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Streit um Gentests: Grundsatzurteil schafft Rechtssicherheit

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa

Grundsatzurteil Bundesrichter erlauben Gentests an Embryonen

Die umstrittenen Gentests an Embryonen sind nicht strafbar - das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Bei Paaren mit einer Veranlagung zu schweren Erbschäden dürfen Ärzte künftig im Reagenzglas befruchtete Eizellen auf Schäden untersuchen - und nur gesunde Zellen für eine Befruchtung auswählen.

Leipzig - Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden: Voruntersuchungen zur Erkennung von Gendefekten bei Embryonen sind erlaubt. Verhandelt wurde der Fall eines 47-jährigen Berliner Gynäkologen, der die sogenannte Präimplantationsdiagnostik, kurz PID (siehe Kasten links), in den Jahren 2005 und 2006 angewandt hatte.

Was in anderen Ländern wie Großbritannien möglich ist, ist nun auch in Deutschland zulässig. Der Berliner Arzt hatte bei drei erblich vorbelasteten Paaren Gentests an Embryonen vorgenommen. Eine der Frauen hatte bereits eine behinderte Tochter, eine andere drei Fehlgeburten hinter sich. Der Mediziner pflanzte den Frauen deswegen nur jene Embryonen ein, die keinen Gendefekt aufwiesen. Die anderen ließ er absterben.

Dass sich der Mediziner dabei auf rechtlich problematischem Gebiet bewegte, dürfte ihm klar gewesen sein. Mit einer Selbstanzeige im Januar 2006 wollte der Mann für Klarheit sorgen. Die gibt es nun durch den Urteil der Leipziger Richter: Der Arzt muss keine Strafverfolgung mehr fürchten.

Embryonenschutzgesetz

Vorausgegangen war ein längerer Rechtsstreit: Das Berliner Landgericht hatte den Arzt im Mai 2009 zunächst von dem Vorwurf freigesprochen, das verletzt zu haben. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte Revision eingelegt. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft standen hingegen auf der Seite des Arztes. Sie vertraten die Ansicht, dass dessen Handeln nicht strafbar gewesen sei.

Zu der Debatte um die PID gehören auch Begriffe wie "Designer-Babys" und die Sorge, Menschen nach Maß züchten zu können - oder zu wollen. Das Embryonenschutzgesetz sieht unter anderem eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren für denjenigen vor, der einen "extrakorporal erzeugten" Embryo zu einem "nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck" verwendet.

Forderung nach Gesetzesänderung

Das Berliner Landgericht hatte argumentiert, dass der Wortlaut des Embryonenschutzgesetzes eine PID nicht verbiete. Dem Angeklagten sei es darum gegangen, dass seine Patientinnen schwanger werden, hieß es. Weil die Frauen die kranken Embryonen nicht eingesetzt bekommen wollten, musste der Arzt diesem Wunsch aus Rechtsgründen folgen.

Vor dem BGH waren sich Verteidigung und Bundesanwaltschaft nun einig, dass der Arzt nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen hat. Verteidiger Daniel Krause sagte, verboten sei nur der Handel mit Embryonen oder deren Verwendung zu Forschungszwecken. Krause argumentierte, ähnliche Untersuchungen würden täglich tausendfach auch bei normalen Schwangerschaften im Mutterleib durchgeführt, um die Gesundheit des Ungeborenen zu kontrollieren.

Die Untersuchung der Eizelle auf Chromosomenschäden während der Schwangerschaft ist erlaubt. Wird dabei ein genetischer Defekt am Embryo festgestellt, kann die Schwangerschaft unter bestimmten Umständen abgebrochen werden. Befürworter verweisen darauf, dass die PID sogenannte Schwangerschaften auf Probe vermeiden könne.

Die PID habe beim Erlass des Embryonenschutzgesetzes noch keine Rolle gespielt, erklärte Verteidiger Krause. Deshalb müsse der Gesetzgeber nun entsprechende Änderungen an den Regeln vornehmen - und die Untersuchung zweifelsfrei für zulässig erklären.

Kritiker befürchten gezieltes Aussortieren, etwa nach Geschlecht

Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Hartmut Schneider, sagte, es gehe vor allem darum, Grenzen zu setzen und Missbrauch vorzubeugen. Schließlich müsse man nicht allein abwägen, ob bei einer Schwangerschaft in den Lauf des Schicksals eingegriffen werden dürfe. Auch die Interessen der Eltern müssten berücksichtigt werden, ein gesundes Kind zu bekommen. Die PID sei also zulässig, "aber nur, wenn sie dem Zwecke dienen, schwere erbliche Erkrankungen des Embryos festzustellen". Es gehe nicht darum, dass Eltern wüssten, ob ihr Kind blaue Augen habe.

Denn in der Tat: Kritiker befürchten, dass die Methode einmal weiterführen wird - und eben nicht nur bei Paaren mit dem Risiko für Erbkrankheiten angewendet wird. So wäre das gezielte Aussortieren von Embryonen auf Basis ihres Geschlechts denkbar, weil sich die Eltern eben einen Jungen oder ein Mädchen wünschen. Schlagzeilen wie die Geburt von sogenannten Rettergeschwistern im Ausland heizen die Diskussion zusätzlich an. Dabei werden Embryonen mit bestimmten Eigenschaften der weißen Blutkörperchen selektiert, damit das aus ihnen heranwachsende Kind einem kranken Bruder oder einer kranken Schwester mit der Spende passender Zellen helfen kann.

chs/dpa/ddp
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