Kurz erklärt Was ist der R-Wert?

Reproduktionszahl, R-Wert oder einfach nur R: Diese Größe spielt in der Corona-Pandemie eine bedeutende Rolle. Was sagt sie aus?
Voller Strand auf Usedom: In Deutschland scheint Corona fast vergessen - doch die Zahlen steigen wieder

Voller Strand auf Usedom: In Deutschland scheint Corona fast vergessen - doch die Zahlen steigen wieder

Foto: Ronald Krumbholz/ Leo/ imago images

Die Bundeskanzlerin sprach von ihr, der Gesundheitsminister sprach von ihr, und immer wieder las der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sie in seinen Pressebriefings vor: die Reproduktionszahl, kurz R. Mal lag R deutlich über 1, mal leicht darunter, in den vergangenen Wochen pendelte sich die Zahl um 1 herum ein. Doch was bedeutet R, und warum ist sie für die Pandemieentwicklung so wichtig?

R gilt als eine der wichtigsten Maßzahlen zur Steuerung der Corona-Maßnahmen. Der Wert gibt an, wie viele Menschen eine infizierte Person durchschnittlich ansteckt. Liegt die Ansteckungsrate über 1, breitet sich die Krankheit exponentiell aus, liegt sie darunter, geht die Anzahl der Neuinfektionen zurück.

Die Reproduktionszahl wird dabei unter anderem von Maßnahmen wie Abstandhalten, der Immunität in der Bevölkerung oder der Übertragungsfähigkeit eines Virus beeinflusst. Sie ist also keine Eigenschaft des Erregers, sondern hängt von verschiedenen äußeren Faktoren ab.

Tönnies-Ausbruch trieb R stark nach oben

Wenn es in Deutschland gar keine Maßnahmen geben würde und sich das Virus ungehemmt verbreiten könnte, läge die Ansteckungsrate von Covid-19 zwischen 2,4 bis 3,3 : Ein Erkrankter würde also mehr als zwei bis drei weitere Menschen anstecken, diese wiederum jeweils drei weitere und so weiter - die Zahl der Erkrankten würde exponentiell wachsen.

Eine ungehemmte Ansteckungsrate wird Basisreproduktionszahl (R0) genannt. Zum Vergleich: Das Masernvirus, das als eines der ansteckendsten Erreger gilt, hat einen Basisreproduktionswert von 12-18. Ein Masernkranker steckt also im Schnitt 12 bis 18 weitere Personen an. Bei der Grippe beträgt die Reproduktionszahl 2-3.

Wie ansteckend ist Covid-19 im Vergleich?

Krankheit

R0*

Masern

12-18

Pocken

5-7

Polio

5-7

Mumps

4-7

HIV/Aids

2-5

Influenza

2-3

Sars-CoV-2

2,4-3,3 (laut aktuellen Schätzungen des RKI)

Ebola

1,5-2,5

*Die Basisreproduktionszahl R0 gibt an, wie viele Menschen eine erkrankte Person durchschnittlich infiziert, wenn in der Bevölkerung keine Immunität gegen den Erreger vorhanden ist.

Quelle: Weltgesundheitsorganisation WHO, Stand: 23. Januar 2019; Robert Koch-Institut RKI, Stand: 16. April 2020

Als R im Juni auf 2,88 anstieg, wurden viele nervös, aus Angst vor der befürchteten zweiten Welle. Doch die hohe Reproduktionszahl ging auf den Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies zurück und sank kurz darauf wieder.

Um zu verstehen, warum R teilweise so stark schwankt, muss man wissen, wie die Zahl berechnet wird: Das RKI schätzt die aktuelle Pandemieentwicklung in einem komplizierten Verfahren  namens "Nowcasting". Um die Reproduktionszahl zu berechnen, verwendet das Institut die Zahl der Neuinfektionen und setzt diese miteinander ins Verhältnis (lesen Sie hier mehr dazu, welche Daten der SPIEGEL in der Coronakrise nutzt). Als die Gesamtzahl der Neuinfektionen in Deutschland beim Tönnies-Ausbruch also anstieg, stieg auch R - obwohl der Ausbruch lokal begrenzt war.

Um starke Schwankungen etwas auszugleichen, gibt das RKI in seinem täglichen Lagebericht  inzwischen zwei R-Werte an: den 4-Tage-Wert und den 7-Tage-Wert. Der 4-Tage-R-Wert reagiert empfindlich auf kurzfristige Änderungen der Fallzahlen - etwa durch lokale Ausbruchsgeschehen. Der 7-Tage-R-Wert gleicht solche Schwankungen stärker aus, da er das Infektionsgeschehen vor etwa einer bis etwas mehr als zwei Wochen abbildet.

Der 7-Tage-Wert liegt seit Mitte Juli etwas über 1, ist also leicht gestiegen. Dem RKI zufolge  hängt das zum einen mit einer größeren Anzahl kleiner Ausbrüche, aber auch mit den bundesweiten Fallzahlen zusammen, die seit den Lockerungen der Maßnahmen wieder gestiegen sind.

Das Institut schaut sich bei der Beurteilung der Lage aber nicht nur den R-Wert an, denn dieser ist aufgrund der vielen Einflussfaktoren allein nicht aussagekräftig genug. Wichtig sind auch die Zahl der Neuinfektionen im Tagesvergleich, die Zahl positiv ausgefallener Tests sowie die Be- und Auslastung des Gesundheitswesens. Auch die Inzidenz, also die Zahl der Fälle pro 100.000 Einwohner, ist eine wichtige Größe für die Epidemiologen.

In den vergangenen sieben Tagen sei die Covid-19-Inzidenz in vielen Bundesländern angestiegen, schreibt das RKI in seinem aktuellen Lagebericht vom 3. August . Vor allem in Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen liegt die 7-Tages-Inzidenz demnach deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Dieser Trend sei beunruhigend.

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