Ehec Russland stoppt Gemüse-Einfuhr aus EU-Ländern

Die Anzahl der Ehec-Infizierten beunruhigt Mediziner. Nun versucht Russland, seine Bürger mit drastischen Maßnahmen zu schützen: Gemüse aus der EU darf nicht mehr eingeführt werden. Die EU-Kommission nennt die Entscheidung "unverhältnismäßig".
Verkaufsstand mit Gemüse: Gesundheitswarnung vor spanischen Gurken aufgehoben

Verkaufsstand mit Gemüse: Gesundheitswarnung vor spanischen Gurken aufgehoben

Foto: dapd

Moskau - Russland macht seine Grenzen für Gemüse aus der EU dicht: Der Leiter der Verbraucherschutzbehörde, Gennadi Onischtschenko, sagte der Nachrichtenagentur Interfax, das Einfuhr-Verbot für frisches Gemüse aus allen EU-Ländern sei am Donnerstagmorgen in Kraft getreten. Bereits eingeführtes Gemüse solle im ganzen Land aus den Regalen genommen werden. Grund für die Verschärfung sei die andauernde Ausbreitung des Darmkeims, sagte Onischtschenko. Am Montag hatte Russland bereits ein Import-Stopp für Gemüse aus Deutschland und Spanien verhängt.

Die EU-Kommission fordert von Russland einer Erklärung für den Importstopp. Die Entscheidung der Behörden sei "unverhältnismäßig", sagte der für Gesundheit zuständige Sprecher der EU-Kommission, Frederic Vincent, am Donnerstag in Brüssel. "Die Kommission wird einen Brief an die russischen Behörden schreiben, um eine Erklärung zu verlangen." Pro Jahr werde frisches Obst und Gemüse im Wert "zwischen drei und vier Milliarden Euro" nach Russland exportiert, in erster Linie Äpfel.

Die EU-Kommission hatte am Mittwochabend eine Gesundheitswarnung vor spanischen Gurken aufgehoben. Tests in Deutschland hatten ergeben, dass es sich bei den auf einigen Gurken gefundenen Bakterien nicht um den Auslöser der schweren Erkrankungen handle. Auch Tests der spanischen Behörden seien negativ ausgefallen.

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger, betonte, es gebe keinen Anlass für Entwarnung. Erst in einigen Tagen werde sich zeigen, ob die Warnungen vor rohem Gemüse die Infektionen gebremst haben. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfahl, vorsorglich weiter auf rohe Tomaten, Salatgurken und Blattsalate zu verzichten. Die Suche nach der Ursache für den Ausbruch der Krankheit läuft intensiv - doch bislang ohne Erfolg.

Zahl der Ehec-Verdachtsfälle steigt rapide

Unterdessen steigt die Zahl der Ehec-Infizierten und Verdachtsfälle rapide. Bundesweit erhöhte sie sich binnen eines Tages von rund 1500 auf 2000. Niedersachsen meldete einen weiteren EHEC-Todesfall durch das von EHEC ausgelöste hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). In der Nacht zum Donnerstag starb in Hamburg eine ältere Patientin. HUS kann zu lebensgefährlichen Nieren- und Nervensystemschäden führen. Damit sind bundesweit 17 Todesfälle registriert, 14 davon waren Frauen.

Niedersachsen meldete am Mittwoch 344 Verdachtsfälle - 80 mehr als am Vortag. In Hamburg kletterte die Zahl um 119 auf 668 bestätigte oder Verdachtsfälle. In Schleswig-Holstein bereitet den Ärzten ein starker Anstieg neurologischer Komplikationen Sorgen. "Wir haben Patienten, die überhaupt keinen Durchfall haben, aber schwere neurologische Symptome", schilderte der Kieler Klinikdirektor Ulrich Kunzendorf. Ein Beispiel seien etwa epileptische Anfälle.

Sprachstörungen, Epilepsien, Krampfanfälle - die Palette der neurologischen Folgen ist groß: Der Ehec-Keim ist besonders aggressiv. Mitunter kommt es zu unerwarteten Krankheitsverläufen. Deutsche Mediziner sind ratlos - und Forscher zweifeln, ob sie die Quelle für die Infektionen jemals finden werden. Etwa drei bis vier Tage nach Beginn des HU-Syndroms würden die Hirnstörungen auftreten, sagte der Direktor der Medizinischen Klinik I am Standort Lübeck des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Hendrik Lehnert. Wer Glück hat, muss lediglich Kopfschmerzen ertragen. Anderen Patienten ergeht es weitaus schlechter.

Einzige Hoffnung in solchen Fällen macht derzeit ein Antikörper, der an verschiedenen Kliniken getestet wird. Am Freitag wollen die Zentren in Hamburg, Hannover und Kiel die ersten Ergebnisse auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie vorstellen. Noch aber ist Skepsis geboten, bisher kennt man etwa mögliche Nebenwirkungen nicht. Vorsichtig optimistisch hatte sich bereits Hermann Haller, Direktor der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) geäußert: "Es nützt etwas, aber es ist kein Wundermittel."

Bauern fordern Entschädigung

Die Gemüse-Branche fordert immer stärker Entschädigungen und Kompensationen für Bauern. EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos hat angekündigt, rechtliche Möglichkeiten für Kompensationen betroffener Landwirte auszuloten.

Nach Ansicht der Branche hat die neue Ungewissheit die Lage der Gemüsebauern verschärft. Der Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) zufolge trägt die Kaufzurückhaltung - auch bei anderem Gemüse - zu Umsatzeinbußen von ungefähr vier Millionen Euro pro Tag bei.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, forderte einen finanziellen Ausgleich von der Bundesregierung und der EU für die angeschlagenen Betriebe. "30 Millionen Euro Einbußen sind nicht verkraftbar", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstag). Viele Betriebe stünden wegen der Angst der Verbraucher vor dem EHEC-Erreger vor dem Ruin.

anr/dpa/AFP/dapd
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