem kam es zu der erneuten Infektion.
Auch lässt sich anhand der wenigen Fälle nicht sagen, ob die zweite Coronavirus-Infektion tendenziell milder oder schwerer verläuft. Es ist wahrscheinlich, dass moderat bis schwer verlaufende Coronavirus-Infektionen eher entdeckt werden als asymptomatische, weil Betroffene eher zum Arzt gehen oder sich testen lassen. Wahrscheinlich werden also Reinfektionen, die ohne Symptome stattfinden, aktuell eher übersehen.
Der Mikrobiologe Paul Hunter von der britischen University of East Anglia, der an den Fallberichten nicht beteiligt war, geht davon aus, dass in den kommenden Monaten viele weitere Reinfektionen passieren, weil die natürliche Immunität gegen das Virus nach der Erstinfektion schwindet. "Es ist aber zu früh, um zu sagen, wie häufig diese Zweitinfektionen zu einer schweren Erkrankung führen."
Zur Beruhigung: Wären so schnell stattfindende Reinfektionen häufig und würden oft schwer verlaufen, dann wären weltweit sicher schon deutlich mehr als fünf Fälle bekannt. Doch es ist leider eine Tatsache, dass zahlreiche Viren, die Atemwegsinfekte auslösen und sich über Tröpfchen und Aerosole verbreiten, Menschen immer wieder befallen können - dazu zählen unter anderem Grippeviren, Rhinoviren und die herkömmlichen Coronaviren, die schon lange vor Sars-CoV-2 zirkulierten. Sie alle haben Techniken entwickelt, mit denen ihnen diese erneuten Infektionen gelingen. Nach welchem Zeitraum das bei Sars-CoV-2 möglich ist und auf welchem Weg, ist zwar noch unklar. Doch die ersten Fallberichte zeigen eben klar, dass diese Folgeinfektionen passieren können.
Warum eine Herdenimmunität nicht das Ziel sein kann
In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin "Science" nennen Forscher mögliche Szenarien: Würde die Immunität nach einer Sars-CoV-2-Infektion ähnlich lange anhalten wie nach einer Infektion mit einem anderen Betacoronavirus, nämlich rund 40 Wochen, könnte es nach dem Ende der Pandemie jährliche Ausbrüche geben. Würde die Immunität länger anhalten, könnte das Virus sogar scheinbar verschwinden, ehe einige Jahre später neue Ausbrüche folgen. Neben diesen Szenarien seien aber auch noch andere denkbar. Man weiß es also noch nicht so genau.
In einem Begleitartikel in "The Lancet Infectious Diseases" listet die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University (USA) weitere offene Fragen zu den Reinfektionen auf:
Zeigen die Reinfektionen, dass wir verschiedene Impfstoffe für verschiedene Varianten von Sars-CoV-2 benötigen? Ihre Antwort lautet nein. Die Unterschiede in den Erbgutanalysen der Viren zeigten zwar, dass sich die Betroffenen mit einer anderen Virusvariante angesteckt haben - und nicht dasselbe Virus die ganze Zeit im Körper war. Doch das bedeutet nicht, dass die Erreger es durch Mutationen geschafft hätten, dem Immunsystem zu entkommen, so Iwasaki. Dafür gebe es bislang keine Belege. Nach aktuellem Erkenntnisstand werde eine Impfung vor allen zirkulierenden Varianten von Sars-CoV-2 gleichermaßen schützen.
Immunologe Altfeld erklärt, dass die meisten Impfstoffe Immunantworten über andere Mechanismen auslösen als eine natürliche Infektion. "Dass sich Menschen nach einer Sars-CoV-2-Infektion erneut anstecken können, sagt deshalb nicht unbedingt etwas darüber aus, wie lange ein Impfschutz anhält oder wie effektiv die Impfung ist. Es ist daher entscheidend, die Ergebnisse zur Immunität, die bisher sehr vielversprechend erscheinen, und die zur Sicherheit der Impfstoffe abzuwarten - die wichtigen Phase-III-Studien laufen ja derzeit, und in ein paar Monaten wissen wir mehr."
In einem Punkt ist sich Iwasaki allerdings sicher: "Die Fälle von Reinfektionen zeigen uns, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass die natürlich erworbene Immunität nach einer Infektion zu Herdenimmunität führt. Diese Strategie wäre nicht nur tödlich für viele, sondern nicht effektiv." Um Herdenimmunität zu erreichen, benötige man sichere und wirksame Impfstoffe und gute Impfprogramme.