Gentests an Embryonen "Es gibt keinen Dammbruch"

Embryonenschutzgesetz: "Es muss in jedem Fall individuell entschieden werden"
Foto: Bernd Wüstneck/ dpaSPIEGEL ONLINE: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am vergangenen Mittwoch die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt. Ärzte dürfen danach Embryos mit Gentests auf schwere Krankheiten untersuchen. Ist das ein Sieg der modernen Medizin über den Schutz des Embryos?
Hilland: Es ist der Sieg eines Kollegen, der vor Gericht stand, obwohl er etwas getan hat, was fast überall in der Welt zulässig ist. In erster Linie ist es aber ein Segen für die Paare, die betroffen sind. Werdende Mütter, die um ihr erhebliches Risiko der Geburt eines schwerst behinderten Kindes wissen, müssen nicht mehr unter einer Schwangerschaft auf Probe leiden. Sie werden nicht mehr wie bisher erst nach einigen Monaten erfahren, dass ihr Kind schwerst behindert zur Welt kommen wird, und sich nicht mehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihrer Gesundheit ausgesetzt sehen, die nur durch einen Schwangerschaftsabbruch abzuwenden ist.
SPIEGEL ONLINE: Der Zentralrat der Katholiken sieht im Spruch des BGH einen "schweren Schlag gegen den Schutz und die Würde menschlichen Lebens". Sind Ihnen die Embryos jetzt schutzlos ausgeliefert?
Hilland: Das Gegenteil ist der Fall. Der BGH hat die Diagnostik ausdrücklich auf schwerwiegende Fälle beschränkt. Deshalb ist die BGH-Entscheidung kein Dammbruch, den jetzt einige befürchten. Alle Ärzte sind sich bewusst, dass sie die PID nicht uferlos ausweiten dürfen. Alles andere wären in der Tat Horrorvisionen gewesen, die uns die Nackenhaare hochstehen lassen würden. Wir dürfen die Embryos zum Beispiel nicht nach dem Geschlecht selektieren. Die Richter haben der Schaffung von Designerbabys eindeutig den Riegel vorgeschoben.
SPIEGEL ONLINE: Was sind denn schwerwiegende Fälle?
Hilland: Wir gehen davon aus, dass jährlich rund 150 bis 200 Paare betroffen sind, deren Kinder absehbar mit schweren genetisch bedingten Krankheiten zur Welt kommen würden. Wir sind gegen einen starren Katalog von Krankheiten, auf die untersucht wird und die nicht zur Übertragung eines Embryos führen. Die Entscheidung für solche Tests muss in jedem Einzelfall mit der Frau getroffen werden.
SPIEGEL ONLINE: Was wäre denn ein Grund dafür, einen Embryo nicht in die Mutter einzupflanzen?
Hilland: Ich hatte bereits erwähnt, dass es aus guten Gründen keinen Katalog geben darf. Deshalb kann es auch keine definierbaren Störungen geben, die für sich allein betrachtet eine Begründung dafür sein können, einen Embryo nicht zu übertragen. Lassen Sie mich die umgekehrte Frage beantworten: Was könnte ein Grund sein, einen Embryo trotz einer Chromosomenstörung einzupflanzen? Nehmen wir die sogenannten Turner-Mädchen, die über nur ein X-Chromosom verfügen: Bei dieser Chromosomenstörung bleiben diese Frauen kleinwüchsig, können selbst keine Kinder bekommen und sind in der Regel vollkommen gesund - kein schwerwiegender Grund also, diese Embryonen nicht zu übertragen. Schwerste Behinderungen sind bei Turner-Mädchen äußerst selten.
SPIEGEL ONLINE: Was ist mit Embryos, die die Anlage zum Down-Syndrom tragen?
Hilland: Um Himmels willen nein, diese Menschen können ein sehr erfülltes Leben führen. Auch hier darf es keinen Automatismus geben, wie man mit den Embryonen umgeht.
SPIEGEL ONLINE: Wer soll denn entscheiden, ob ein Embryo in die Mutter eingesetzt wird: der Reproduktionsmediziner, die Eltern oder eine andere Instanz?
Hilland: Auf keinen Fall dürfen wir Mediziner unsere jeweils persönlichen Wertvorstellungen den Eltern überstülpen. Es muss immer individuell entschieden werden. Auch mit schwer behinderten Kindern können Eltern ja ein erfülltes Leben führen. Ich stelle mir ein Gespräch vor, ähnlich wie bei der Schwangerschaftskonfliktberatung. Unabhängige, neutrale Personen sollten die potentiellen Eltern ergebnisoffen beraten, und nicht dieselben Ärzte, die behandeln.
SPIEGEL ONLINE: Dafür bräuchten wir aber eine gesetzliche Regelung.
Hilland: Die ist längst überfällig. Es ist doch unmöglich, dass sich, wie jetzt geschehen, ein Mediziner selbst anzeigen muss, um höchstrichterlich klären zu lassen, ob das, was er tut, mit dem Gesetz übereinstimmt oder nicht. Darum hätte sich der Gesetzgeber schon längst kümmern müssen, aber er steckt den Kopf in den Sand.
SPIEGEL ONLINE: Die Reproduktionsmediziner verlangen nach strengeren Vorgaben?
Hilland: Nein, das Embryonenschutzgesetz ist jetzt 20 Jahre alt. Inzwischen hat sich die Reproduktionsmedizin enorm weiterentwickelt. Es gibt große Befürworter und große Gegner dieser Entwicklung. Aber diese Fragen kann man nicht, wie jetzt geschehen, über die Anklagebank der Gerichte klären. Da müssen sich die Politiker als unsere gesetzgeberischen Repräsentanten schon klar entscheiden, was sie zulassen wollen und was nicht.
SPIEGEL ONLINE: Haben sie auch nach der BGH-Entscheidung weiteren Klärungsbedarf?
Hilland: Es gibt immensen Bedarf. Zum Beispiel die Eizellspende, die in Deutschland noch verboten ist: Wie gehen wir mit der Mutterschaft um, wenn sich Frauen im benachbarten Ausland Embryonen einpflanzen lassen, die sich nicht aus der Befruchtung ihrer eigenen Eizellen entwickelt haben? Auch die Frage, wie viele Eizellen bei der In-vitro-Fertilisation befruchtet werden dürfen, müssen wir regeln, um die risikoreichen Mehrlingsgeburten zu reduzieren und andererseits eine akzeptable Schwangerschaftsrate pro Behandlungszyklus zu behalten.