Berichte über Mehrfachinfektionen Was wir über die Immunität bei Covid-19 wissen

Kann ich mich mehrmals mit dem Coronavirus infizieren? Berichte aus China und Südkorea lassen auf den ersten Blick an einer Langzeit-Immunität zweifeln. Doch die Meldungen vermitteln ein falsches Bild.
Coronaviren und Antikörper (Simulation)

Coronaviren und Antikörper (Simulation)

Foto: 4X-image/ Getty Images

Es ist eine Zeit voller Unsicherheiten: Wie lange dauert der Ausnahmezustand an? Werde ich mich selbst irgendwann mit dem Coronavirus infizieren? Kann ich mich danach frei bewegen? Auf all diese Fragen gibt es derzeit noch keine Antworten. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Pandemie erst zum Stillstand kommt, wenn ein Impfstoff entwickelt ist - oder wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung nach überstandener Infektion immun gegen das Virus sind.

Dass rund zwei Drittel der Bevölkerung die Krankheit überstanden haben, könnte nicht nur mehrere Jahre dauern, es ist nach aktuellem Kenntnisstand auch noch offen, ob und wie lange ein Mensch nach einer Covid-19-Infektion überhaupt immun ist. Da im Blut von Patienten, die wieder genesen sind, Antikörper gegen Sars-CoV-2 gefunden wurden, ist es wahrscheinlich, dass man zumindest für eine Zeit lang immun gegen das Virus ist.

Die Testverfahren für Sars-CoV-2

PCR-Test

Mit einem PCR-Test (Polymerase Kettenreaktion) kann eine aktive Infektion nachgewiesen werden: Ein positiver Test sagt also aus, dass ein Patient gerade mit Sars-CoV-2 infiziert ist. Zum Nachweis des Virus werden mit einem Abstrichtupfer respiratorische Sekrete aus der Nasen- und Rachenschleimhaut entnommen, wo das Virus repliziert. Im Labor wird ein DNA-Strang vervielfältigt, um das Erbgut des Virus - falls es vorhanden ist - nachweisen zu können.

Ein negativer PCR-Test kann eine Infektion jedoch nicht vollständig ausschließen, denn verschiedene Einflussfaktoren können das Testergebnis beeinflussen: etwa eine schlechte Probenqualität, ein ungünstiger Zeitpunkt der Probenentnahme oder ein unsachgemäßer Transport.

Antikörpertest

Im Gegensatz zum PCR-Test können Antikörpertests nicht nachweisen, ob eine Person gerade das Coronavirus hat. Sie können erst nach frühestens einer Woche testen, ob ein Mensch bereits Antikörper gegen Sars-CoV-2 gebildet hat. Dieses Testverfahren kommt also erst zum Einsatz, wenn ein Patient die Erkrankung bereits überwunden hat.

Im Labor wird dazu das Blutserum eines Patienten auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 getestet. Sind Antikörper vorhanden, ist davon auszugehen, dass der Patient das Virus hatte - selbst wenn dieser keine Symptome verspürt hat.

Die Qualität der Antikörpertests ist nicht perfekt. Im Optimalfall muss ein weiterer Test durchgeführt werden, um das Ergebnis zu validieren.

Fallberichten aus China und Südkorea zufolge wurde das Virus Sars-CoV-2 jedoch offenbar vereinzelt bei Personen mehrere Tage oder Wochen nach der überstandenen Erkrankung erneut nachgewiesen. Haben sich die Patienten also noch einmal angesteckt? Sollte dem so sein, könnte das die bisherige Strategie der Bundesregierung gehörig durcheinander wirbeln. Denn momentan gehen Politik und Robert Koch-Institut (RKI) davon aus, dass die Genesenen sich nicht unmittelbar wieder mit dem Virus anstecken können und dadurch auch keine Gefahr mehr für andere sind.

Neue Phase der Pandemie

Der Bericht einer Reporterin der Nachrichtenagentur Reuters sorgte in dieser Woche daher für Beunruhigung: In der chinesischen Stadt Wuhan, wo das Virus im Dezember als Erstes ausgebrochen war, häuften sich demnach Fälle, in denen Covid-19-Patienten nach überstandener Erkrankung erneut positiv auf das Virus getestet wurden. Die Reporterin gibt an, mit Ärzten in Wuhan gesprochen zu haben, die ihr erzählt hätten, dass diese Patienten keine Krankheitssymptome mehr zeigten und zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Therapie negativ getestet worden waren. In manchen Fällen seien die Tests dann jedoch mehrere Wochen nach der vermeintlichen Genesung wieder positiv gewesen - in manchen Fällen sogar nach bis zu 70 Tagen.

Da die Ärzte nicht wüssten, ob von den Betroffenen noch ein Ansteckungsrisiko ausgehe, würden diese Ex-Patienten weiter unter Quarantäne gehalten. Sie hätten dieses Phänomen als größte Herausforderung in der neuen Phase des Kampfes gegen die Pandemie bezeichnet. So berichtet es die Reuters-Reporterin, deren Angaben nicht überprüft werden können, da sie sich auf Gespräche vor Ort beziehen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Berichte dieser Art für Verwirrung sorgen: Anfang April erschien eine Studie im Fachblatt "Clinical Infectious Diseases" , in der Forscher aus Shenzen beschreiben, dass 14,5 Prozent der untersuchten Covid-19-Patienten erneut positive PCR-Tests hatten, nachdem sie zunächst negativ getestet worden waren. Mit PCR-Tests können aktive Infektionen nachgewiesen werden.

Die Studie bezieht sich auf insgesamt 172 Patienten, die zwischen Januar und Februar aus dem Krankenhaus in Shenzen entlassen wurden, nachdem sie die dafür relevanten Kriterien erfüllt hatten: Fieberfrei seit mehr als drei Tagen, symptomfrei, unbedenkliche Lungenscans und mindestens zwei negative PCR-Tests, die mit einem zeitlichen Abstand von 24 Stunden durchgeführt wurden. Auch in Deutschland gilt ein Patient nach diesen Kriterien als genesen . Nach ihrer Entlassung wurde bei den Patienten alle drei Tage ein PCR-Test durchgeführt. Unter den 172 entlassenen Patienten seien 25 nach einigen Tagen erneut positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden.

Coronavirus, Covid-19, Sars-CoV-2? Was die Bezeichnungen bedeuten.

Coronavirus: Coronaviren sind eine Virusfamilie, zu der auch das derzeit weltweit grassierende Virus Sars-CoV-2 gehört. Da es anfangs keinen Namen trug, sprach man in den ersten Wochen vom "neuartigen Coronavirus".

Sars-CoV-2: Die WHO gab dem neuartigen Coronavirus den Namen "Sars-CoV-2" ("Severe Acute Respiratory Syndrome"-Coronavirus-2). Mit der Bezeichnung ist das Virus gemeint, das Symptome verursachen kann, aber nicht muss.

Covid-19: Die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit wurde "Covid-19" (Coronavirus-Disease-2019) genannt. Covid-19-Patienten sind dementsprechend Menschen, die das Virus Sars-CoV-2 in sich tragen und Symptome zeigen.

In einer weiteren Studie, die Ende März im "Journal of Infection" erschien , untersuchten Wissenschaftler 55 Covid-19-Patienten aus Wuhan. Bei fünf von ihnen sei nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erneut das Virus im Rachenabstrich gefunden worden, obwohl die PCR-Tests davor negativ ausgefallen waren. Einer von ihnen wurde sogar erst nach 17 Tagen erneut positiv auf das Virus getestet. Unklar bleibt in dieser Studie, ob die PCR-Tests nach Entlassung der Patienten in regelmäßigen Zeitabständen durchgeführt wurden.

Ähnliche Berichte  hatte es von chinesischen Forschern bereits im Februar in der Fachzeitschrift "Jama" gegeben. Auch in Japan wurden solche Fälle bekannt. Südkorea hatte zuletzt von 163 Fällen berichtet , die sich zuerst von Covid-19 erholt hatten und danach erneut positiv getestet wurden.

Kann man sich mehrfach infizieren?

Doch was bedeuten diese Erkenntnisse? Haben sich die Patienten etwa ein zweites Mal angesteckt, wie es die Überschriften mancher Medienberichte einen glauben machen wollen? Die Wissenschaftler der erstgenannten Studie schlussfolgern, dass die Patienten bei ihrer Entlassung wohl noch nicht virusfrei waren und zwei negative PCR-Tests innerhalb von 24 Stunden als Entlassungskriterien nicht ausreichen könnten. Weiterhin geht aus den Studienergebnissen hervor, dass diese Patienten keine weiteren Menschen angesteckt haben. Das könnte darauf hindeuten, dass das ausgeschiedene Virus nicht mehr infektiös war.

Anders als in vielen Medien dargestellt, suggeriert keine der genannten Studien, dass die Patienten sich ein zweites Mal infiziert haben könnten. Vielmehr schließen die Wissenschaftler aus den Studienergebnissen, dass das Virus in Einzelfällen offenbar reaktiviert werden könnte - ähnlich wie Herpesviren, die im Körper in einer Art Stand-by-Zustand schlummern und in Abständen ausbrechen können, aber nie ganz verschwinden.

Ob das allerdings auch beim Coronavirus so ist, kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Der Virologe Christian Drosten führt die Beobachtungen der chinesischen und südkoreanischen Wissenschaftler hauptsächlich auf Ungenauigkeiten bei den Testverfahren zurück. Die Studie aus Wuhan etwa sei "ein bisschen unklar in der Technik", sagte er im NDR-Podcast . "Da heißt es an einigen Stellen, es wurden Rachenabstriche getestet. Und an anderen Stellen heißt es aber, es sind Respirationstrakt-Proben. Das heißt, da geht wahrscheinlich ein bisschen was durcheinander." Man wisse schon längst, dass das Sekret aus der Lunge viel länger positiv bleiben kann als das aus dem Rachen. "Wir glauben schon, dass das nicht mehr infektiös ist."

Weitere Studien nötig

Auch die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sieht Probleme in der dünnen Studienlage: "Für diese Fälle sind ganz viele Aspekte nicht klar dokumentiert", sagt sie. "Zum Beispiel wurde nicht überprüft, ob das in der PCR nachgewiesene Virus auch infektiös war, und wie viel Virus überhaupt vorhanden war." Zudem schwankten in der Abklingphase der Krankheit die verbliebenen Virusmengen mal über, mal unter der Nachweisgrenze des PCR-Tests. "Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass so kurz nach Genesung eine Reinfektion auftreten kann", so Brinkmann. Zur Dauer des Immunschutzes fehle es derzeit noch an fundierten Daten.

Dem RKI sind die Fallberichte aus Südkorea und China bekannt. Das Institut schreibt dazu auf seiner Webseite , dass ein Reinfektionsrisiko für "sehr gering" gehalten wird. Die Erfahrungen mit anderen Coronaviren wie Sars und Mers deuten demnach darauf hin, dass die Immunität gegen Sars-CoV-2 bis zu drei Jahre anhalten könnte. Um das genauer zu bestimmen, seien serologische Längsschnittstudien erforderlich, die die Immunität der Patienten über einen längeren Zeitraum beobachten. Diese laufen nun nach und nach an.

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