Neuer Erreger Wie das Coronavirus die Welt herausfordert

Ein Forscher liefert in China Flüssigkeiten an, mit denen sich das neue Coronavirus nachweisen lässt
Foto: Ma Ping/ dpaDie Maßnahmen der chinesischen Regierung könnten drastischer kaum sein: Mehr als 45 Millionen Menschen sind in der Provinz Hubei seit Tagen weitestgehend von der Außenwelt abgeschottet. Die chinesischen Neujahrsferien wurden bis Ende der Woche verlängert, die nationalen Winterspiele verschoben, der Handel mit Wildtieren untersagt. Eindämmen aber konnten die Bemühungen das neue Coronavirus bislang nicht.
Die Weltgesundheitsorganisation korrigierte am Montagabend die Angaben zum internationalen Gefährdungsniveau nach oben. Weltweit sei die Gefahr durch das Virus "hoch", erklärte die Organisation. Eine Sprecherin begründete den Schritt mit "Formulierungsfehlern", wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Bislang hieß es vonseiten der WHO, das Risiko durch den neuen Erreger sei "sehr hoch in China, hoch in der Region", weltweit aber nur auf "moderatem Niveau".
Bis Sonntagnacht hatten sich in China mehr als 2700 Menschen nachweislich infiziert, hinzu kommen knapp 5800 Verdachtsfälle. 461 Menschen sind derzeit schwer erkrankt, 80 Menschen gestorben. 30.000 stehen unter medizinischer Beobachtung, weil sie engen Kontakt mit einem Infizierten hatten.
Zwar ist denkbar, dass die Zahl der bestätigten Fälle in China aktuell nur sprunghaft ansteigt, weil sich immer mehr Menschen auf das Virus testen lassen. Neue Informationen sprechen jedoch auch dafür, dass sich der Erreger nur schwer eindämmen lässt.
Infizierte können Virus weitergeben, bevor sie Symptome entwickeln
Bereits am Wochenende hatten die chinesischen Behörden erklärt, dass Erkrankte das Virus weitergeben können, bevor sie selbst Beschwerden entwickeln. Laut Nathalie MacDermott vom King’s College London hatte ein Arzt in der Zhejiang Provinz mehrere Infektionen beobachtet, die auf einen Menschen zurückgingen, der sich gesund fühlte.
Damit wäre das neue Coronavirus keine Ausnahme. "Es ist bekannt, dass verschiedene Coronaviren und Erreger von anderen Virusfamilien, die die Atemwege befallen, sich während der Inkubationszeit verbreiten können. Also in der Zeit, in der Infizierte noch keine Symptome zeigen", sagte MacDermott dem englischen Science Media Centre .
Wie lange diese Inkubationszeit bei dem neuen Erreger genau dauert, ist noch unbekannt. Die chinesische Regierung hat jedoch alle Menschen, die aus Wuhan in eine andere Region gereist sind, angewiesen, sich 14 Tage in ihrer Wohnung aufzuhalten und ihre Gesundheit zu beobachten.
Was gelingen muss, um den Krankheitsausbruch zu stoppen
Eine weitere wichtige Kennziffer für die Seuchenbekämpfer ist der sogenannte R0-Wert. Er besagt, wie viele Menschen ein Infizierter in einer Gesellschaft ansteckt, in der niemand gegen den Erreger immun ist. Der Wert ist nicht überall gleich. Er hängt unter anderem davon ab, wie eng Menschen zusammenleben oder wie gut das Gesundheitssystem aufgestellt ist.
Die WHO bezifferte diesen Wert in einer ersten Prognose am Donnerstagabend zwischen 1,4 und 2,5. Eine Forschergruppe des Imperial College London schätzte sie anhand der Daten bis zum 18. Januar auf 2,6; zwei weitere Modellierungen (hier und hier ) kommen sogar auf Werte deutlich über drei.
Wie ansteckend ist Covid-19 im Vergleich?
Krankheit | R0* |
Masern | 12-18 |
Pocken | 5-7 |
Polio | 5-7 |
Mumps | 4-7 |
HIV/Aids | 2-5 |
Influenza | 2-3 |
Sars-CoV-2 | 2,4-3,3 (laut aktuellen Schätzungen des RKI) |
Ebola | 1,5-2,5 |
*Die Basisreproduktionszahl R0 gibt an, wie viele Menschen eine erkrankte Person durchschnittlich infiziert, wenn in der Bevölkerung keine Immunität gegen den Erreger vorhanden ist. |
Quelle: Weltgesundheitsorganisation WHO, Stand: 23. Januar 2019; Robert Koch-Institut RKI, Stand: 16. April 2020
Um einen Krankheitsausbruch zu stoppen, muss es gelingen, die Zahl der Menschen, die jeder ansteckt, auf unter eins zu senken. Bewahrheitet sich die Prognose der Londoner Forschergruppe (2,6) würde das bedeuten, dass die Maßnahmen gegen den Ausbruch mehr als die Hälfte der Ansteckungen verhindern müssten.
Da Impfstoffe und Medikamente fehlen, die vor dem Virus schützen, funktioniert dies vor allem über die Quarantäne von Betroffenen und ihren Kontaktpersonen.
Im Ausland nur Einzelfälle
Während in China der Notfall herrscht, beschränken sich die Meldungen aus anderen Ländern bislang auf Einzelfälle. Kambodscha bestätigte am Montag seinen ersten Fall, Australien seinen fünften. Das Virus hatte mit Frankreich am Wochenende auch Europa erreicht.
Bislang dokumentierte die Weltgesundheitsorganisation jedoch nur einen Fall, bei dem ein Infizierter im Ausland einen anderen Menschen angesteckt hatte. Im Vietnam war im engen Familienkreis ein weiterer Mensch erkrankt.
Für Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut ist die Lage im Ausland ein entscheidender Gradmesser dafür, wie gefährlich das Virus tatsächlich ist. "Die Situation in Wuhan muss getrennt davon betracht werden - auch, weil noch gar nicht klar ist, wo das Virus überhaupt herkommt", sagte er dem SPIEGEL.
Bereits am Sonntag kündigten mehrere Länder an, ihre Bürger aus Wuhan auszufliegen, darunter die USA, Frankreich und Japan. Frankreich rechnet mit rund 800 betroffenen Bürgern. Die Evakuierten sollen den Plänen zufolge 14 Tage unter Quarantäne gestellt werden.
Auch die Bundesregierung will nach SPIEGEL-Informationen so schnell wie möglich alle Deutschen aus Wuhan ausfliegen, die Bundeswehr soll die heikle Evakuierung übernehmen. Laut Auswärtigem Amt leben im Raum Wuhan etwa 90 Deutsche.
Mit Material von AFP, dpa, Reuters