Faktencheck Schützen Vitamine vor dem Coronavirus?

Mit dem Coronavirus verbreiten sich Gerüchte und Halbwahrheiten darüber, woher der Erreger angeblich kommt, wie er sich bekämpfen lässt oder warum er in Wirklichkeit harmlos sei.
Was davon stimmt? Was ist falsch? Was sogar gefährlich? DER SPIEGEL greift weit verbreitete Thesen auf und geht ihnen auf den Grund. In dieser Folge geht es um Vitamine, die als Geheimwaffen gegen das neuartige Coronavirus Sars-CoV2 angepriesen werden.
Das sind die Thesen
Diverse Absender preisen aktuell Vitamin C, Vitamin D oder beide Vitamine zusammen als Mittel gegen Covid-19 an.
Sie werden zur Vorsorge empfohlen, nach dem Motto: Wer sich gut mit Vitaminen versorgt, wird gar nicht erst krank.
Zusätzlich wird suggeriert, dass sie im Fall einer Ansteckung einen schwereren Krankheitsverlauf verhindern, also: Wer sich ansteckt, bleibt dank Vitaminen vor einer Lungenentzündung oder Sepsis verschont.
Auch gibt es Stimmen, die sie sogar als Medikament für Schwerkranke anpreisen, also Vitamininfusionen für Patienten mit Lungenentzündung oder Sepsis als sinnvoll einordnen.
Es ist verständlich, dass diese Thesen attraktiv erscheinen. In Deutschland nehmen ohnehin viele Menschen Nahrungsergänzungsmittel ein, und zwar allen voran Vitamine. 2018 wurde mit Vitamin- und Mineralstoffpillen ein Umsatz von gut einer Milliarde Euro gemacht. Wäre doch schön, sich damit jetzt auch vor Covid-19 schützen zu können.
Ein bisschen Basiswissen
Grundsätzlich sind Vitamine unverzichtbare Substanzen für den Körper, die Menschen über die Nahrung aufnehmen müssen. Ausnahme: Vitamin D, das im Wesentlichen vom Körper selbst produziert werden kann, was allerdings nur bei ausreichend Sonnenlicht passiert.
Vitamine sind lebenswichtig. Ein schwerer Mangel geht mit Krankheiten einher, so führt etwa ein andauernder Vitamin-C-Mangel zu Skorbut, der in der frühen Seefahrt viele Todesopfer forderte.
Es ist klar, dass ein ausgeprägter Vitaminmangel ungesund ist. Weniger klar ist, ob ein etwas zu niedriger Vitaminspiegel bereits riskant ist oder nicht.
Zusätzlich lässt sich nicht der eigentlich logisch klingende Rückschluss ziehen, dass die Einnahme von Vitamintabletten sicher die Gesundheit fördert. Diverse Studien zeigen hier eher mäßige oder gar keine Erfolge, in bestimmten Fällen können Vitamintabletten bei Überdosierung sogar der Gesundheit schaden.
Die Thesen im Detail
1. Vitamine zur Vorsorge
Zu diesem Zeitpunkt kann es noch keine wissenschaftlichen Studien dazu geben, ob Vitamintabletten das Risiko einer Sars-CoV-2-Infektion senken. Dafür ist das Virus viel zu neu. Man kann deshalb nur aufgrund des Wissens zu anderen Krankheiten Vermutungen aufstellen.
In vielen Studien wurde geprüft, ob eine regelmäßige Vitamin-C-Einnahme dazu führt, dass sich Menschen seltener erkälten; Erkältungen werden meist von Viren verursacht, darunter auch Coronaviren. Vitamin-C-Tabletten schützen nach Stand der Wissenschaft nicht vor Erkältungen (siehe etwa hier , hier und hier ).
Bei Vitamin D sieht es anders aus, hier deuten einige Studien an, dass eine Vitamin-D-Einnahme die Zahl der Erkältungen senkt, insbesondere wenn Menschen zuvor einen niedrigen Vitamin-D-Spiegel hatten (siehe etwa hier und hier ). Achtung! Bevor nun sofort online die größtmögliche Packung Vitamin D gekauft wird: Zur Einnahme wird nur geraten (Quelle: DGE ), wenn tatsächlich eine Unterversorgung vorliegt, also wenn ein zu niedriger Wert nachgewiesen ist und man einen besseren Wert nicht durch Aufenthalte in der Sonne sowie die Ernährung erreichen kann.
Wer ohnehin genug Vitamin D hat, profitiert wahrscheinlich nicht von zusätzlichen Pillen. Man kann Vitamin D überdosieren und sich damit schaden. Das kann zum Beispiel zu Nierensteinen führen. Ähnliches gilt übrigens für hochdosiertes Vitamin C: Hier zeigten Beobachtungsstudien einen Zusammenhang zwischen der Einnahme und dem Auftreten von Nierensteinen - bei Männern, nicht bei Frauen (hier und hier ).
In Deutschland haben wenige Menschen einen Vitamin-D-Mangel, aber viele einen suboptimalen Wert, also einen Blutwert, der unter dem optimalen liegt, aber noch nicht in einem Bereich, der als schädlich bewertet wird.
Am ehesten unterversorgt mit Vitamin D sind Menschen, die pflegebedürftig oder chronisch krank sind und deshalb über längere Zeit zu selten in der Sonne sind, gerade bei ihnen können Vitamintabletten sinnvoll sein.
Allen anderen wird empfohlen, die körpereigene Vitaminproduktion wie folgt zu fördern: Zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche Gesicht, Hände und Arme unbedeckt und ohne Sonnenschutz der Sonne aussetzen. Für eine ausreichende Vitamin-D-Synthese reicht hierbei bereits die Hälfte der Zeit, in der sonst ungeschützt ein Sonnenbrand entstehen würde (Quelle: RKI ) - das geht also auch unter den Vorgaben der aktuellen Ausgangsbeschränkungen. Vitamin D kann gut im Körper gespeichert werden, in den Wintermonaten zehrt der Körper von den Reserven, die im Frühling und Sommer aufgefüllt werden.
2. Vitamine zum Abmildern des Krankheitsverlaufs
Während einige die Infektion mit Sars-CoV-2 gar nicht bemerken, entwickeln andere eine Lungenentzündung oder sogar eine Sepsis, ihre Atmung versagt und sie sterben an Covid-19. Einige Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf zeichnen sich bereits deutlich ab: hohes Alter, Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes, Rauchen, männliches Geschlecht. Vitaminmangel steht bisher nicht in dieser Liste.
Wie schon beschrieben, werden sicher manche Menschen aus den Risikogruppen einen niedrigen Vitamin-D-Spiegel oder sogar einen Mangel haben. Das heißt dann aber noch lange nicht, dass sie wegen ihres Vitamin-D-Werts schwerer erkranken.
So haben etwa Wissenschaftler in Iran bei knapp 800 Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten, den Vitamin-D-Spiegel gemessen und ermittelt, welche Patienten eine Sepsis entwickelten und starben. Auf den ersten Blick scheinen die Daten ein klares Bild zu liefern: Vitamin-D-Mangel ging mit einem höheren Risiko für Sepsis und Tod einher. Doch die Forscher stellen selbst klar, dass der Vitamin-Mangel hier nicht der Auslöser ist, sondern ein Begleitsymptom der vorangehenden schweren chronischen Krankheiten der Betroffenen und hier als Hilfe dient, um zu ermitteln, wie es insgesamt um die Patienten steht.
Eine Studie aus der Türkei kam zu einem ähnlichen Ergebnis, auch hier schlossen die Forscher, dass Vitamin-D-Mangel für sich keinen Risikofaktor darstellt.
Santiago Ewig, Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Infektiologie, Thoraxzentrum Ruhrgebiet
Santiago Ewig vom Thoraxzentrum Ruhrgebiet hat die medizinische Leitlinie für die Vorbeugung und Behandlung von Lungenentzündungen bei Erwachsenen mit verfasst. Er schreibt auf Anfrage des SPIEGEL, mittlerweile hätten sich die Hinweise darauf verdichtet, dass ein Vitamin D-Mangel ein Risikofaktor sein könnte, außerhalb des Krankenhauses an einer Lungenentzündung zu erkranken. Er stellt aber gleich klar: "Andererseits steht der Nachweis aus, dass die Gabe von Vitamin D das Pneumonie-Risiko senkt beziehungsweise einen therapeutisch günstigen Effekt hat." Die Beweiskette sei "nicht annähernd geschlossen", weder generell für außerhalb von Krankenhäusern entstandene Lungenentzündungen, "geschweige denn für die Covid-19-Pneumonie".
Dass die Vitamingabe nicht zwingend hilft, deutet auch eine Studie an, in der rund 34.000 an Lungenentzündung Erkrankte mit rund 105.000 ähnlichen Patienten ohne Lungenentzündung verglichen wurden. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Menschen, die Vitamin D eingenommen hatten, kein kleineres Risiko hatten, die Krankheit zu entwickeln.
3. Vitamine für Schwerkranke
Lungenentzündungen sind oft ein medizinischer Notfall. Eine Sepsis ist dies immer. Die Vorstellung, diese lebensbedrohlichen Krankheiten einfach mit einer Vitamin-Spritze zu heilen, ist buchstäblich zu schön, um wahr zu sein.
Wenn überhaupt, geht es nur darum, ob Vitamine zusätzlich zu den vielen anderen medizinischen Maßnahmen sinnvoll sein könnten.
Zumindest in einer Studie in Neuseeland hatte die Gabe von Vitamin D bei Patienten mit einer Lungenentzündung keinen Erfolg. Auch Kindern mit einer Lungenentzündung half das Vitamin laut einer Übersichtsarbeit nicht, die die Ergebnisse mehrerer Studien zusammenfasst.
Was Vitamin C betrifft: Die Cochrane Collaboration, die industrie-unabhängig medizinische Studien auswertet und zusammenfasst, veröffentlichte 2013 eine Übersichtsarbeit zum möglichen Einsatz des Vitamins gegen Lungenentzündungen. Mit dem Schluss, dass die bis dahin durchgeführten Studien zu speziell waren, um eine allgemeine Empfehlung auszusprechen. Aber die Autoren hielten es für sinnvoll, Patienten mit einer Lungenentzündung und nachgewiesener Vitamin-C-Unterversorgung die Substanz zu verabreichen, auch weil die Risiken überschaubar sind.
Seit 2017 eine Studie erschien, laut der die kombinierte Gabe von Vitamin C, Hydrokortison und Vitamin B1 (Thiamin) die Überlebensrate von Patienten mit einer Sepsis verbesserte, gibt es einige Forschungen in dieser Richtung, weitere Studien laufen.
Beides heißt jedoch noch nicht, dass Vitamin C schwerkranken Covid-19-Patienten hilft. Vielleicht gibt es hier aber bald eine etwas klarere Antwort: In China haben Ärzte im Rahmen einer Studie Covid-19-Patienten, die eine Pneumonie hatten, Vitamin C beziehungsweise ein Placebo verabreicht.
Wer nun denkt, eine Vitaminspritze könne auf keinen Fall schaden und müsse schon deshalb gegeben werden: Aktuell wird zum Beispiel abgeraten , Sepsis-Patienten den Eiweißbaustein Glutamin zu geben, obwohl der Glutamin-Wert im Blut oft viel zu niedrig ist. Studien haben gezeigt, dass die Gabe den Zustand der Patienten nicht verbessert, es gibt sogar Hinweise, dass sie schadet .
Fazit
Wer aktuell behauptet, dass Vitamine garantiert gegen Covid-19 helfen, übertreibt: Das kann zurzeit nämlich niemand wissen. Auch wenn Vitamine grundsätzlich lebenswichtige Substanzen sind und ein Mangel schadet, fördert die Einnahme von Vitaminpräparaten nicht unbedingt die Gesundheit. Zurzeit bleibt der beste Schutz vor dem neuartigen Coronavirus deshalb: sich an das Kontaktverbot halten.