Erschöpfungssyndrom Regelmäßige Aktivität soll Müdigkeit kurieren

Müdigkeit (Symbolbild): "Neben der chronischen Erschöpfung auch noch eine Depression"
Foto: DDP"Nach ein paar Stunden Schlaf fühlst du dich wie neugeboren." Die heilsame Wirkung des Schlafs ist unbestritten, dennoch gibt es Menschen, denen dieser oft zitierte Spruch wie Hohn in den Ohren klingen muss: Sie leiden unter dem sogenannten Chronischen Erschöpfungssyndrom, abgekürzt CFS ("Chronic Fatigue Syndrom"). Egal wie oft, wie tief und wie lange diese Menschen schlafen - schon geringe körperliche oder geistige Aktivitäten sorgen bei ihnen für einen tiefen, langanhaltenden Erschöpfungszustand.
Das Krankheitsbild ist sehr komplex und noch wenig bekannt. Deshalb dauert es manchmal lange, bis ein Patient die Diagnose CFS erhält.
"Anhaltende Müdigkeit und dauernde Erschöpfung können viele verschiedene Ursachen haben", sagt Bernd Löwe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. "Herz- oder Lungenkrankheiten kommen beispielsweise ebenso in Frage wie Krebserkrankungen, Virusinfektionen, Depressionen oder eine Schilddrüsenunterfunktion." Erst wenn alle bekannten körperlichen und psychischen Erkrankungen ausgeschlossen werden können, sprechen Mediziner vom Chronischen Erschöpfungssyndrom.
"Außerdem muss dieser Zustand über mindestens sechs Monate hinweg bestehen. Häufig wird er von weiteren Symptomen begleitet, etwa von unerklärlichen Muskel- oder Gelenkschmerzen oder Spannungskopfschmerz", sagt Löwe.
Unklare Fallzahlen
Weil es sich um eine Ausschlussdiagnose handelt, haben die meisten CFS-Patienten eine wahre Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich - und sind danach nicht selten resigniert und verbittert. Verständlicherweise, denn neben ihren körperlichen Beschwerden erleben viele immer wieder Zurückweisung und mangelndes Verständnis vonseiten unwissender Ärzte, hilfloser Angehöriger sowie zweifelnder Arbeitgeber oder Kollegen. "Das führt bei einigen Patienten dazu, dass sich nach einiger Zeit neben der chronischen Erschöpfung auch noch eine Depression entwickelt", sagt Löwe.
Für viele bringt die Diagnose CFS sogar Erleichterung - weil das Leiden anerkannt wird und es auch andere Betroffene gibt. Allerdings ist unklar, wie viele CFS-Patienten es in Deutschland eigentlich gibt: Die letzten offiziellen Zahlen des Gesundheitsministeriums stammen von 1994. Damals gingen die Experten von rund einer Million Erkrankten aus. Die Zahl ist nicht unumstritten. "Wenn man nur die Abrechnungsdaten der Krankenkassen betrachten würde, wären es zwar deutlich weniger Betroffene. Wir gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus, weil CFS häufig nicht erkannt oder als anderes Krankheitsbild codiert wird, etwa als Depression", erklärt Ursula Marschall von der Barmer GEK.
Medikamente können Betroffenen keine Linderung bringen. "Zwar kann man eine hinzugekommene Depression medikamentös behandeln, nicht aber das Chronische Erschöpfungssyndrom an sich", sagt Marschall. "Die einzige Therapie, die langfristig tatsächlich Besserung bringen kann, hört sich für die meisten Betroffenen zunächst wie ein Widerspruch an: Statt sich zu schonen, soll der ohnehin schon erschöpfte Patient nun erst recht aktiv werden."
Aktivitätsplan mit Tagesaufgaben
Wer ständig müde sei, vermeide instinktiv so viel Belastungen wie möglich. Und das führe zum einen zu einer körperlichen Verschlechterung - weil zum Beispiel Muskeln abgebaut werden und die Ausdauer nachlässt: "Darüber hinaus ziehen sich viele Betroffene nach und nach aus dem sozialen Leben zurück und beschäftigen sich nur noch mit sich und ihrer Krankheit. Dadurch können die Symptome verstärkt werden und sich immer mehr verfestigen."
"Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen", stimmt Bernd Löwe zu: "In der Therapie wird gemeinsam mit dem Betroffenen ein Aktivitätsplan aufgestellt, der sich an der individuellen Belastbarkeit orientiert." Eine Tagesaufgabe kann etwa darin bestehen, nachmittags zum Sport zu gehen, abends mit Freunden ins Kino, im Extremfall aber auch darin, morgens überhaupt aufzustehen. "Schlafen am Tag ist in der Therapie weitgehend tabu", sagt Löwe. "Abgesehen davon, dass Schlafen bei CFS keine Erholung bringt, soll ein fester Tagesrhythmus geschaffen werden."
Der Patient hat den Behandlungserfolg weitgehend selbst in der Hand. Dafür muss er sich Tag für Tag überwinden, die bleierne Müdigkeit zu ignorieren. Kampfgeist und Durchhaltevermögen seien schon aufgrund der Therapiedauer notwendig, sagt Löwe. Spürbare Erfolge würden sich meist erst nach einigen Monaten einstellen: "Nach und nach rückt so das anfangs ferne Ziel in greifbare Nähe: Nach einem anstrengenden Tag ins Bett fallen und am nächsten Morgen erholt aufwachen, fit, leistungsfähig und voller Tatendrang.