Neuer GBA-Chef Josef Hecken Mächtiger als der Minister

Kenner halten Josef Hecken für einflussreicher als den Gesundheitsminster. Der neue Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses erklärt im Interview, wie sein Gremium Entscheidungen für mehr als 70 Millionen Krankenversicherte trifft. Und warum er besonders beim Kampf gegen Krankenhauskeime Druck macht.
GBA-Chef Josef Hecken: Plötzlich unparteiisch

GBA-Chef Josef Hecken: Plötzlich unparteiisch

Foto: GBA

Im Herbst 2009 galten Sie als heißer Kandidat für den Posten des Bundesgesundheitsministers. Enttäuscht, dass es damals nicht geklappt hat?

Josef Hecken: Quatsch. Derartige Diskussionen werden doch immer geführt. Da wird geschaut, wer die freie Stelle füllen könnte, die möglichen Kandidaten werden in den Medien durchdekliniert. So etwas ist immer hochspekulativ.

SPIEGEL ONLINE: Hat es Ihnen in ihrem letzten Job nicht gefallen? Immerhin waren Sie Staatsekretär im Familienministerium.

Hecken: Doch, natürlich. Aber mich reizen Herausforderungen - und die bietet der Vorsitz des GBA. Ich habe schon viele Jahre gesundheitspolitisch gearbeitet, aber meist auf hohem Abstraktionsniveau. Ich habe mich nach so einer Aufgabe gesehnt, bei der ich das Geschehen konkret mit gestalten kann.

SPIEGEL ONLINE: Für jemanden, der mit 39 Jahren bereits einmal in den Ruhestand versetzt wurde, sind Sie gut im Geschäft.

Hecken: Der Ruhestand währte nur einen Tag, das war eine Sammelpensionierung im November 1998. Betroffen waren alle Ministerialdirektoren und Staatssekretäre, die damals im Amt waren. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat uns alle pensioniert. Auf so viel Gartenarbeit hatte ich dann aber keine Lust.

SPIEGEL ONLINE : Der Gemeinsame Bundesausschuss ist ein Gremium, das enormen Einfluss auf das Gesundheitssystem in Deutschland hat - und damit auf jeden einzelnen der 70 Millionen Versicherten im Land. Trotzdem wissen die wenigsten etwas von seiner Existenz. Bedauern Sie diese Unsichtbarkeit?

Hecken: Ich ziehe mein Ego nicht daraus, dass möglichst viele Menschen wissen, was ich tue.

SPIEGEL ONLINE : Sie erklären nie, wie viel Macht mit Ihrem Job verbunden ist?

Hecken: Das habe ich nur einmal getan: Als ich vom Regierungsdirektor in Rheinland-Pfalz zum Ministerialrat im Bundesarbeitsministerium befördert wurde. Ich war sehr stolz - mit Mitte Dreißig war ich immerhin der jüngste Ministerialdirektor Deutschlands. Mein Vater dachte aber: Vom 'Direktor' zum Rat' - der Junge hat irgendetwas verbrochen. Ich habe ihm dann erklärt, dass alles in Ordnung ist.

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Gemeinsamer Bundesausschuss: Mächtiger Entscheider im Gesundheitssystem

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SPIEGEL ONLINE : Wird der GBA mit Ihnen jetzt schneller und einflussreicher? Das war jedenfalls Ihr Plan, als Sie Präsident des Bundesversicherungsamts wurden.

Hecken: Wichtig ist, dass der GBA für die mehr als 70 Millionen Krannkenversicherten in Deutschland relevante Entscheidungen trifft. Wir sind schließlich das entscheidende Gremium der Selbstverwaltung von Ärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen. Während der Gesetzgeber den Rahmen vorgibt, ist es unsere Aufgabe, für die alltagspraktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu sorgen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind seit über 30 Jahren CDU-Mitglied. Wird der GBA mit Ihnen jetzt politischer?

Hecken: Der GBA war und ist nicht parteipolitisch - das wäre absurd. Schneller können wir sicherlich werden, etwa wenn es darum geht, Richtlinien zu verabschieden, in denen festgelegt ist, wie chronisch kranke Menschen behandelt werden. Oder in der Frage, nach welchen Qualitätsstandards in Zukunft der Kampf gegen die Krankenhauskeime geführt werden soll.

SPIEGEL ONLINE: Was erreicht ein GBA-Vorsitzender im Kampf gegen Krankenhauskeime?

Hecken: Wenn ich solche Arbeitsgruppen leite, werde ich die Zeitpläne setzen und generell darauf achten, dass die Themen nicht versanden. Es kann nicht sein, dass Manches über vier Jahre im GBA behandelt wird, bevor es als Richtlinie unser Haus verlässt. Ich erwarte, dass die Vertreter der Kassen, Ärzte und Krankenhäuser in den Ausschüssen bereit sind, sich zu einigen und nicht ewige Schleifen drehen. Im Zweifelsfall kann ich auf eine Entscheidung hinwirken - oder als Unparteiischer von der ausschlaggebenden 13. Stimme Gebrauch machen.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrer bisherigen Karriere haben Sie stets Posten bekleidet, in denen Sie Stellung beziehen mussten. Nun sollen Sie der Unparteiische sein und in Konflikten die entscheidende 13 Stimme nutzen. Kann man das, so einfach umschalten?

Hecken: Mit der Stimme werde ich natürlich nicht ständig winken. Die Unparteilichkeit ist für mich kein Problem - da geht es ja vor allem um die Fälle, in denen sich die verschiedenen Bänke hier im Haus in einem Entscheidungsprozess verhakt haben. Wenn sich dadurch der Prozess verzögert, dann greife ich ein. Wir haben kein Erkenntnisdefizit in unserem Gesundheitssystem, sondern eines in der Umsetzung.

SPIEGEL ONLINE: Sie legen einfach einen Schalter um, und können plötzlich unparteiisch sein?

Hecken: Ich habe mich nie streng an Parteilinien gehalten. Mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD habe ich den Gesundheitsfonds eingeführt, da hieß es auch zu Beginn: Das schafft er nicht, das Projekt fährt vor die Wand. Oder die DocMorris-Entscheidung, da wurde auch nicht mit harscher Kritik gespart.

SPIEGEL ONLINE: Wo werden Sie von Ihrer Entscheidungsmacht Gebrauch machen?

Hecken: Wenn es nötig ist. Etwa bei der Novellierung der Bedarfsplanungs-Richtlinie. Diese Bestimmung regelt, wie viele Ärzte wo eingesetzt werden: Wo braucht man noch mehr Hausärzte, wo gibt es zu viele. Das ist sehr wichtig und von allen gewollt, etwa um zu verhindern, dass es auf dem Land eine medizinische Unterversorgung gibt. Die Politik hat uns auch einen Termin gesetzt - doch jetzt beginnen die verschiedenen Interessenvertreter, sich in den Fachdiskussionen zu verheddern. Hier werde ich auf die Einhaltung des Zeitplans achten und wenn nötig Druck machen.

SPIEGEL ONLINE: Werden die Arzneimittelhersteller es mit Ihnen einfacher haben? Die Konzerne kritisieren, dass im Fall der Nutzenbewertung für neue Arzneimittel oft sehr günstige Medikamente als Vergleich genutzt werden. Das mache ihnen die Preise kaputt.

Hecken: Wir können uns nicht an den vorhergesehenen Umsatzerwartungen eines Herstellers orientieren, wenn wir den Nutzen eines Arzneimittels bewerten. Da geht es allein darum, ob es den Patienten überhaupt oder besser nützt. Und diese Bewertung erfolgt in einem wissenschaftlichen Prozess.

SPIEGEL ONLINE: Der GBA wird als übereifriges Gremium beschrieben, das Innovationen verdammt und Forschung in Deutschland unmöglich macht. Kommen Sie gegen diese Kritik an?

Hecken: Wir haben mittlerweile mehr als ein halbes Jahr Erfahrung in der Bewertung neuer Arzneimittel und viele Irritationen klären können. Und wenn wir eine Innovation mit einem Generikum vergleichen, heißt das doch nicht, dass wir alles ablehnen. In den bislang erfolgten 20 Bewertungen neuer Arzneimittel haben wir den Produkten in zwei Fällen einen beträchtlichen Zusatznutzen attestiert und in insgesamt 14 Fällen konnte ein Zusatznutzen bestätigt werden - zumindest für einen Teil der Patienten. Wenn in lediglich acht Bewertungen kein Zusatznutzen zugesprochen werden konnte, war dieser entweder nicht belegt, oder die erforderlichen Nachweise lagen dem GBA nicht vor. Die Behauptung, man würde erst alles kaputt prüfen und aus Kostengründen alle Innovationen ablehnen, ist vor diesem Hintergrund ohne Substanz.

Das Gespräch führte Nicola Kuhrt

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