Virologen über Covid-19-Medikamente "Unsere Untersuchungen mit menschlichen Lungenzellen sind vielversprechend"

Die Göttinger Forscher Stefan Pöhlmann und Markus Hoffmann suchen nach einem Mittel gegen das Coronavirus. Im Interview erzählen sie, wie sie vorgehen und ob sie Millionäre werden, wenn sie Erfolg haben.
Ein Interview von Julia Köppe
Markus Hoffmann, Hannah Kleine-Weber und Stefan Pöhlmann vom Primatenzentrum in Göttingen forschen an einem Medikament zur Behandlung von Covid-19

Markus Hoffmann, Hannah Kleine-Weber und Stefan Pöhlmann vom Primatenzentrum in Göttingen forschen an einem Medikament zur Behandlung von Covid-19

Foto: Karin Tilch

Weltweit suchen Forscherinnen und Forscher nach Medikamenten zur Behandlung von Covid-19, der Lungenkrankheit, die das neuartige Coronavirus auslöst. Dabei ist über den Erreger noch nicht viel bekannt. Die Situation sei in etwa so, als wolle man ein Flugzeug in der Luft reparieren, obwohl man noch dabei ist, den Bauplan der Maschine zu zeichnen, schreibt der Chemiker und "Science"-Chefredakteur Holden Thorp in der aktuellen Ausgabe  des renommierten Fachblatts.

Laut einer aktuellen Analyse  kommen fast 70 Wirkstoffe infrage, die die Ausbreitung des Virus im menschlichen Körper hemmen könnten. Viele der Mittel werden bereits bei anderen Krankheiten wie Bluthochdruck, Malaria oder Krebs eingesetzt. Ob sie aber auch tatsächlich gegen Covid-19 wirken, müssen erst klinische Studien zeigen (mehr dazu lesen Sie hier). 

Thorp warnt deshalb davor, überzogene Erwartungen zu wecken, die nicht eingehalten werden können. Als große Hoffnungsträger galten beispielsweise die Wirkstoffe Lopinavir and Ritonavir, die auch bei HIV eingesetzt werden. In einer ersten klinischen Studie  mit schwer an Covid-19 Erkrankten brachten die Mittel jedoch keinen Vorteil. Das ist kein Beweis, dass sie sich per se nicht als mögliche Medikamente eignen. Vielleicht würden sie in einem früheren Stadium der Krankheit besser wirken. Das Beispiel zeigt jedoch, wie komplex die Suche nach geeigneten Medikamenten ist.

In Deutschland forschen unter anderem die Virologen Stefan Pöhlmann und Markus Hoffmann an einem möglichen Wirkstoff zur Behandlung von Covid-19. Im Gespräch mit dem SPIEGEL erklären sie, wie man an die Suche herangeht und warum sie Hoffnungen in ein Bauchspeicheldrüsen-Medikament setzen.

Zur Person
Foto: Margit Hampe/ Deutsches Primatenzentrum

Stefan Pöhlmann ist Professor für Infektionsbiologie am Deutschen Primatenzentrum Göttingen.

SPIEGEL: US-Präsident Donald Trump glaubt, ein Mittel gegen Covid-19 sei längst gefunden. Ein Cocktail aus einem Malaria-Medikament und einem Antibiotikum solle "sofort" eingesetzt werden. Zu Recht?

Hoffmann: Weltweit werden Dutzende Medikamente getestet, die wirksam gegen Covid-19 sein könnten. Ob die von Trump erwähnte Kombination tatsächlich den Durchbruch bringt, wissen wir noch nicht. Dazu müssen wir erst die Ergebnisse klinischer Studien abwarten. Der Wirkstoff Chloroquin, der in Malaria-Medikamenten verwendet wird, birgt zudem Risiken. So kann es bei falscher Dosierung zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen.

Zur Person
Foto: Karin Tilch/ Deutsches Primatenzentrum

Dr. Markus Hoffmann ist ebenfalls Infektionsbiologe am Deutschen Primatenzentrum Göttingen. Die Abteilung Infektionsbiologie des Primatenzentrums untersucht seit Jahren, wie Viren in Körperzellen eindringen und Krankheiten verursachen. Vor der aktuellen Pandemie erforschten die Wissenschaftler das eng verwandte Mers-Coronavirus.

SPIEGEL: Warum wird überhaupt mit bekannten Medikamenten experimentiert, wenn es doch ein neuartiges Virus ist?

Pöhlmann: Bereits zugelassene Medikamente haben den Vorteil, dass sie schneller in klinischen Studien getestet werden können, weil sie bereits den Nachweis erbracht haben, dass sie gut verträglich für Menschen sind. Neue Mittel müssten diesen erst erbringen. Das kostet Zeit.

"Auch wenn das Virus bisher unbekannt war, müssen wir in der Forschung nicht bei null anfangen"

SPIEGEL: Auch Sie selbst suchen nach einem Mittel gegen Covid-19. Wie gehen sie vor?

Hoffmann: Auch wenn das Virus bisher unbekannt war, müssen wir in der Forschung nicht bei null anfangen, sondern können unser Wissen über eng verwandte Erreger nutzen. Im Rahmen unserer Arbeiten am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen erforschen wir seit Längerem das Mers-Coronavirus, das beim Menschen ebenfalls eine schwere Erkrankung verursachen kann. Also nutzen wir unsere Forschungsergebnisse und unsere Ressourcen, um herauszufinden, ob sich das neue Coronavirus ähnlich verhält.

SPIEGEL: Und?

Pöhlmann: Damit es aktiv wird, braucht das neuartige Coronavirus genau wie das Mers-Coronavirus das Enzym TMPRSS2, das beim Menschen in den Atemwegen gebildet wird. In Japan ist ein Wirkstoff namens Camostat Mesilat auf dem Markt, der bei Entzündungen der Bauchspeicheldrüse eingesetzt wird. Er hemmt eine ganze Reihe von Enzymen und soll dadurch Schmerzen lindern. Aus vorherigen Studien wissen wir, dass dieser Wirkstoff auch das Enzym TMPRSS2 hemmt, obwohl er nicht gezielt dafür entwickelt wurde.

DER SPIEGEL

SPIEGEL: Wie zuversichtlich sind Sie, dass das Medikament auch zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden kann?

Pöhlmann: Unsere Untersuchungen mit menschlichen Lungenzellen sind vielversprechend. Camostat Mesilat hinderte das Coronavirus daran, in die Zellen einzudringen. Das ist entscheidend, denn es kann sich nur dort vermehren.

SPIEGEL: Sollte Donald Trump dann besser empfehlen, dieses Medikament sofort einzusetzen?

Hoffmann: Wir haben zwar Grund zur Annahme, dass Camostat Mesilat das neue Coronavirus im Menschen hemmen kann. Wir wissen aber noch nicht, ob der Wirkstoff auch in ausreichender Menge in der Lunge ankommt, wenn Patienten ihn in Form von Tabletten einnehmen. Das wäre aber entscheidend, denn Covid-19 betrifft vor allem die Lunge.

Pöhlmann: An der Berliner Charité soll zeitnah eine Studie anlaufen, bei der Covid-19-Patienten mit Camostat Mesilat behandelt werden. Zeitgleich planen wir eine Untersuchung mit Primaten, die zeigen soll, ob der Wirkstoff womöglich direkt in die Lunge injiziert werden kann, damit er das Virus besser hemmt. Für diesen Einsatz ist er für den Menschen bisher nicht zugelassen, deshalb sind solche Tierversuche nötig. Wir sind zuversichtlich, dass wir in den kommenden sechs Monaten erste Ergebnisse dazu haben.

SPIEGEL: Es kursieren Verschwörungstheorien, Forscher hätten das Virus absichtlich in Umlauf gebracht, um an einem Medikament zu verdienen. Werden Sie Millionäre, wenn sich herausstellt, dass Camostat auch gegen Covid-19 wirkt?

Beide lachen.

Hoffmann: Für uns ist da finanziell nichts zu holen. Das Medikament ist bereits auf dem Markt. Die Lizenzen liegen bei den jeweiligen Pharmaherstellern, mit denen wir nichts zu tun haben.

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