Populismus und Polarisierung Wo die Gesellschaft gespalten ist, sterben mehr Menschen an Covid-19

Wie gut die Regionen Europas durch die Corona-Pandemie kommen, unterscheidet sich stark. Das könnte auch am sehr verschieden ausgeprägten Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen liegen.
Verunglimpfung von Politikern und Wissenschaftlern während einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 29. August in Berlin

Verunglimpfung von Politikern und Wissenschaftlern während einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 29. August in Berlin

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Kay Nietfeld / dpa

Unterschiede in der Qualität der Gesundheitssysteme und das durchschnittliche Alter der Bevölkerung – in den vergangenen Monaten wurde viel darüber diskutiert, warum in manchen Regionen Europas besonders viele Menschen in der Corona-Pandemie sterben. Ein wichtiger Aspekt ist dabei bislang offenbar zu kurz gekommen.

Politik- und Wirtschaftswissenschaftler argumentieren, dass neben einer guten Infrastruktur und der Demografie der Bevölkerung auch das Vertrauen in die Regierung und Polarisierung in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie gut eine Region durch die Krise kommt und wie viele zusätzliche Tote es gibt.

Problem Populismus

Die Politikwissenschaftler Víctor Lapuente und Nicholas Charron von der schwedischen Universität Göteborg und der Wirtschaftswissenschaftler Andrés Rodríguez-Pose von der britischen London School of Economics and Political Science haben Daten zur Übersterblichkeit aus 153 Regionen Europas ausgewertet und mit Studien zum Vertrauen in soziale und politische Einrichtungen in den verschiedenen Gebieten verglichen.

Übersterblichkeit beschreibt, wie viel mehr Menschen in einem Zeitraum gegenüber dem Durchschnitt aus mehreren Vorjahren gestorben sind.

»Wenn die Kluft im politischen Vertrauen zwischen Anhängern und Gegnern der amtierenden Regierungen groß war, gab es während der ersten Welle der Pandemie mehr Covid-19-Todesfälle«, schreiben die Forscher in einem Arbeitspapier . Auch sei die Übersterblichkeit in der ersten Corona-Welle in Regionen mit einer politischen Elite, die die europäische Integration weniger unterstütze, höher gewesen. Insgesamt habe Populismus eine große Rolle gespielt.

Je extremer die Positionen, desto schlechter die Lage

Demnach ist nicht nur das absolute Maß des Vertrauens in einer Gesellschaft entscheidend, sondern insbesondere das Maß der Polarisierung zwischen Unterstützern und Gegnern der Regierung. Die Erkenntnis sei wichtig, um zu verstehen, warum sich Menschen in einigen Regionen mehr auf die Schutzmaßnahmen eingelassen hätten, so die Forscher.

Laut ihrer Hypothese ist die Übersterblichkeit auch dann höher, wenn es zwischen den Parteien im Land große ideologische Unterschiede gibt, also auch hier eine starke Polarisierung besteht. Sie führe dazu, dass Regierungen Maßnahmen ergriffen, die vor allem Geschäftsinteressen ihrer Zielgruppe befriedigten, statt einen breiten politischen Konsens für unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen zu finden.

Einer der Gründe, warum Spanien so schlecht durch den Sommer 2020 gekommen ist, obwohl es im Frühjahr einen der striktesten Lockdowns in Europa hatte, sei beispielsweise, dass die sozialdemokratische Minderheitskoalition seitens des Parlaments keine Unterstützung für weitere einschränkende Maßnahmen erhielt, so die Forscher.

Deutschland kam gut weg

Tendenziell sei das Vertrauen in staatliche Institutionen in nördlichen Staaten am größten, etwa in Finnland, Dänemark, Island, Norwegen und Schweden, argumentieren die Forscher. Zwar sind auch in Schweden in manchen Regionen deutlich mehr Menschen gestorben als normalerweise üblich, allerdings ist das Ausmaß nicht ganz so extrem wie in manch anderen Regionen im Süden.

Auf Twitter postete Rodríguez-Pose dazu eine Europakarte, die die Übersterblichkeit in verschiedenen Regionen Europas in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 zeigt. Darauf ist zu erkennen, dass Regionen im Süden, vor allen in Frankreich, Spanien oder Italien deutlich schwerer von Todesfällen im Zusammenhang mit der Pandemie betroffen waren, aber auch viele Gebiete Großbritanniens. Allerdings zeigten neuere Studien, dass es auch innerhalb einzelner Staaten große Unterschiede gebe, so die Forscher.

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Demnach weichen die Vertrauenswerte zwischen nördlichen und südlichen Regionen Spaniens stärker ab, als die zwischen einzelnen Ländern. Auch das Maß der Übersterblichkeit unterscheide sich regional teils erheblich. Als extreme Beispiele nennen die Forscher etwa die Lombardei und die Region Molise in Italien.

Zwischen Januar und Ende Mai 2020 seien in der Lombardei fast 55 Prozent mehr Menschen gestorben als ohne Pandemie zu erwarten gewesen wären. In Molise ging die Sterblichkeit im gleichen Zeitraum dagegen fast neun Prozent zurück. Ein ähnliches Bild zeigte sich in Spanien: In der Region Madrid lag die Übersterblichkeit bei 75 Prozent, auf den Balearen sank sie dagegen um gut ein Prozent.

Korrelation mit AfD-Hochburgen

Auch in Deutschland gab es in der ersten Corona-Welle regionale Unterschiede, die allerdings deutlich geringer ausfielen. So starben in Bremen rund zehn Prozent mehr Menschen als im Vergleichszeitraum der vergangenen Jahre, in Schleswig-Holstein waren es ein paar Prozent weniger. Regionale Regierungen seien in der Krise von hoher Relevanz, da sie beim Krisenmanagement an vorderster Front stünden, so die Forscher.

Auch Untersuchungen auf Landkreisebene legen in Deutschland einen Zusammenhang zwischen Populismus, Polarisierung und hoher Corona-Inzidenz nahe. Im Dezember 2020 stellten Soziologen mit Blick auf die hierzulande besonders stark vom Virus betroffenen Landkreise fest, dass es sich auffällig häufig um AfD-Hochburgen handelte (mehr dazu lesen Sie hier).

Allerdings kann die Auswertung, genau wie die aktuelle Studie, lediglich Korrelationen feststellen, die auch zufällig zustande kommen können. Es ist denkbar, dass in Wahrheit andere Faktoren für das schlechte Abschneiden verantwortlich sind. Anders gesagt: Dass eine Sympathie für die AfD oder Populismus und Polarisierung im Allgemeinen ursächlich für das schlechtere Abschneiden der Regionen ist, lässt sich nicht klar nachweisen.

Eine Schlussfolgerung der Autoren der neueren Untersuchung scheint aber plausibel: Vertrauen in staatliche Institutionen könne zu einer stärkeren Akzeptanz von für die Gesamtgesellschaft wichtigen Maßnahmen führen, schreiben die Forscher. »Bürger neigen eher dazu, zugunsten des Kollektivs zu handeln, wenn sie der Ansicht sind, dass die Regierungen gut organisiert sind, klare Botschaften und Kenntnisse über Covid-19 verbreiten und staatliche Interventionen fair verteilen.«

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