Dämpfe in Flugzeugen Das Giftgespenst fliegt mit

Macht Fliegen krank? Nach einem Bericht des NDR können giftige Dämpfe im Inneren von Passagierflugzeugen die Gesundheit von Passagieren und Besatzungen schädigen. Bei genauem Hinsehen stellt sich heraus: Für die Existenz einer Gefahr gibt es keinen Beweis.
Angehende Stewardessen bei der Ausbildung: Wabern in Flugzeugen giftige Dämpfe?

Angehende Stewardessen bei der Ausbildung: Wabern in Flugzeugen giftige Dämpfe?

Foto: Thomas Frey/ picture-alliance/ dpa

So manchem Flugpassagier dürfte in diesen Tagen ein wenig anders werden. "Die Vergiftungsgefahr fliegt immer mit", meldeten "NDR Info" und die "Tagesschau" auf ihren Webseiten. "Geheimpapier: Gift aus der Flugzeug-Klimaanlage", hieß es bei RTL. Die "Süddeutsche Zeitung" sekundierte auf ihrer Titelseite: "Kabinenluft im Flugzeug kann krank machen." Kein Konjunktiv, kein Fragezeichen weit und breit.

Was war geschehen? "NDR Info" hatte darüber berichtet, dass giftige Dämpfe von den Triebwerken ins Innere von Passagierjets eindringen und bei den Insassen das sogenannte Aerotoxische Syndrom auslösen könnten - wieder einmal. Das Thema geistert seit Jahren durch die Medien, wie zuletzt im Frühjahr 2010. Die "Welt" etwa berichtete im Februar von "gefährlichen Giftschwaden in Passagier-Flugzeugen". Sieben Menschen hätten nach einem Flug über Kopf- und Halsschmerzen geklagt. "Es hat plötzlich nach schmutzigen Strümpfen gerochen", habe ein Passagier erzählt.

Vielleicht waren tatsächlich giftige Dämpfe in der Luft, vielleicht hat ein Passagier mit Schweißfuß-Problem seine Schuhe ausgezogen - niemand weiß es genau. Denn bis heute gibt es keine wissenschaftliche Studie, die einen Zusammenhang zwischen giftigen Dämpfen und Krankheitssymptomen in Flugzeugen nachweisen konnte - geschweige denn die Existenz eines Aerotoxischen Syndroms.

Die sich selbst erfüllende Prophezeiung des BDF

"NDR Info" beruft sich nun auf ein vertrauliches Dokument des Bundesverbandes deutscher Fluggesellschaften (BDF). Wer allerdings angesichts der Vergiftungsgefahr-Schlagzeilen gehofft hatte, jetzt endlich Beweise für eine real existierende Bedrohung zu bekommen, sah sich getäuscht. Der BDF diskutiert in dem Papier lediglich eine durch die Medien befeuerte öffentliche Debatte über "vergiftete Kabinenluft". Es gelte, für einen solchen Fall eine gemeinsame Sprachregelung zu finden.

Ironischerweise haben die Airlines mit dem Papier die Debatte erneut angefacht - und die Art, wie manche Medien nun berichten, scheint die Befürchtungen der Manager vollauf zu bestätigen.

An der Faktenlage hat sich indes nichts geändert. Alles, was an seriösen Erkenntnissen über das Giftluft-Problem verfügbar ist, besagt, dass drei Dinge vollkommen unklar sind:

  • wie hoch die Giftkonzentration in der Kabinenluft ist,
  • welche Schadstoffe vorkommen,
  • ob es überhaupt einen kausalen Zusammenhang zwischen Dämpfen und Erkrankungen gibt.

Mit anderen Worten: Man weiß nicht, ob ein Problem existiert - und falls es doch eines gibt, weiß man nicht, welches.

Diese eklatante Lücke räumt auch der NDR ein - was den Sender allerdings nicht daran hindert, einzelne Betroffene als Kronzeugen zu präsentieren. Eine Stewardess etwa leide unter Kopfschmerzen, Herzrasen, Übelkeit und Schwindel. Im Krankenhaus habe man eine Entzündung des Nervensystems festgestellt. Die Stewardess "glaubt zu wissen", dass ihre Beschwerden von giftiger Kabinenluft ausgelöst wurden. Was die Ärzte dazu meinten, die das neurologische Leiden immerhin diagnostiziert haben sollen, erfährt man nicht.

Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, geht noch weiter. Das Problem betreffe "Tausende von Flugzeugen weltweit", aber die Airlines wollten kein Geld ausgeben, um es zu beheben. "Manche Menschen haben sogar schon nach einmaligem Einatmen dieser Giftstoffe gesundheitliche Beeinträchtigungen", wird Handwerg vom NDR zitiert. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE bestätigt er, dass diese Sätze von ihm stammten. Auf die Frage, auf welchen medizinischen Erkenntnissen sie basierten, räumt Handwerg ein, dass es solche nicht gebe. "Deshalb fordern wir, sie zu beschaffen." Die Gefahr müsse erforscht werden.

Das aber wurde durchaus schon versucht. Allein: Bisher gab es keinen Befund.

Der Verdacht richtet sich insbesondere gegen sogenannte Trikresylphosphate (TKP oder TCP), eine Gruppe chemischer Verbindungen, die neurotoxisch wirken. Die Nervengifte können unter anderem entstehen, wenn Öl in Flugzeugtriebwerken verbrennt. Und da die Luft im Inneren von Passagierjets üblicherweise direkt an den Triebwerken abgezapft wird, könnten auch giftige Dämpfe die Insassen krank machen.

So weit die Theorie. Sie ist alt und wurde mehrfach untersucht - allerdings ohne bisher bestätigt zu werden.

Hirngespinst oder reale Gefahr? Warum die Luftfahrtmedizin nicht an die Existenz des Aerotoxischen Syndroms glaubt

Der britische Luftfahrtmediziner Michael Bagshaw kam 2008 in einem Bericht  zu dem Schluss, dass es keine unabhängig geprüften Untersuchungen darüber gebe, dass TKP bei Flugpassagieren neurologische Beschwerden auslöse.

Unklar sei schon, worin die Symptome bestehen sollten. Was von Betroffenen genannt werde - etwa Herzrasen, Schwindel oder Übelkeit - könne man meist auch mit anderen Erkrankungen erklären. Die in den einschlägigen Berichten genannten Symptome würden "bei 70 Prozent der Bevölkerung an jedem beliebigen Tag auftreten", so Bagshaw. Selbst die teils heftigen Beschwerden, die von Crewmitgliedern berichtet worden seien, passten ebenso gut zu Krankheitsbildern wie dem chronischen Erschöpfungssyndrom, der Lyme-Krankheit, chronischem Stress oder chronischer Hyperventilation.

Bagshaws Fazit: Ein Aerotoxisches Syndrom gibt es nicht. Denn die Hauptbedingung - eine Reihe bestimmter Symptome, die konsistent zusammen auftreten - sei nicht gegeben. Das hätten auch die National Academy of Sciences und die Aerospace Medical Association in den USA bestätigt. Eben deshalb sei das Aerotoxische Syndrom in der Luftfahrtmedizin nicht anerkannt.

Kleine Zahlen, große Wirkung

Auch die Zahlen von Betroffenen sind laut Bagshaw nicht eben beeindruckend. Im Jahr 2008 hätten 21 der rund 20.000 Berufspiloten in Großbritannien Beschwerden im Zusammenhang mit schlechter Kabinenluft gemeldet. Zehn Piloten seien langfristig und zwei vorübergehend dienstunfähig gewesen.

Das unabhängige britische Committee on Toxicity (COT), ein Gremium von Toxikologen mehrerer Universitäten, kam in einem Bericht vom September 2007  zu dem Schluss, dass es keine Hinweise auf eine kausale Verbindung zwischen der Kabinenluft und Gesundheitsbeschwerden bei Piloten gebe.

Das Komitee schätzte, dass es bei jedem 2000. Flug zu Zwischenfällen mit Dämpfen komme. Das entspricht einem Anteil von 0,05 Prozent. Im Jahr 2008 seien der britischen Flugsicherheitsbehörde CAA 97 Ereignisse mit kontaminierter Luft gemeldet worden - bei rund 1,2 Millionen Flügen insgesamt. Zwar betonten die Experten, dass es eine Dunkelziffer gebe - "doch selbst wenn die Zahl zwei- oder dreimal so groß wäre, wäre ihr Anteil sehr gering", heißt es auf der Website des britischen Verkehrsministeriums .

Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt dagegen von 500 Crewmitgliedern weltweit, die glaubten, durch das Einatmen giftiger Dämpfe krank geworden zu sein. Das, so die "SZ", habe die Nachrichtenagentur ddp berichtet, die ihre Informationen wiederum von "Cockpit"-Sprecher Handwerg habe. Der aber räumt im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE ein, dass die ominösen 500 nicht etwa aus einer Studie stammten, sondern von Tristan Loraine - einem Ex-Piloten, der sich für ein Opfer des Aerotoxischen Syndroms hält und eine Dokumentation mit dem Titel "Welcome Aboard Toxic Airlines" produziert hat.

Schlechtere Luft in Bürogebäuden

Das britische Verkehrsministerium jedenfalls sieht keinen Anlass zu genereller Sorge: "Studien wie das 'European CabinAir'-Projekt haben gezeigt, dass die Konzentrationen von chemischen und biologischen Schadstoffen in einem Flugzeug geringer sind als in den meisten Arbeitsumgebungen wie etwa Bürogebäuden." Zudem muss es sich nicht bei jeder Freisetzung von Dämpfen gleich um hochgiftige TKP handeln. Das COT veröffentlichte eine lange Liste möglicher Quellen. Darunter befanden sich:

  • Hydrauliklecks unter dem Kabinenboden,
  • Enteisungsflüssigkeiten,
  • Reinigungsmittel,
  • Desinfektionsmittel aus den Bordtoiletten,
  • Regenschutzmittel,
  • im Gepäckraum ausgelaufene Flüssigkeiten,
  • Gegenstände in den Gepäckabteilen über den Sitzen.

Dass es bisher keinen schlagenden Beweis für einen Zusammenhang zwischen TKP in der Luft und Beschwerden bei Crew und Passagieren gibt, ist für Experten freilich kein Grund, eine Gefahr auszuschließen. Chris Winder, Toxikologe an der australischen University of New South Wales, warnt seit Jahren vor den Gefahren. Allerdings geht auch er von geringen Fallzahlen aus: Im Jahr 1999 seien rund 300 Flüge weltweit von Zwischenfällen mit giftigen Dämpfen oder Flüssigkeiten betroffen gewesen. Das habe etwa einem von 25.000 Flügen entsprochen.

Berichte von Piloten hätten darauf hingewiesen, dass es in Flugzeugkabinen zu Luftverschmutzungen durch Motorenöl und Hydraulikflüssigkeiten gekommen sei, schrieb Winder 2001 im "Journal of Occupational Health and Safety" . Die Partikel könnten in der Luft in ausreichend hoher Konzentration vorkommen, um bei Besatzung und Passagieren "akute, unmittelbare und langfristige Symptome auszulösen".

Allerdings basiert auch diese Aussage auf einzelnen Berichten und nicht auf einer systematischen Untersuchung. Das britische Verkehrsministerium hat deshalb jetzt die Luftbelastung in Passagiermaschinen messen lassen. Die Erhebung sei in diesem Jahr abgeschlossen worden, die Ergebnisse würden von unabhängigen Experten geprüft und dann veröffentlicht. Einen Termin nennt das Ministerium nicht.

Condor will Filter einbauen

Die Fluglinie Condor hat nach eigenen Angaben ebenfalls Messungen durchführen lassen. Das SGS Institut Fresenius habe während des Flugbetriebs die Luftqualität geprüft. "Bei keiner der umfangreichen Luftmessungen konnte TKP nachgewiesen werden", teilt die Fluglinie mit. Man habe auch über einen längeren Zeitraum Wischproben vorgenommen. Zwar sei dabei TKP entdeckt worden - aber in so geringen Konzentrationen, dass keine Gesundheitsgefahr bestanden habe.

Zudem prüfe man den Einbau eines Filters, der neben den TKP auch andere giftige Substanzen aus dem Inneren der Flugkabine fernhalten soll, sagte Condor-Sprecher Johannes Winter. "Derzeit laufen die Genehmigungsverfahren", so Winter. "Nach erfolgreichem Test kommt er dann in der Flotte zum Einsatz."

Das britische Verkehrsministerium äußert sich dagegen vorsichtiger über ein Filtersystem. Dessen Einbau sei nicht nur mit komplizierten Genehmigungsverfahren bei den Flugsicherheitsbehörden verbunden. Zuvor müsse man auch erst einmal wissen, was man überhaupt herausfiltern wolle. "Deshalb ist es logisch, zuerst die Kabinenluft zu analysieren und dann zu entscheiden, welche Maßnahmen sinnvoll sind."

Dass es nun doch wieder zu einer aufgeregten öffentlichen Debatte kommt, hätten sich die Fluglinien aufgrund ihrer Untätigkeit selbst zuzuschreiben, meint "Cockpit"-Sprecher Handwerg. Er verglich das Verhalten der Airlines mit dem der Tabakindustrie bezüglich der Krebsgefahr durch Zigaretten. "Da muss man sich über das Medienecho nicht wundern."

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