Auslastung der Corona-Intensivstationen Die letzten freien Betten

Intensivstation in Rostock: Wie voll es wird, lässt sich abschätzen
Foto: Bernd Wüstneck / dpaPrognosemodell: Intensivmediziner fordern Lockdown bis Anfang April (25. Februar 2021)
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3000 Betten belegt: Intensivstationen starten »auf sehr hohem Niveau« in die dritte Welle (22. März 2021)
Die Intensivmediziner in Deutschland warnen und warnen und warnen – und finden derzeit in der Politik oft kein Gehör. Am Donnerstag wurde Christian Karagiannidis, Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), noch einmal deutlicher.
Die Intensivstationen in Deutschland könnten in vier Wochen überfüllt sein, warnte er in der »Rheinischen Post« und verwies darauf, dass es nicht darum gehe, Schreckensbilder zu malen. Stattdessen seien die Warnungen von Zahlen gedeckt. Tatsächlich wird es immer voller auf den Intensivstationen in Deutschland – eine Trendwende ist nicht zu erkennen.
Rund 3700 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen
Mehr als 3700 Menschen werden laut Divi-Register derzeit auf Intensivstationen in deutschen Kliniken mit Covid-19 behandelt (siehe Grafik unten), gut die Hälfte davon wird invasiv beatmet. Das ist noch keine kritische Menge, allerdings steigen die Zahlen seit den Öffnungen Anfang März unaufhaltsam.
Allein in dem Monat sind ungefähr tausend Covid-19-Patientinnen und Patienten hinzugekommen. Setze sich der Trend fort, werde in weniger als vier Wochen die Kapazitätsgrenze erreicht, erklärte Karagiannidis.
Laut der Rechnung dürften ohne deutliche Gegenmaßnahmen bis Anfang Mai ungefähr 4700 Intensivbetten mit Covid-19-Kranken belegt sein. Mitte Dezember hatten Bund und Länder ungefähr bei dieser Auslastung einen weiteren harten Lockdown verhängt.
Nach dem Shutdown dauerte es allerdings noch mal zweieinhalb Wochen, bis die Zahl der mit Covid-19-Kranken gefüllten Intensivbetten wieder sank. In der Spitze lagen Anfang Januar 5762 Menschen mit der Erkrankung auf einer Intensivstation.
Das Problem: Die Intensivstationen füllen sich mit einiger Verzögerung zu den Infektionszahlen. Bis die Menschen, die sich heute mit Sars-CoV-2 anstecken, so schwer erkranken, dass sie gegebenenfalls intensivmedizinisch behandelt werden müssen, dauert es zwei bis drei Wochen. Wie voll es dann wird, lässt sich allerdings abschätzen.
5000 Covid-19-Intensivpatienten Anfang Mai
Detaillierte Prognosen der DIVI von Mitte März 2021 zeigen, dass die Entwicklung derzeit in eine ähnliche Richtung gehen könnte wie im Dezember. Bis Anfang Mai dürfte die Belastung der Stationen demnach auf etwa 5000 Covid-19-Patientinnen und Patienten ansteigen – falls es im deutschlandweiten Mittel erst bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern gelingt, die Virusausbreitung zurückzudrängen, und die höhere UV-Strahlung im Frühjahr das Virus etwas bremst.
Hätten Bundesländer und Landkreise, wie eigentlich vereinbart, bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 konsequent gegengesteuert, hätte die Auslastung laut der Modellierung dagegen bei etwa 3000 Covid-19-Intensivpatienten gestoppt werden können.
Derzeit liegt die deutschlandweite Sieben-Tage-Inzidenz bei 134,2 Infektionen pro Tag – Tendenz steigend. Die Bundesländer tun sich seit Monaten schwer mit konsequenten Maßnahmen gegen das Virus. Das Ergebnis ist ein ständiger Wechsel zwischen harten Shutdownmaßnahmen und frühzeitigen Lockerungen, die schließlich in einen erneuten Shutdown münden – mit den bekannten Konsequenzen für Unternehmen und das Privatleben.
Erschwerend hinzu kommt, dass sich seit Dezember 2020 die deutlich ansteckendere und wohl auch tödlichere Mutante B.1.17 ausbreitet. Inzwischen verursacht sie fast 90 Prozent der Infektionen in Deutschland und trägt damit auch maßgeblich zum Anstieg der Patientenzahlen auf den Intensivstationen bei.
Dass sich durch das Fortschreiten der Impfungen inzwischen zu einem immer größeren Anteil jüngere Menschen infizieren (mehr dazu lesen Sie hier), hilft da nur eingeschränkt. Zwar erkrankt ein geringerer Anteil der unter 60-jährigen Infizierten schwer an Covid-19. Steckt sich diese Gruppe im unkontrollierten Pandemiegeschehen aber dennoch in großer Zahl an, ergibt sich weiterhin eine hohe Zahl Schwerkranker.
Hinzu kommt: Die jüngeren Altersgruppen sterben zwar nicht so häufig an Covid-19, liegen dadurch mitunter aber länger auf den Stationen, was ebenfalls Kapazitäten bindet.
Operationen absagen, Patienten vertrösten
Die befürchteten 5000 Covid-19-Patientinnen und -Patienten im Mai könnten deutsche Intensivstationen zwar versorgen – im Januar gab es schließlich noch deutlich mehr volle Betten. Die Frage ist aber, zu welchem Preis. Denn je mehr Covid-19-Patienten intensiv behandelt werden, umso stärker müssen andere Bereiche eingeschränkt werden.
Grund sind auch personelle Engpässe. Das medizinische Personal ist nach über einem Jahr Pandemie bereits stark belastet. Covid-19-Intensivpatienten brauchen eine engmaschige Betreuung, weil sich ihr Zustand sehr plötzlich verschlechtern kann. »Das ist keine fachliche Überforderung, sie ist physisch und psychisch«, warnten Divi-Mediziner bereits im März. »Wenn wir jetzt nichts tun und die Pflegekräfte gehen, dann bekommen wir ein existenzielles Problem in der Intensivmedizin!«, erklärte Divi-Mitglied Felix Walcher am Mittwoch
Von den in Deutschland insgesamt verfügbaren 26.807 Intensivbetten sind aktuell 84 Prozent belegt (siehe Grafik unten). 4167 Betten sind frei. Zusätzlich gibt es eine Notfallreserve von rund 11.000 Betten, die innerhalb einer Woche einsatzbereit wäre. Die Kapazitäten werden allerdings nicht nur für Menschen benötigt, die an Covid-19 erkranken, sondern für alle Personen, die intensivmedizinische Hilfe brauchen.
Patientinnen und Patienten mit Herzinfarkten und Schlaganfällen müssen versorgt werden, ebenso wie Personen nach schweren Operationen oder Unfällen, und es braucht immer etwas Puffer für unerwartete Ereignisse. Mehr als zwei Drittel der Betten sind derzeit mit Menschen gefüllt, die unabhängig von der Pandemie medizinische Hilfe benötigen – fast 19.000 Stück.
Nimmt die Zahl der schwer Covid-19-Kranken zu, bedeutet das vor allem, dass andere Patientinnen und Patienten das Nachsehen haben – soweit es irgendwie vertretbar ist. Im vergangenen Jahr wurden so zahlreiche planbare Operationen verschoben, unter anderem Krebspatienten mussten teils auf Eingriffe warten, um Kapazitäten für schwer kranke Sars-CoV-22-Infizierte zu schaffen.
Bessere Daten zu Covid-19-Patienten in Krankenhäusern
Eigentlich hatten Fachleute gehofft, dass es möglich sein würde, den Rückstau bei den Operationen allmählich abzubauen. Doch das fällt schwer, solange aufgrund der weiter steigenden Infektionszahlen keine Trendwende in Sicht ist.
Um noch stärker zu verdeutlichen, was die Pandemie für die Krankenhäuser bedeutet, hat die Universitätsklinik Bonn nun gemeinsam mit 34 weiteren Universitätskliniken eine Übersichtsseite entwickelt, über die sich in Echtzeit die Gesamtzahl der Covid-19-Patientinnen und -Patienten in den Kliniken erfassen lassen soll – auch ambulant und auf Normalstation behandelte Fälle fließen hier ein.
Bislang werden lediglich Informationen von den Universitätskliniken Aachen, Berlin, Bonn, Erlangen, Halle (Saale), Jena, Leipzig, Ulm und München erfasst. Die Angaben zeigen jedoch: Die meisten der bislang in den genannten Krankenhäusern insgesamt gut 22.600 behandelten Covid-19-Erkrankten waren jünger als 60.
Stationär behandelt wurden allerdings vor allem Menschen zwischen 50 und 90 Jahren. Vor allem am unteren Ende dieser Spanne dürften die Zahlen in den kommenden Wochen weiter steigen und damit auch die der Warnungen aus den Krankenhäusern, wenn es nicht gelingt, die Virusausbreitung einzudämmen.