Genom-Analyse Forscher entziffern erstmals Erbgut einer ganzen Familie

DNA-Doppelhelix: "Die Mutationsrate ist unsere Uhr"
Foto: DPA/ QuiagenAlles begann mit Gregor Mendel. Mitte des 19. Jahrhunderts begründete der Augustinermönch mit seinen Erbsen-Kreuzungsversuchen die Genetik. Mendel erstellte Stammbäume und erforschte, wie Merkmale über Generationen vererbt werden.
Die nach Mendel benannten mendelschen Vererbungsgesetze galten aber nicht nur für Erbsen, sondern auch für Menschen - und so manche ihrer Erbkrankheiten. Mukoviszidose, Chorea Huntington, Rot-Grün-Blindheit, Bluterkrankheit sind nur einige Beispiele für Krankheiten, bei denen Humangenetiker anhand von Familienstammbäumen das Erkrankungsrisiko für eine Personen mit familiärer Belastung ermitteln können.
Parallel zur klassischen entwickelte sich die molekulare Genetik seit dem 20. Jahrhundert weiter: DNA als Träger des Erbguts wurde entdeckt, der genetische Code entschlüsselt und im Jahr 2003 mit dem Human Genome Project schließlich das Erbgut des Menschen erstmals vollständig entziffert. Die Preise für das Lesen eines Genoms befinden sich seitdem im freien Fall. Drei Milliarden US-Dollar kostete das Human Genome Project. Der derzeit niedrigste Preis für eine Genomsequenzierung beträgt 4400 Dollar. Erklärtes Ziel der Molekularbiologen ist es, die 1000-Dollar-Marke zu knacken. Irgendwann wird dann jeder einmal seinen Erbgutcode auf der Krankenkassenkarte mit sich herumtragen.
Kinder litten an zwei seltenen Erbkrankheiten
Doch noch hat die Ära des persönlichen Genoms nicht begonnen, nur wenige menschliche Genome sind seither entziffert worden. Im Club der etwa 12 Sequenzierten befinden sich unter anderem der DNA-Struktur-Entdecker James Watson, der Gen-Pionier Craig Venter und seit kurzem auch Erzbischof Tutu. Das soll sich ändern. Der Genforscher George Church von der Harvard Medical School beispielsweise hat das 1000-Genomes-Project gestartet. Ziel ist es, mehr Genome von möglichst unterschiedlichen ethnischen Gruppen miteinander vergleichen zu können.
Doch auch im Genom-Zeitalter sind Familienstammbäume immer noch wichtig, wie nun Wissenschaftler um Jared Roach und David Galas vom Institute for Systems Biology in Seattle und Lynn Jorde von der University of Utah im Fachmagazin "Science" zeigen. Sie haben erstmals die Genome einer vierköpfigen Familie - Vater, Mutter, Sohn und Tochter - entziffert und Buchstabe für Buchstabe die Erbgutcodes miteinander vergleichen.
Das Besondere dabei war, dass die Kinder an zwei seltenen Erbkrankheiten litten, dem Kartagener- und dem Miller-Syndrom. Bei ersterem liegen die inneren Organe seitenverkehrt im Körper, das Herz ist also rechts statt links. Die Betroffenen leiden an einer Störung der Flimmerhärchen-Bewegung in den Lungen, was die Atemwegsorgane verschleimen lässt und chronischen Husten und Atemwegsinfektionen hervorruft. Beim Miller-Syndrom treten im Gesicht und den Extremitäten zahlreiche Missbildungen auf. Die Eltern waren zwar gesund, trugen aber dennoch eine defekte Kopie der entsprechenden Gene in ihrem Erbgut - und übertrugen sie somit an ihre Kinder.
Mutationsrate war nur halb so hoch wie angenommen
Beide Krankheiten sind selten, die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Kombination auftreten, beträgt laut Lynn Jorde 1 zu 10 Milliarden. Beide Krankheiten werden zudem rezessiv vererbt, das heißt, Betroffene müssen das jeweilige Krankheits-Gen sowohl von Vater als auch von der Mutter bekommen. Welcher Gendefekt das Miller-Syndrom verursacht, war bisher unbekannt. Dank der Genom-Familienanalyse konnten die Forscher die Zahl der Kandidatengene für das Miller-Syndrom auf vier reduzieren.
Außerdem fanden sie noch etwas Interessantes heraus: Die Anzahl der Mutationen, die von den Eltern auf ihre Kinder vererbt werden, ist offenbar geringer als bisher angenommen. Die Forscher verglichen die Erbgutsequenzen mit denen der Kinder und konnten die Zahl der Mutationen zählen, die beim Generationenwechsel aufgetreten war. Es waren etwa 70. "Die Mutationsrate war nur etwa halb so hoch wie wir dachten", sagt Jorde.
Die genaue Kenntnis der Mutationsrate pro Generation ist wichtig, weil mit ihrer Hilfe Genetiker evolutionäre Beziehungen ableiten - also wann sich Arten voneinander getrennt haben oder wie lange Volksstämme voneinander getrennt sind. Auch frühere Wanderungsbewegungen von Urmenschen kann man daran ablesen. "Die Mutationsrate ist unsere Uhr", sagte Jorde. "Jedes Mal, wenn sie tickt, haben wir eine neue genetische Variante. Und wir müssen wissen, wie schnell diese Uhr tickt."
Jorde, Roach und Gals konnten außerdem genau sehen, wo die Chromosomen sich neu durchmischt hatten. Bei der Zeugung befruchtet eine Samenzelle mit einem väterlichen Chromosomensatz eine Eizelle mit einem mütterlichen. Bei der Reifeteilung der elterlichen Samen- und Eizellen werden die elterlichen Zellen mit dem doppelten Chromosomensatz auf einen einfachen Chromosomensatz reduziert. Dabei werden aber ganze Stücke der Chromosomenpaare untereinander ausgetauscht. Wo die Bruchstellen dieser Stücke sind, konnten die Forscher nun direkt im Erbgutvergleich von Eltern und Kindern sehen - sie mussten nur Ausschau halten, wo lange DNA-Abschnitte bei den Kindern mit denen der Eltern übereinstimmten und wo es Brüche gab.
Die Wissenschaftler glauben, dass sich zukünftig nicht nur das persönliche Genom in den medizinischen Akten eines Patienten wiederfinden wird, sondern auch die seiner Familie.