Ehec-Epidemie "Ich will niemanden in Gefahr bringen"

Mikroskopische Aufnahme des Ehec-Erregers: Übertragung von Mensch zu Mensch möglich
Foto: dapd / Robert Koch InstitutHamburg - Ein Volk atmet auf: Langsam klingt die Ehec-Welle ab, die Zahl der Neuerkrankungen geht zurück, und überhaupt weiß man ja jetzt, woher der gefährliche Erreger kommt. Sommersalate können wieder bedenkenlos verzehrt werden, solange man auf die Sprossenbeilage verzichtet. Das Vertrauen in das heimische Gemüse kehrt zurück, die Nachfrage nach Gurken und Tomaten steigt. Die Seuche des Jahres scheint überstanden.
Für die Betroffenen geht der Ehec-Alptraum aber weiter. Johannes Flürenbock, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, ist Vater zweier Kinder. Der 39-Jährige lebt bei Ahrensburg an der Grenze zu Hamburg. Seit gut drei Wochen muss sich der Berufstätige alleine um seine vier und sechs Jahre alten Söhne kümmern. Seine 37-jährige Frau liegt seit drei Wochen in der Klinik, zwei davon verbrachte sie auf der Intensivstation. Diagnose: Ehec-positiv und hämolytisch-urämisches Syndrom (Hus).
Am 24. Mai, als seine Frau ins Krankenhaus eingeliefert wurde, geriet Flürenbocks Leben aus den Fugen: Jeden Tag hoffte die Familie auf gute Nachrichten aus der Klinik. Dort kämpfte seine Frau mit den schweren Folgen der Ehec-Infektion, vom blutigen Durchfall bis hin zum Nierenversagen. Die 37-Jährige gehört zu jenen Ehec-Patienten, die derzeit mit einer experimentellen Antikörperbehandlung therapiert werden. Inzwischen können die Flürenbocks aufatmen, der Mutter geht es besser. "Aber der Alltag musste in der ganzen Zeit weitergehen", sagt Flürenbock.

Ehec-Epidemie in Deutschland: Ein Sprossen-Krimi
Das gestaltete sich schwierig. Obwohl der aggressive Ehec-Keim Husec 41 (Serotyp O104:H4), wie der aktuelle Stamm bezeichnet wird, wenige Tage nach der Einlieferung bei seiner Frau nachgewiesen worden war, sagte niemand dem Familienvater, wie er sich zu verhalten habe. Der 39-Jährige reagierte umsichtig, informierte den Kindergarten und schickte seine Kinder vorerst nicht mehr dorthin. "Ich wollte nicht als rücksichtslos gelten und andere möglicherweise in Gefahr bringen", sagt Flürenbock.
Seither aber musste sich Flürenbock durch ein undurchsichtiges Behördenchaos kämpfen: Erst der Kindergarten, der ein ärztliches Attest für die Kinder verlangte, damit sie wieder dorthin dürfen. Dann der Arzt, der nicht wusste, dass ein solches überhaupt notwendig ist, es aber dennoch ausstellte - ohne eine Stuhlprobe von den Kindern genommen zu haben. Schließlich das Gesundheitsamt, das seine Frau zunächst fälschlicherweise als Ehec-negativ führte, bis es zufällig durch hartnäckiges Nachbohren der Kindergartenleiterin darauf aufmerksam gemacht wurde.
Und zu guter Letzt das Gerangel um die Zuständigkeit: Flürenbocks Familie ist offiziell in Schleswig-Holstein gemeldet, seine Frau aber hatte den Bagel mit den verdächtigen Sprossen von einem Hamburger Imbiss verzehrt. Weder das Hamburger Gesundheitsamt noch die zuständige Behörde aus Schleswig-Holstein fühlten sich bisher dazu berufen, dieser Sprossenspur nachzugehen.

Ehec-Bekämpfung: Zuständigkeiten der Behörden
Foto: SPIEGEL ONLINEÄhnlich wie Flürenbocks könnte es derzeit einer Reihe von Familien gehen, die von Ehec betroffen sind. Die Gesetzeslage ist eindeutig, bedeutet aber für die Betroffenen mitunter eine zusätzliche Belastung. "Weisen direkte oder indirekte Nachweise auf eine akute Infektion mit enterohämorragischen Escherichia-coli-Stämmen (Ehec) hin", hat eine Meldung an das zuständige Gesundheitsamt zu erfolgen. So steht es in der aktuellen Fassung des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG).
Demnach sind jene Personen oder Einrichtungen zur Meldung an das Gesundheitsamt verpflichtet, die den Ehec-Befund erbracht haben, und zwar innerhalb von 24 Stunden. Im Falle der Flürenbocks versagte dieser Informationsfluss offenbar.
"Das hätte keiner gemerkt"
Ehec-Infizierte dürfen dem IfSG zufolge zudem nicht in Gemeinschaftseinrichtungen wie etwa Schulen, Kindergärten oder Krippen arbeiten. Gleiches gilt auch für jene Personen, "in deren Wohngemeinschaft nach ärztlichem Urteil eine Erkrankung oder ein Verdacht auf Ehec aufgetreten ist" sowie für sogenannte Ausscheider von Ehec, also jene Personen, in deren Stuhlproben Ehec-Keime nachgewiesen werden können.
Flürenbocks Kinder hätten also dem Gesetz nach vom Tag der Einlieferung ihrer Mutter an den Kindergarten ohne Attest nicht mehr betreten dürfen. "Ich hätte sie aber ganz normal dorthinschicken können", erzählt Flürenbock. "Das hätte keiner gemerkt." Eine Information, was er nach dem Ehec-Befund seiner Frau mit seinen Kindern tun solle, bekam er vom Gesundheitsamt vorerst nicht.
Unklar ist derweil, wie die aktuelle Ehec-Epidemie weiter verlaufen wird. Zwar meldet das Robert Koch-Institut insgesamt einen abfallenden Trend bei der Zahl der Neuinfizierten. Wie lange der Erreger von den Infizierten aber noch ausgeschieden wird, wissen die Forscher nicht. Auch nach dem Abklingen der Symptome könnten Betroffene den gefährlichen Darmkeim ausscheiden, heißt es von Seiten des RKI. Aus früheren Erkenntnissen über Ehec-Infektionen sei bekannt, dass die Dauer der Ausscheidung von verschiedenen Faktoren abhänge: Alter und Schwere der Erkrankung, aber auch der Erregerstamm selbst könnten eine Rolle spielen.
So würden Kinder etwa Ehec tendentiell länger ausscheiden als Erwachsene - Patienten, die an Hus erkrankt sind, dagegen eher kürzer als Ehec-Infizierte ohne Hus. Derzeit untersucht das RKI in einer Studie, wie lange der Erreger bei den Trägern jeweils nachgewiesen werden kann. Experten gehen aus den Ergebnissen eines häufig vorkommenden Ehec-Stamms aber davon aus, dass die Ausscheidung von Keimen mitunter mehrere Wochen anhalten kann. Für Angehörige von Betroffenen bedeutet das eine zusätzliche Belastung, da die Angst einer Ansteckung immer mitschwingen könnte.
Die Generalempfehlung der Behörden lautet deshalb: Hygiene, Hygiene und nochmals Hygiene. Eine direkte Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist nach den Ermittlungen der Behörden zwar bisher nicht eindeutig nachgewiesen worden. Prinzipiell könnte der Ehec-Keim aber über eine Schmierinfektion weitergegeben werden, also wenn man sich die Hände nach dem Toilettengang nicht ordentlich wäscht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht jedenfalls einige Hinweise dafür, dass der aggressive Erreger über Menschen in die Nahrungskette gelangt sein könnte. Und: Husec 41 ist bisher in keinem Tier gefunden worden.
Noch rätseln die Behörden, wie Husec 41 auf die Sprossen des Biohofs in Bienenbüttel in Niedersachsen gelangen konnte. Schleppte ein Mitarbeiter die aggressiven Bakterien ein? War das Saatgut kontaminiert? Oder gibt es möglicherweise andere Quellen? Derzeit überprüft das niedersächsische Agrarministerium die Lieferwege für das Saatgut, das demnach aus Asien, Südeuropa und Deutschland stammt.
Bei Familie Flürenbock dürfte es derweil dauern, bis wieder Normalität in ihr Leben einkehrt. Ganze zwei Wochen dauerte es, bis der Familienvater vom zuständigen Gesundheitsamt überhaupt irgendeine offizielle Benachrichtigung bekam. Jetzt hat er sie: die Bestätigung, dass seine Kinder den Kindergarten bis auf Weiteres nicht betreten dürfen. Immerhin hat das Amt inzwischen reagiert und der Familie die Röhrchen für die Stuhlproben geschickt. Nun hofft Flürenbock, dass er und seine Kinder Ehec-negativ sind - und seine Söhne bald wieder in den Kindergarten dürfen.