Gefährliche Darmbakterien Ehec-Mysterium ängstigt die Welt

Bakteriologe Rohde vom Uni-Krankenhaus Hamburg-Eppendorf, Auszug des Ehec-Genoms
Foto: Marcus Brandt/ dpaMoskau/Hamburg - Deutschen und chinesischen Forschern ist ein wichtiger Schritt gelungen: Sie kennen nun den Feind, der in Deutschland schon 17 Menschen das Leben gekostet hat. Das für den Ausbruch der Durchfallerkrankungen verantwortliche Ehec-Bakterium ist offenbar keine reine Mutation des seltenen Serotyps O104:H4. Vielmehr handelt es sich bei dem jetzt identifizierten Bakterium vermutlich um eine Kreuzung aus zwei bekannten Serotypen des Escherichia-coli-Bakteriums.
Es sei also kein völlig neuer Erregertyp, sondern eine Art Hybrid-Klon, der Eigenschaften unterschiedlicher Erreger in sich vereine, betonte der Mikrobiologe Helge Karch von der Uniklinik Münster. Er leitet das sogenannte Konsiliarlabor für das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS), also der besonders schweren Verlaufsform der Krankheit. Die Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf betonte, dieser Hybrid-Klon sei vor dem jetzigen Ausbruch noch nie beobachtet worden.
In dem untersuchten Genom seien Teile des klassischen Erregers sowie von einem weiter entfernten Erreger gefunden worden, erklärte der Bakteriologe Holger Rohde vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf am Donnerstag. Die beteiligten chinesischen Forscher benannten das andere Bakterium als einen Stamm, den man von Ausbrüchen in Afrika her kenne.
Das neue Bakterium weist die gleichen Oberflächenmerkmale auf wie der seltene Serotyp O104:H4, weshalb es vom Münsteraner Konsiliarlabor des Robert-Koch-Instituts als solches identifiziert wurde. Zusätzlich hat es aber im Laufe der Zeit Gene eines anderen Escherichia-coli-Stamms erworben. Das könnte seine Aggressivität möglicherweise erklären.
Für die Entstehung des Hybrid-Klons haben allem Anschein nach zwei Bakterien Teile ihrer Erbsubstanz miteinander ausgetauscht - über eine Art primitiven Sex. Damit gehen Eigenschaften eines Keimes auf andere über, es kommt zu Mischformen, auch Chimären genannt, erläuterte Bakteriologe Rohde.
Ehec-Fälle in zehn Ländern Europas
Nach WHO-Angaben haben bisher zehn europäische Länder Ehec-Fälle gemeldet: Aus Schweden wurden 28 Infizierte gemeldet, sieben aus Dänemark, sechs aus Frankreich, vier aus den Niederlanden, zwei aus Großbritannien, zwei aus Österreich und zwei aus der Schweiz. Ein Mensch erkrankte in Norwegen, einer in Spanien. Alle Erkrankten sollen im Zusammenhang mit dem Ausbruch in Deutschland stehen, sollen sich in Norddeutschland aufgehalten haben. In Deutschland liegt die Zahl der Infektionen und Verdachtsfälle derzeit bei rund 2000.
Angesichts dieser Zahlen und des teils drastischen Verlaufs der Krankheit wächst in vielen anderen Ländern die Angst vor Ehec. Russland will nun seine Grenzkontrollen verschärfen, Reisende aus der EU und vor allem aus Deutschland sollen auf mögliche Symptome überprüft werden, hieß es am Donnerstag. Seit Ende Mai seien an Grenzübergängen und Flughäfen insgesamt rund 46.000 Menschen kontrolliert worden, teilte die russische Verbraucherschutzbehörde in Moskau mit. Bislang habe es keine Verdachtsfälle gegeben. Wie die Gesundheit der Reisenden getestet wird, teilte die Behörde nicht mit. Während der Schweinegrippe waren Ärzte in Schutzkleidung auf dem Rollfeld in die Flugzeuge gekommen und hatten mit Laserpistolen die Temperatur der Reisenden gemessen.
Russland hat auch den Import von Gemüse aus der Europäischen Union gestoppt - was in Brüssel auf scharfe Kritik stieß. Ein Sprecher der EU-Kommission verlangte eine Erklärung für diesen "unverhältnismäßigen Schritt". Alexander Lukaschewitsch, Sprecher des russischen Außenministeriums, kündigte am Donnerstagnachmittag eine Erklärung entsprechend der internationalen Gepflogenheiten an. Diese sei bereits verfasst und auf den Weg gebracht. "Natürlich", so Lukaschewitsch, "will niemand krank werden. Dies ist eine ganz natürliche Schutzmaßnahme."
Drohen weitere Einfuhrstops für EU-Waren?
Russland wirft der EU vor, bei der Eindämmung des Ehec-Ausbruchs nicht konsequent genug vorzugehen. Die europäischen Hygienevorschriften, so Lukaschewitsch gegenüber RIA Novosti, hätten sich als nicht wirksam erwiesen. Gennadi Onischtschenko, der Leiter der russischen Verbraucherschutzbehörde, die den Einfuhr-Bann gegen Gemüse aus der EU verkündet hatte, fragte gegenüber der gleichen Agentur: "Wie viele Leben europäischer Bürger braucht es noch, um die Offiziellen der EU dazu zu bringen, das Problem anzugehen?"
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate erklärten einen Einfuhrstop für Gurken aus Deutschland, Spanien, Dänemark und den Niederlanden. Dubai dehnte den Bann auch auf Salat und Tomaten aus. Auch Saudi-Arabien erwägt Einfuhrbeschränkungen für Gemüse aus Europa. Diskussionen über solche Maßnahmen gibt es in zahlreichen weiteren Ländern, selbst innerhalb der EU: In Bulgarien verwahrte sich der Landwirtschaftsminister gegen entsprechende Forderungen. Für einen Einfuhrstop innerhalb des Binnenmarktes fehle die rechtliche Grundlage.
Zahlreiche Länder warnen ihre Reisenden inzwischen vor dem Verzehr von Obst und Frischgemüse, wenn sie in Europa unterwegs sind. Offenbar ausnahmslos alle Erkrankten, die in Ländern außerhalb Deutschlands behandelt werden, hielten sich noch vor kurzem hier auf, die meisten davon in Norddeutschland.
Viele Gesundheitsexperten befürchten in den kommenden Tagen das Auftreten von Ehec-Erkrankungen in weiteren Ländern. In Singapur hat das Gesundheitsministerium alle Ärzte des Landes angewiesen, nach Symptomen von Ehec-Infektionen Ausschau zu halten und diese umgehend an das Ministerium zu melden.