Drohender Ausbruch Deutschland bereitet sich auf Covid-19 vor

Künstlerische Darstellung des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2
Foto: Center for Disease Control/ dpaIn Italien wurde bei mehr als 200 Menschen nachgewiesen, dass sie mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert sind. In Österreich, Kroatien, Spanien und der Schweiz gibt es erste Fälle. Der Erreger hat damit Europa erreicht. Experten befürchten zudem, dass es bereits weitere Fälle in Europa gibt, die noch nicht erkannt wurden. Es scheint, als sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland die Zahl der Covid-19-Fälle steigt. Wie groß ist das Risiko, dass es in Deutschland zu einer Epidemie kommt, und wie ist das Land vorbereitet? Ein Überblick.
Wie groß ist die Gefahr, dass es auch in Deutschland zu einem großen Covid-19-Ausbruch kommt?
Das Robert Koch-Institut (RKI) hält eine weltweite Ausbreitung des Erregers zunehmend für wahrscheinlich. Damit wäre natürlich auch Deutschland betroffen. Die Behörden bereiten sich mit Notfallplänen darauf vor. Solange es noch Möglichkeiten gibt, das Virus einzudämmen, liegt der Schwerpunkt darauf. Dafür muss zumindest bei einem Großteil der Infizierten bekannt sein, wo sie sich angesteckt haben und Kontaktpersonen müssen isoliert werden können. Bei den ersten Infizierten in Bayern, die sich bereits im Januar angesteckt hatten, war das nach jetzigem Stand der Fall. Ziel dieser Maßnahmen ist, eine Erkrankungswelle in Deutschland zu verhindern, oder im Zweifel zumindest hinauszuzögern.
Kann die Ausbreitung nicht mehr aufgehalten werden, rät das RKI dazu, sich bei den Schutzmaßnahmen stärker auf besonders gefährdete Menschen zu konzentrieren. Bei Covid-19 sind das vor allem ältere Personen und Menschen mit Vorerkrankungen.
Wie versucht Deutschland, Corona-Infektionen zu erkennen?
In Italien verbreitete sich das Virus zunächst unbemerkt. Das halten Experten auch in Deutschland für möglich. Aus diesem Grund hat das RKI damit begonnen, Stichproben von Personen mit Atemwegserkrankungen auch auf das neuartige Coronavirus zu testen. An dem Programm, das eigentlich das Grippegeschehen in Deutschland dokumentiert, nehmen rund 100 Arztpraxen aus ganz Deutschland teil.
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, Personen gezielt auf das Virus zu testen. Das gilt etwa für jemanden, der sich in einem der chinesischen Risikogebiete aufgehalten hat oder Kontakt zu einem Erkrankten hatte. Daneben gibt es laut RKI auch die Möglichkeit, Menschen zu testen, wenn sie sich in einem anderen Land aufgehalten haben, in dem sich das Virus verbreitet – momentan etwa Italien, Iran oder Südkorea - und entsprechende Beschwerden entwickelt. Betroffene sollten sich zum Abklären an ihren Arzt wenden.
Würde ein großer Ausbruch in Deutschland die medizinische Versorgung an ihre Grenzen bringen?
Nach allem, was momentan über den Erreger bekannt ist, verhält er sich ähnlich wie Influenzaviren. Aus diesem Grund gehen Experten davon aus, dass ein großer Covid-19-Ausbruch das deutsche Gesundheitssystem ähnlich stark belasten würde wie eine sehr schwere Grippewelle. Konkret bedeutet das: volle Wartebereiche in Arztpraxen und Kliniken.
"Es wird dann schwierig, die normale Versorgung aufrechtzuerhalten", sagte Christian Drosten von der Berliner Charité bei einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen. Geplante Operationen müssten möglicherweise verschoben werden, weil die Intensivbetten voll sind. Auch Patienten mit anderen Erkrankungen müssten sich angesichts überfüllter Arztpraxen auf Wartezeiten einstellen.
Problematisch ist, dass die Gefahr durch den neuen Erreger in den Winter fällt, in dem Ärzte und Kliniken aufgrund der Grippewelle bereits stark ausgelastet sind. "Unsere Häuser sind im Mittel zu 85 Prozent belegt", sagte Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité in Berlin, ebenfalls vor ein paar Tagen. Auch er rechnet damit, dass planbare Operationen bei einem größeren Ausbruch in Deutschland zurückgefahren werden müssten.
Lothar Wieler, Präsident des RKI, wies in diesem Zusammenhang bei einer Pressekonferenz auf die sehr schwere Grippewelle 2017/2018 hin. Damals habe es zehn Millionen Arztbesuche gegeben. "Alle Kliniker, die in Krankenhäusern unterwegs waren, wissen, dass das eine Situation war, in der der normale Krankenhausbetrieb nicht mehr so stattfand", sagte Wieler. Damals sei natürlich auch Krankenhauspersonal an der Influenza erkrankt und es habe viele Arbeitsausfälle gegeben. "Das heißt also", so der RKI-Chef, "die Fähigkeit, solche Situationen zu managen und die Patienten zu versorgen, die hat das System."
Wo gibt es Schwachstellen im deutschen Gesundheitssystem?
Eine Schwachstelle sieht Drosten bei den Gesundheitsämtern: Sie sind Ansprechpartner für Ärzte, die bei einem Patienten eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus vermuten, melden bestätigte Infektionen und koordinieren die Maßnahmen bei einem Ausbruch. "Sie wären vollkommen überlastet, da sie personell relativ dünn ausgestattet sind”, prognostizierte Drosten. "Sie müssten dann ja das ganze Meldewesen im Griff behalten."
Wäre es in Deutschland auch denkbar, dass komplette Städte abgeriegelt werden?
In Italien haben die Behörden eine ganze Region abgeschottet, als bekannt wurde, dass dort mehr als 200 Menschen mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert sind.
Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn sagte am Montag auf die Frage, ob dies auch hierzulande passieren könnte, dass theoretisch vieles denkbar, so ein Schritt aber nicht notwendig sei. "Von der Absage von Großveranstaltungen (...) bis zum kompletten Abriegeln ganzer Städte gibt es ja auch noch viele Zwischenstufen", so Spahn.
RKI-Chef Wieler sagte am Montag im "heute-journal" des ZDF, er könne sich eine Quarantäne ganzer Orte in Deutschland nicht vorstellen. Die Menschen müssten dann mit Lebensmitteln und Wasser, aber auch mit ärztlicher Hilfe versorgt werden. Das sei in einem Quarantänegebiet sehr schwierig.
Werden Mundschutz und Atemmasken knapp?
Ja, Mundschutzmasken sind in Deutschland zum Teil schon jetzt knapp. Der Chef des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis, sagte der "Rheinischen Post", Mundschutzmasken seien kaum noch zu bekommen: Die günstigen und wenig wirksamen Masken seien nahezu vergriffen. Die teuren und wirksameren Masken, die rund zehn Euro pro Stück kosten, würden von den Herstellern kontingentiert.
Auch das RKI hat bereits Mitte Februar darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich zu einem Lieferengpass bei mehrlagigem, dicht anliegendem Mund-Nasen-Schutz sowie bei Atemschutzmasken, sogenannten FFP-Masken, kommen wird. Denn ein großer Teil der Masken für den europäischen Markt werde in China hergestellt, und solange die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Krise andauere, erfolge keine Lieferung nach Europa.
Das Institut gibt für den Notfall , in dem es nicht mehr ausreichend Masken gibt, Empfehlungen, wie diese mehrmals verwendet werden können. Es betont ausdrücklich, dass diesen nur gefolgt werden soll, wenn tatsächlich nicht mehr Masken vorhanden sind. Denn die Ansteckungsgefahr steigt durch dieses Verhalten.
Besonders für Ärzte und Pflegepersonal stellt der Engpass ein Risiko dar. Ein Hausarzt in einer deutschen Metropole, der anonym bleiben will, sagte dem SPIEGEL, dass er sich Sorgen um die Sicherheit seiner Zunft mache. Bei einer Teamsitzung im Medizinischen Versorgungszentrum seiner Stadt sei den Mitarbeitern gesagt worden, dass es derzeit Lieferengpässe bei medizinischer Schutzkleidung gebe. "Das macht uns Ärzten, die gewissermaßen an der Front arbeiten, wenn das Coronavirus nach Deutschland kommt, schon große Sorgen", sagte er. "Wenn das so bleibt, können wir die Welle an Patienten, die auf uns zukommen wird, nicht behandeln - weil wir uns selbst nicht ausreichend schützen können."
Die Aussage von Gesundheitsminister Jens Spahn, Deutschland sei gut vorbereitet, zweifelte er an: "Patienten gehen mit grippeähnlichen Symptomen in der Regel zunächst zum Hausarzt", sagte er. Wenn der Eigenschutz von niedergelassenen Ärzten nicht gewährleistet sei, könne man nicht von einer guten Vorbereitung sprechen.
Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.
Wie kann sich jeder Einzelne auf eine mögliche Covid-19-Pandemie vorbereiten?
Derzeit gibt es zwar noch keine Infektionsherde in Deutschland, doch die Behörden gehen davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Virus auch hierzulande ausbricht. Die WHO hat die Länder dazu aufgerufen, sich vor einer möglichen Pandemie zu wappnen.
Dabei kann jeder Einzelne schon jetzt dabei helfen, mögliche Infektionsketten zu unterbrechen, indem er sich vor einer Schmier- und Tröpfcheninfektion schützt. Dazu gehört:
regelmäßiges und sorgfältiges Händewaschen (mindestens 20 Sekunden mit Seife, bis zum Handgelenk),
Händeschütteln und Umarmungen vermeiden,
mindestens ein bis zwei Meter Abstand zu Erkrankten halten,
Schleimhäute im Gesicht nicht mit den Händen berühren,
in die Armbeuge statt in die Hand niesen,
benutzte Taschentücher schnell entsorgen,
belebte Orte und Veranstaltungen meiden.
Drehen Sie sich am besten weg, wenn Sie husten oder niesen müssen! Mindestens ein Meter Abstand sollte zwischen Ihnen und anderen Personen sein.
Ein Papiertaschentuch bitte nur einmal benutzen! Entsorgen Sie es anschließend in einem Mülleimer mit Deckel.
Halten Sie sich beim Husten und Niesen die Armbeuge vor Mund und Nase, wenn gerade kein Taschentuch zur Hand ist.
Wichtig: Waschen Sie sich nach dem Naseputzen, Niesen oder Husten gründlich die Hände, entweder mit einem Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis oder mit Wasser und Seife.
Quelle: WHO, Gesundheitsministerium
Das Tragen von Atemschutzmasken wird als wenig sinnvoll erachtet und sollte dem medizinischen Personal und Erkrankten vorbehalten sein.
Falls es eine intensivere Übertragungswelle in einzelnen deutschen Regionen geben sollte, können sich Bürger auch auf mögliche Engpässe und Einschränkungen vorbereiten. Denn auch hierzulande werden Kontaktpersonen gebeten, sich für die Inkubationszeit von zwei Wochen in häusliche Isolation zu begeben.
Um sich auf solch einen Fall vorzubereiten, wird empfohlen, sich eine ausreichende Monatsmenge an wichtigen verschreibungspflichtigen Medikamenten zu besorgen. Außerdem kann ein kleiner Vorrat an nicht-verderblichen Lebensmitteln im Haushalt helfen. Wichtig ist, sich frühzeitig ausreichend Gedanken um den Schutz von nahestehenden Personen und Familienangehörigen zu machen, die älter sind oder ein geschwächtes Immunsystem haben. Auch über die Betreuung kranker Kinder sollte frühzeitig nachgedacht werden.
Arbeitgeber können kranke oder gefährdete Mitarbeiter aktiv ermutigen, zu Hause zu bleiben, und Homeoffice anbieten. Mitarbeiter, die akute Symptome einer Atemwegserkrankung zeigen, sollten isoliert werden. Wer Kontakt zu Covid-19-Patienten hatte oder in einem Risikogebiet war und den Verdacht hat, sich infiziert zu haben, sollte sich beim örtlichen Gesundheitsamt melden.