Forscherstreit WHO lehnt Zensur der Supervirus-Daten ab

Die Debatte über das hochgefährliche, im Labor gezüchtete Grippevirus geht weiter: Das US-Gremium für Biosicherheit rät dringend zu einer Zensur der Studienergebnisse. Die WHO jedoch fordert eine vollständige Veröffentlichung aller Daten - aber auf keinen Fall sofort.
Von Cinthia Briseño
WHO-Sonderberater Keiji Fukuda (Archivbild, 2.v.l.): "Wir brauchen mehr Zeit"

WHO-Sonderberater Keiji Fukuda (Archivbild, 2.v.l.): "Wir brauchen mehr Zeit"

Foto: A1885 epa Keystone Trezzini/ dpa

Es ist das umstrittenste Forschungsprojekt dieser Tage. Eines, das etliche Fragen nach sich zieht: Wie weit dürfen Wissenschaftler gehen? Dürfen sie ein Grippevirus künstlich im Labor erschaffen, das nicht nur extrem aggressiv, sondern auch höchst ansteckend ist - und so zur weltweiten Gefahr werden könnte? Und wenn ja, dürfen die wissenschaftlichen Ergebnisse auch publik gemacht werden?

Im Fall der Erforschung einer hochgefährlichen Vogelgrippevirus-Variante, die von niederländischen und US-amerikanischen Forschern im Labor gezüchtet wurde, zögert die Fachwelt seit Monaten, diesen Schritt zu gehen. Aus Angst vor dem möglichen Missbrauch der Daten durch Bioterroristen, und aus Angst, das Virus könnte auch innerhalb der Forschergemeinde in die falschen Hände geraten und aus den Hochsicherheitslaboren entfleuchen.

In die Debatte hat sich jüngst auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeschaltet. Zwei Tage lang brütete ein erlauchter und anonymer Expertenkreis in Genf darüber, wie man wohl am besten mit den Forschungsresultaten umzugehen habe.

Am Freitagabend gab WHO-Sonderberater Keiji Fukuda die Ergebnisse aus den Beratungen in einer telefonischen Pressekonferenz bekannt: Ja, sagte Fukuda, bei allen Mitgliedern der WHO-Gruppe herrsche Konsens darüber, dass die Daten vollständig und vollumfänglich veröffentlicht werden sollten. Zwar sei es jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür, aber eine Zensur oder Kürzung der Daten lehne man ab.

Die WHO forderte mehr Zeit - und eine Verlängerung des Moratoriums, das sich die Virologen-Gemeinde kürzlich auferlegt hatte: 60 Tage lang wollte man mit den Arbeiten an dem neuen und gefürchteten H5N1-Virus pausieren. Die WHO bittet nun um eine Verlängerung dieser Pause.

Erst müssen alle Fragen zur Sicherheit geklärt werden

Man müsse, so die Strategie, die Fukuda verkündete, die Öffentlichkeit voll umfänglich über die möglichen Risiken informieren, bevor man die Ergebnisse in den Fachjournalen veröffentliche. "Die Diskussion in der letzten Zeit hat gezeigt, dass die Sorgen über die veränderten Viren sehr groß sind, und dass noch etliche Fragen über die Sicherheit offen sind", sagte Fukuda. "Diese Fragen müssen wir erst alle beantworten."

Doch letztlich sei es von großer Bedeutung, dass die weltweite Forschergemeinde Zugang zu den Daten erhalte. "Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Studien haben gezeigt, dass das Risiko einer Pandemie durch veränderte H5N1-Viren sehr groß ist", so Fukuda. Auch die Viren in freier Wildbahn könnten sich schnell verändern und zu einer Gefahr für die Menschheit werden. "Die Forschung muss deshalb weitergehen", sagte Fukuda. "Wir müssen dringend unsere Wissenslücken schließen und verstehen, wie H5N1 funktioniert und wie diese Viren gefährlicher werden."

Gleichzeitig sprach sich Fukuda jedoch dagegen aus, dass die Wissenschaftler die im Hochsicherheitslabor gezüchtete H5N1-Variante - sie ist zumindest bei Frettchen sehr tödlich und höchstansteckend zugleich - aus den Händen geben. "Die Viren müssen dort bleiben wo sie sind", sagte Fukuda.

Zudem fordert die WHO, dass sich bald weitere Expertengremien zusammensetzen, um das künftige Prozedere zu besprechen. Wie informiert man die Öffentlichkeit ausreichend? Was sind die Fragen, die es noch zu beantworten gilt? Man müsse erst sämtliche Sicherheitsaspekte klären, so Fukuda.

Darunter zähle etwa der Umgang mit solchen Viren. So müsse vollständig geklärt werden, ob die Standards in den Hochsicherheitslaboren wirklich ausreichend sind, um zu verhindern, dass die Viren versehentlich in die Umwelt gelangten.

Darüber, wie man mit dem Aspekt des möglichen Bioterrorismus umgehen muss, sagte Fukuda nur: "Wir sind nicht die richtige Gruppe, um das zu entscheiden." Andere Experten müssten sich zu diesem Thema Gedanken machen. Genau deshalb fordere man die Verlängerung des Moratoriums.

Die Befürwortung der Veröffentlichung der Daten seitens der WHO steht im Widerspruch zur Meinung des Gremiums der US-Regierung für Biosicherheit NSABB, das sich im Dezember für eine Redigatur der Ergebnisse ausgesprochen hatte. Wie lange man das Moratorium genau verlängern müsse, sagte Fukuda nicht. Er mahnte aber zum raschen Handeln. "Innerhalb der nächsten Monate sollten wir die Diskussionen abgeschlossen haben."

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