Ehec-Epidemie Warum ein Super-Seuchenamt im Keim erstickt

Die Ehec-Seuche hält deutsche Mediziner und Behörden seit Wochen in Atem, die Suche nach dem Ursprung des Keims verläuft bisher erfolglos. Schon fordern Politiker, eine neue Super-Gesundheitsbehörde zu schaffen. Einige Experten halten das für Populismus.
Krankenhausmitarbeiter in Hamburg: Kritik an der Arbeit der Seuchenbekämpfer

Krankenhausmitarbeiter in Hamburg: Kritik an der Arbeit der Seuchenbekämpfer

Foto: Gero Breloer/ AP

Läuft in Deutschland etwas tatsächlich oder vermeintlich nicht nach einer vorher festgelegten Ordnung, passieren meist zwei Dinge: Es muss mindestens ein neues Gesetz, wenn nicht gar eine neue Behörde her. Und fast jeder fühlt sich berufen, seine Ratschläge beizusteuern.

Seit Wochen narrt der Ehec-Keim Mediziner und Politiker, die Suche nach der Quelle des Bakteriums ist bisher erfolglos verlaufen. Für Experten ist das keineswegs überraschend, denn bei den meisten bisherigen Ehec-Ausbrüchen blieb die Quelle unbekannt. "Dass man nichts findet", sagte Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), "ist völlig normal."

Das liegt nicht nur daran, dass die Suche nach einem Krankheitserreger in den gigantischen Lebensmittel-Warenströmen höchst knifflig ist. Beim aktuellen Ausbruch kommt hinzu, dass es bis zu zehn Tage dauern kann, ehe ein Patient nach der Ansteckung Krankheitssymptome entwickelt. Die Quelle des Keims - vielleicht Salatblätter, Sprossen, Tomaten oder Gurken - ist bis dahin meist entweder verspeist oder im Müll gelandet. Auch waren diesmal nicht wie bei bei früheren Ehec-Ausbrüchen vor allem Kinder betroffen, sondern in erster Linie Frauen, was die Seuche zu erkennen erschwerte.

Der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen findet es dennoch "inakzeptabel, dass man drei Wochen nach Ausbruch der Krise immer noch nicht weiß, woher der Erreger kommt". SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert "für besonders gefährliche Keime eine mobile Eingreiftruppe" - ungeachtet der Tatsache, dass das Berliner Robert Koch-Institut (RKI) eine solche Eingreiftruppe bereits besitzt. Sogar der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, hat einen epidemiologischen Ratschlag parat: Er fordert den Umbau des RKI "zur zentralen Seuchenpolizei in Deutschland".

Kritik am Föderalismus

Im Zentrum der Kritik am Ehec-Management steht einmal mehr der deutsche Föderalismus mit seinem berüchtigten Kompetenzwirrwar. Das scheint es bei der Bekämpfung der Ehec-Seuche auf den ersten Blick durchaus zu geben: Zwei Bundesministerien, drei Bundesinstitute, 32 Landesämter und die Städte und Landkreise mischen mit (siehe Grafik).

Seuchenbekämpfung: Die Kompetenzverteilung in Deutschland

Seuchenbekämpfung: Die Kompetenzverteilung in Deutschland

Foto: SPIEGEL ONLINE

Prompt fordert Hans-Michael Goldmann (FDP), Vorsitzender des Bundestags-Verbraucherausschusses, eine neue Superbehörde: Das Robert Koch-Institut (RKI), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) sollten zusammengelegt werden. Das RKI ist dem Gesundheitsministerium unterstellt, BfR und BVL dagegen dem Verbraucherschutzministerium. "Diese Art des Föderalismus", sagte Goldmann im SWR, sei bei der Bekämpfung von Ehec "nicht mehr zeitgemäß".

Allerdings gab es eine solche Superbehörde bereits: das Bundesgesundheitsamt (BGA), das 1994 nach einem Skandal um HIV-verseuchte Blutpräparate zerschlagen wurde. Die Auferstehung des Bürokratiemonstrums halten längst nicht alle Experten für ratsam. "Das BGA war so groß, dass es nicht mehr zu handhaben war", sagt Stephan Becker, Leiter des Instituts für Virologie der Universität Marburg. Kleinere Einheiten hält der Seuchenexperte für deutlich sinnvoller. "Der Ruf nach einer neuen Superbehörde bringt nichts."

Ähnlich äußert sich Lothar Wieler, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Tierseuchen an der Freien Universität Berlin: "Bei der BGA war zwar alles unter einem Dach, aber nicht unbedingt besser." Ein Nebeneinander mehrerer Behörden müsse nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. "Die Einrichtung einer Seuchenpolizei wäre völliger Unsinn", sagt Wieler. "Es kommt auf die Vernetzung und den Informationsaustausch an."

Verwirrende Kompetenzvielfalt

An dieser Stelle gibt es freilich noch einiges zu verbessern. So erkrankte spätestens am 1. Mai der erste Ehec-Patient an Durchfall - doch es dauerte 18 Tage, bis das RKI alarmiert wurde. Das Berliner Institut wird bei Seuchenfällen nicht selbst aktiv, sondern folgt dem Ruf aus den zuständigen Landesbehörden. Mitte Mai schickte das RKI die ersten Mitarbeiter nach Hamburg und begann mit der systematischen Befragung von Ehec-Patienten. Das Ergebnis waren die Warnungen vor rohen Gurken, Tomaten und Salat - die meisten Erkrankten hatten diese Lebensmittel gegessen.

Für die Lebensmittelkontrolle aber sind die Länder verantwortlich - unter Koordination einer weiteren Bundesbehörde, des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Länder sind ihrerseits auf die Zuarbeit der Städte und Landkreise angewiesen: Sie "legen die Zahl ihrer Stichproben dabei nach Höhe des Risikos fest", so das Verbraucherministerium. Bereits im Skandal um Dioxin in Futter und Lebensmitteln Anfang des Jahres stand die Lebensmittelkontrolle in der Kritik - zu unkoordiniert, zu schwach besetzt, hieß es damals.

Wieler schlägt nun vor, ein elektronisches Meldesystem einzurichten: Sobald ein Arzt vor Ort eine meldepflichtige Erkrankung diagnostiziert, erfährt das RKI davon und könnte so blitzschnell Seuchenherde erkennen. SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach will das RKI zudem mit mehr Kompetenzen ausstatten - beispielsweise dem Recht, wie die Bundeswehr "Reservisten" heranzuziehen, in diesem Fall Spezialisten von Universitäten.

Vorbild USA?

Ein Vorbild könnten die USA sein. Als im Herbst 2009 die Schweinegrippe weite Teile des Landes im Griff hatte, erklärte Präsident Barack Obama den nationalen Notfall. Das erlaubte Mitarbeitern von Gesundheitsbehörden, sich über bestimmte Regierungsrichtlinien hinwegzusetzen, wenn sie dies im Interesse der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung für nötig hielten - etwa Impfungen auch außerhalb von Krankenhäusern durchzuführen.

Zugleich aber zeigte sich, dass auch die Existenz einer mächtigen Zentralbehörde wie der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nicht immer vor organisatorischen Problemen schützt. So standen in US-Städten Tausende Schlange, um sich gegen das Schweinegrippe-Virus impfen zu lassen - oft vergeblich, weil es massive Engpässe bei der Impfstofflieferung gab.

Ein Großteil der Kritik, die jetzt über den deutschen Seuchenbekämpfern niedergeht, entzündet sich an den Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln, noch bevor es endgültige Beweise gab. Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen etwa hält es für "unglücklich", dass einzelne Landesminister mit Befunden vorgeprescht seien. Auch EU-Gesundheitskommissar John Dalli warnte vor vorschnellen Informationen durch Behörden. Infektionsquellen sollten nicht angegeben werden, solange diese nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt seien.

"Gesundheit hat Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen"

Mediziner widersprechen dem vehement. "Insgesamt war der Umgang mit den Warnungen in Ordnung", meint der Marburger Virologe Becker. Wenn es um eine potentiell tödliche Krankheit gehe, habe die Gesundheit der Menschen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen. Zwar hätten sich die einzelnen Landesminister besser abstimmen müssen, sagt Becker - "aber sie stehen auch unter enormem Druck".

Gesundheitspolitiker können nur verlieren, wenn eine Seuche grassiert und die Erkenntnislage noch unklar ist: Warnen sie zu spät, riskieren sie Menschenleben. Warnen sie zu früh, riskieren sie wirtschaftliche Schäden und den Vorwurf der Panikmache. Schlauer ist man immer erst hinterher.

Die Kritiker unterscheiden zudem kaum zwischen der Kommunikation nach außen und der nach innen. Zwar haben Landes- und Bundesminister, Instituts- und Behördenleiter diverse Warnungen ausgesprochen und dabei selten mit einer Stimme gesprochen. Doch das läuft zunächst nur dem Wunsch der Öffentlichkeit nach schnellen und einfachen Antworten zuwider. Ob es die Kommunikation zwischen den Seuchenbekämpfern und damit die Eindämmung der Seuche behindert hat, ist keineswegs ausgemacht.

Immerhin scheint das Problem der verwirrenden Außendarstellung auch die Parteien zu betreffen, die das Kommunikationswirrwarr kritisieren. Das Krisenmanagement der Bundesregierung sei "miserabel", sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Die betroffenen Betriebe und Unternehmen würden mit ihren Sorgen im Stich gelassen.

Künasts Parteifreund Johannes Remmel klang ganz anders: Die Lebensmittelkontrollen seien von den Kommunen gut koordiniert, die Abstimmung mit den Landesbehörden eng und gut organisiert. "Ich wüsste nicht", sagte der NRW-Verbraucherschutzminister im ARD-"Morgenmagazin", "wie aus Berlin die konkrete Probennahme in Betrieben organisiert werden sollte."

Mit Material von dpa und AFP
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