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Schweinegrippe: Streit um die Zweiklassen-Impfung

Foto: Z1018 Ralf Hirschberger/ dpa

Impfstoffstreit Montgomery wirft Bundesregierung Dilettantismus vor

"Dilettantismus", "Informationschaos" - die Bundesregierung steht derzeit wegen der unterschiedlichen Schweinegrippe-Impfstoffe in der Kritik. Nun hat der Vizechef der Bundesärztekammer, Montgomery, vorgeschlagen, den Impfstoff ohne Zusätze für Schwangere und Kindern zu verwenden.

Hamburg - Der Vizepräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte in der "Frankfurter Rundschau", dass "die Bundesregierung durch ihren Dilettantismus ein fürchterliches Informationschaos" angerichtet habe. Grund für die Vorwürfe sind die Pläne der Bundesregierung, Regierungsmitglieder und Bundeswehr-Soldaten mit einem anderen Impfstoff gegen die Schweinegrippe zu immunisieren als die breite Bevölkerung. Dieser enthalte keine Wirkverstärker, die leichtere Nebenwirkungen auslösen können.

Montgomery warf der Bundesregierung vor, die Menschen hinsichtlich der Sicherheit des Impfstoffs zu verunsichern. Möglicherweise ließen sich infolge dieser Verunsicherung noch mehr Menschen nicht gegen die Schweinegrippe impfen. In der "Berliner Zeitung" forderte Montgomery die Bundesregierung auf, "den für sie bestellten Impfstoff für Schwangere und Kinder zur Verfügung zu stellen und stattdessen den allgemeinen Impfstoff zu benutzen". So könne Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werden.

Stephan Becker, Virologe an der Universität Marburg hingegen meint: "Der Impfstoff, den Bundesregierung und Bundeswehr bestellt haben, hat keine wesentlichen Vor- oder Nachteile gegenüber dem allgemeinen Impfstoff." Denn die von Baxter hergestellte Substanz enthält zwar keinen Wirkverstärker wie der Pandemie-Impfstoff Pandemrix von GlaxoSmithKline. Dafür handelt es sich bei Celvapan von Baxter aber um einen Ganzkörper-Impfstoff. Er enthält nicht - wie Pandemrix - nur Bruchstücke der Virenhülle, sondern ganze Virenpartikel und stimuliert das Immunsystem deswegen deutlich stärker - ähnlich wie durch ein Adjuvans.

Inwieweit beide Impfstoffe aber überhaupt für Schwangere geeignet sind, darüber streiten die Experten. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt für Schwangere weder Pandemrix noch Celvapan, sondern den Impfstoff Panenza von Sanofi Pasteur. Er ist ein Spaltimpfstoff und adjuvantienfrei. Auch das arznei-telegramm rät Schwangeren von beiden Impfstoffen ab .

Montgomery hält dem Blatt zufolge die Impfung nicht für absolut notwendig. Die Schweinegrippe habe sich als weniger gefährlich erwiesen als die normale saisonale Grippe oder die Vogelgrippe.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verkündete, dass sie sich den gleichen Impfstoff verabreichen lassen wolle wie jeder Bürger. Ebenso halte es Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD): "Ich lasse mich mit dem Impfstoff impfen, mit dem auch die Bevölkerung geimpft wird. Der ist genauso wie die anderen zugelassen, sicher und wirksam."

Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warf dem Bundesinnenminister und der Bundeskanzlerin eine "katastrophale Informationspolitik" bei den unterschiedlichen Impfstoffen gegen die Schweinegrippe vor. Dieses "Versagen" berge "medizinisch erhebliche Risiken und Nebenwirkungen", sagte Lauterbach dem "Kölner Stadtanzeiger". Zwar gebe es faktisch keine Qualitätsunterschiede zwischen den bestellten Impfstoffen. Es sei "aber der verheerende Eindruck" entstanden, solche Unterschiede existierten. Folglich könnten viele Menschen sich nicht impfen lassen. Dabei gebe es hinsichtlich der Schweinegrippe "keinerlei Grund zur Entwarnung".

Eine Woche vor dem Start der Massenimpfung gegen die Schweinegrippe war die Bundesregierung am Montag dem Vorwurf einer Zwei-Klassen-Medizin entschieden entgegengetreten. Lediglich Soldaten, Bundespolizisten und Krisenstabs-Mitarbeiter erhielten Impfstoff ohne Wirkstoffverstärker - aber nicht, weil dieser weniger Nebenwirkungen hervorrufe, sondern wegen eines schon vor Aufkommen der Schweinegrippe geschlossenen Vertrags. Bundesweit begann am Montag in der Nähe von Dresden die Verteilung des Schweinegrippe-Impfstoffs mit den strittigen Verstärkerstoffen. Die Impfungen sollen am 26. Oktober beginnen.

lub/dpa
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