Immunität gegen das Coronavirus Antikörper sind nicht alles

Antikörper binden sich an die Oberfläche eines Virus
Foto: Juan Gaertner/ Science Photo Library RF/ Getty ImagesImmunität - noch vor wenigen Monaten war das vor allem nur ein Fachbegriff aus der Medizin. Manch einer erinnerte sich vielleicht noch an längst vergangene Unterrichtsstunden, in denen die Lehrerin erklärte, wie Killerzellen Viren attackieren und Antikörper danach vor weiteren Infektionen schützen.
Heute, in Zeiten der Coronakrise, steht der Begriff vor allem für Hoffnung. Immunität soll den Menschen helfen, irgendwann wieder zu einem Alltag zurückzukehren, in dem sie Urlaube buchen können, ohne Infektionszahlen zu studieren, in dem auch Alte und Kranke ohne Angst die Wohnung verlassen können und Ladenbesitzer nicht vor weiteren Schließungen fürchten müssen.
Die Erwartungshaltung ist groß im Vergleich zu dem, was die Wissenschaft bislang über den noch immer neuen Erreger herausgefunden hat. Geht es um Immunität, liegt der Fokus jedoch häufig nur auf Antikörpern, die nach einer Corona-Infektion schnell schwinden können - das zeigen immer mehr Studien.
Umso wichtiger ist es zu verstehen, dass Antikörper bei der Abwehr von Krankheitserregern nicht auf sich allein gestellt sind. Sie haben hoch spezialisierte Zellen an ihrer Seite, die auch beim Kampf gegen das Coronavirus eine wichtige Rolle spielen könnten.
Eine Armee an Corona-Spezialisten
Dringt Sars-CoV-2 - oder irgendein anderer Krankheitserreger - in den Körper ein, beginnt eine Kette von komplexen Abwehrreaktionen.
Als erstes Bollwerk dient die unspezifische Immunabwehr, die jeder gesunde Mensch ab dem Zeitpunkt seiner Geburt besitzt. Die daran beteiligten Immunzellen reagieren auf alles, was fremd erscheint. In der Regel schlagen sie schon wenige Minuten, nachdem ein Erreger in den Körper eingedrungen ist, Alarm. Die Betroffenen selbst spüren davon noch nichts. Für sie macht sich eine Corona-Infektion meist erst nach fünf oder sechs Tagen bemerkbar.
Je nach Art des Erregers und Zahl der eingedrungenen Viren kann diese erste Abwehr bereits ausreichen, um eine Infektion abzuwenden. Sonst jedoch dient dieses erste Bollwerk nur als Kurzzeitlösung, um den Erreger im besten Fall in Schach zu halten.
Parallel entwickelt sich eine Armee aus Immunzellen, die sich auf das Virus spezialisiert haben und auch bei der Immunität eine wichtige Rolle spielen. Dabei unterscheiden sich die maßgeschneiderten Viren-Jäger im Wesentlichen in zwei Typen:
T-Zellen, die in Form sogenannter T-Killerzellen infizierte Zellen abtöten oder als T-Helferzellen weitere Abwehrreaktionen koordinieren sowie
B-Zellen, deren Aufgabe es ist, die Antikörper zu produzieren. Die wohl wichtigsten, neutralisierenden Antikörper setzen sich auf die Oberfläche der Viren und verhindern, dass diese in Zellen eindringen können.
Bis diese maßgeschneiderte Abwehr ihre Wirkung entfaltet, dauert es oft mehrere Tage. Doch das Warten lohnt sich. Die Zellen können den Erreger nicht nur viel gezielter bekämpfen - sie behalten ihre Spezialisierung auch dann noch, wenn er wieder aus dem Körper verschwunden ist. Sie werden zu B- und T-Gedächtniszellen. Gemeinsam mit den Antikörpern können diese bei einem erneuten Kontakt viel schneller reagieren. Immunität entsteht.
Die Frage ist nur: Wie gut funktionieren diese Prozesse bei der Abwehr von Sars-CoV-2?
44-jährige Frau in Hamburg: genesen ohne Antikörper
Noch ist unklar, welchem der Bausteine aus B-Zellen, T-Zellen und Antikörpern bei der Abwehr des Coronavirus welche Bedeutung zukommt. Zwar ist bereits nachgewiesen, dass die meisten Infizierten eine große Menge neutralisierender Antikörper bilden. Daneben existieren jedoch auch andere Fallberichte: Sie zeigen, dass das Immunsystem selbst ohne Antikörper in der Lage sein kann, Sars-CoV-2 erfolgreich zu bekämpfen.
Am Uniklinikum in Hamburg-Eppendorf etwa wurde im März eine 44-jährige Frau aufgenommen, die nach einem Skiurlaub Muskelschmerzen, Fieber, Husten und Atemschwierigkeiten entwickelt hatte. Röntgenbilder zeigten eine Lungenentzündung, ein Test bestätigte die Infektion mit Sars-CoV-2.
Aufgrund eines Medikaments, das die Frau gegen Multiple Sklerose einnahm, besaß sie keine B-Zellen, konnte also auch keine Antikörper ausbilden. T-Zellen waren bei ihr normal ausgeprägt.
Trotz der fehlenden Antikörper ging es ihr nach vier Tagen, in denen die Ärzte nur das Fieber behandelten, wieder so gut, dass sie in häusliche Quarantäne entlassen werden konnte. Vier Wochen später fiel ein Test auf Sars-CoV-2 negativ aus, die Beschwerden waren verschwunden.
Dieser und ähnliche Fallberichte zeigen, dass T-Zellen bei der Heilung von Covid-19 eine wichtige Rolle spielen können. Ob sie anschließend auch für Immunität sorgen, erst recht ohne Antikörper, lässt sich daraus allerdings noch nicht ableiten. Mittlerweile existieren jedoch erste Studien, die zumindest darauf hindeuten, dass T-Zellen einen Beitrag zur Immunität leisten könnten.
Sars: auch nach 17 Jahren noch spezialisierte T-Zellen
Für eine dieser Untersuchungen analysierte ein Forscherteam aus Singapur das Blut von 36 Covid-19-Genesenen. Bei allen konnten sie T-Zellen nachweisen, die verschiedene Bausteine von Sars-CoV-2 erkannten. Weitere Untersuchungen mit Personen, die sich 2003 mit dem eng verwandten Sars-Virus infiziert hatten, zeigten zudem, dass solche T-Gedächtniszellen auch 17 Jahre später noch das Virus erkennen können - und damit möglicherweise deutlich länger erhalten bleiben als Antikörper.
Daneben machten Forscher jedoch auch erstaunliche Beobachtungen bei Versuchen mit dem Blut von gesunden Personen, die weder Kontakt zum Sars-Virus noch zu Sars-CoV-2 hatten: Selbst bei ihnen konnten Wissenschaftler T-Zellen entdecken, die auf Sars-CoV-2 reagierten. Diese waren allerdings nur bei einem Drittel der Personen vorhanden, schreiben die Wissenschaftler der Berliner Charité und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik (MPIMG) in der Fachzeitschrift "Nature" .
"Das deutet darauf hin, dass die T-Helferzellen der Gesunden auf Sars-CoV-2 reagieren, weil sie sich in der Vergangenheit mit heimischen Erkältungs-Coronaviren auseinandersetzen mussten", erklärt Claudia Giesecke-Thiel vom MPIMG das Ergebnis in einer Pressemitteilung . "Denn eine Eigenschaft der T-Helferzellen ist, dass sie nicht nur von einem exakt 'passenden' Erreger aktiviert werden können, sondern auch von 'ausreichend ähnlichen' Eindringlingen."
Infizieren wir uns mit einem Erreger, bildet das Immunsystem maßgeschneiderte T-Killerzellen, die infizierte Zellen beseitigen, und T-Helferzellen, die Abwehrreaktionen koordinieren. Auch wenn der Erreger wieder aus dem Körper verschwunden ist, bleiben ein paar dieser spezialisierten Zellen bestehen. Sie entwickeln sich zu T-Gedächtniszellen, die durch den Körper patrouillieren. Dringt der Erreger ein weiteres Mal ein, übernehmen sie wieder ihre Abwehraufgaben und beginnen, ihn zu bekämpfen.
Eine weitere Studie an der Charité soll nun klären, ob diese T-Zellen dazu beitragen, dass manche Menschen bei einer Sars-CoV-2-Infektion deutlich leichter erkranken als andere. Auch bei Covid-19-Genesenen müssen weitere Studien folgen, die zeigen, ob und wie gut die entdeckten T-Gedächtniszellen Sars-CoV-2 tatsächlich abwehren können.
Keine zweite Infektion nachgewiesen
Trotzdem sind die Ergebnisse wichtig vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an Studien, die von sinkenden Antikörpern nach milden Sars-CoV-2-Infektionen berichten. Beim ersten deutschen Covid-19-Patienten etwa, der sich Ende Januar bei einer Kollegin aus China ansteckte, konnten Mediziner schon im April keine neutralisierenden Antikörper mehr nachweisen.
Es sei möglich, dass sich die Abwehr durch B-Zellen und T-Zellen bei manchen Sars-CoV-2-Infizierten voneinander entkoppele, schreiben Forscher des Imperial College London in der Fachzeitschrift "Science" . "Entweder, weil bei milden Infektionen zwar eine T-Zellimmunität angeregt wurde, aber keine nachweisbaren Antikörper entstanden sind oder weil diese bereits wieder verschwunden sind, während die T-Gedächtniszellen bleiben." Bei ersten Impfstoffkandidaten, darunter das Mittel der Mainzer Firma Biontech, wurde bereits nachgewiesen, dass sie neben der Produktion von Antikörpern auch die Bildung von T-Gedächtniszellen anregen.
Trotz dieser Erkenntnisse ist auch die Hoffnung auf einen Schutz durch Antikörper längst nicht verloren. Denn dass ihre Zahl nach einer Infektion sinkt, ist normal. Entscheidend ist, bei welchem Wert sie sich bei den meisten Menschen einpendeln und wie viele Antikörper es überhaupt braucht, um eine Infektion zu verhindern. Und selbst bei Menschen, bei denen keine Antikörper mehr nachweisbar sind, könnten B-Gedächtniszellen möglicherweise schnell für Nachschub sorgen.
Immerhin ein Punkt gilt mittlerweile als ziemlich sicher: Es wurde bislang noch kein Fall nachgewiesen, bei dem sich ein Mensch ein zweites Mal mit Sars-CoV-2 infiziert hat. Einige Wochen lang scheint das Immunsystem also eine neue Attacke abwehren zu können. Es ist ein Anfang.