Covid-Zahlen aus Israel Die irreführende Statistik der geimpften Krankenhauspatienten

Rund 60 Prozent der Covid-19-Patienten in israelischen Krankenhäusern sind geimpft. Das sieht aus, als schützten die Vakzinen nicht mehr. Doch das ist falsch – und lenkt vom tatsächlichen Problem ab.
Eine Analyse von Julia Merlot
Covid-19-Patienten im Ziv-Krankenhaus in Israel

Covid-19-Patienten im Ziv-Krankenhaus in Israel

Foto: Atef Safadi / EPA

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Impf-Weltmeister Israel – diese Bezeichnung hat sich in den Köpfen festgesetzt. Und Anfang des Jahres stimmt sie ja: Kaum ein anderer Staat setzte die Impfkampagne gegen Covid-19 so schnell und erfolgreich um wie das Neun-Millionen-Einwohner-Land.

Bis Ende März waren in dem Land 60 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, Ende April näherte sich auch die Zahl der doppelt Geimpften diesem Wert . Während Deutschland im Frühjahr 2021 noch gegen die dritte Viruswelle kämpfte, genossen die Menschen in Israel weitreichende Freiheiten .

Das machte Hoffnung, auch für den weiteren Verlauf der Virusausbreitung hierzulande. Nun kommen jedoch vermehrt Daten aus dem Vorzeigeland, die Zweifel säen, inwiefern eine hohe Impfquote das Virus überhaupt stoppen kann – und ob die Impfstoffe wirklich so gut sind. Bei der Interpretation dieser Daten ist allerdings Vorsicht geboten.

Verwirrende Zahlen zur Wirksamkeit der Impfstoffe

In Israel breitet sich das Coronavirus wieder stark aus. Die Kurve der mit Sars-CoV-2 infizierten Menschen zeigt seit Anfang Juli steil nach oben und nähert sich den bisherigen Spitzenwerten von Anfang Januar. Auch die Zahl der Toten steigt seit Anfang August.

Die Regierung hat die Schutzmaßnahmen verschärft, Menschen über 40 können sich eine dritte Impfdosis abholen. Hintergrund der Maßnahme ist, dass Daten darauf hindeuten, dass der Infektionsschutz gegen die Delta-Variante schlechter ausfällt und mit der Zeit nachlässt.

Jüngst schienen Daten gar darauf hinzuweisen, dass der breit eingesetzte Impfstoff von Biontech/Pfizer bei der zentralen Aufgabe – dem Schutz vor schweren Erkrankungen – nachlässt: Rund 60 Prozent der Menschen, die am 15. August mit Covid-19 im Krankenhaus behandelt wurden, waren Geimpfte, zeigen offizielle Daten. Sie führen allerdings in die Irre und lenken ein weiteres Mal vom eigentlichen Problem ab, das viele Länder in der Pandemie derzeit einholt: eine zu geringe Impfquote.

Gute Wirksamkeit wird in Wahrheit bestätigt

»Viele sind verwirrt über die Ergebnisse, dass mehr als die Hälfte der in Israel stationär behandelten Patienten geimpft sind, und denken, dies bedeute, dass die Impfstoffe nicht wirken«, schreibt Jeffrey Morris, Professor für Biostatistik an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, auf Twitter. Seine Analyse zeigt, dass die Daten genau das Gegenteil belegen.

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Die Quote der Geimpften unter den Krankenhauspatienten aber wird unter anderem davon beeinflusst, wie viele Menschen in der Bevölkerung bereits geimpft sind und wie alt sie sind: Je höher die Impfquote, desto größer ist üblicherweise auch der Anteil der Geimpften unter den Krankenhauspatienten – einfach, weil es mehr Geimpfte gibt als Ungeimpfte.

Ein Beispiel: Wären alle Menschen mit einem Impfstoff geimpft, der das Risiko schwerer Covid-19-Verläufe um 99 Prozent reduziert, gäbe es sehr vereinzelt trotzdem noch Personen, die mit der Erkrankung ins Krankenhaus müssten. Der Anteil der Geimpften unter den Krankenhauspatienten läge dann bei hundert Prozent – trotz der ausgezeichneten Wirksamkeit des Impfstoffs.

85 Prozent weniger Krankenhausfälle

Um zu prüfen, wie gut die Geimpften in Israel tatsächlich vor Krankenhausaufenthalten wegen Covid-19 geschützt sind, ermittelte Morris anhand der Daten die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen Verläufe mit Krankenhausaufenthalt. Dazu berechnete er den Anteil der Covid-19-Krankenhausfälle unter allen vollständig Geimpften und verglich ihn mit dem Anteil der Krankenhausfälle unter den Ungeimpften ab 12 Jahren (Tweet oben).

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Wäre die Impfung wirkungslos, müsste in beiden Gruppen ein ungefähr gleich großer Anteil der Menschen wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden. Bei Geimpften lag der Anteil jedoch 67,5 Prozent niedriger als bei Ungeimpften. Die Impfung reduziert das Risiko, mit Covid-19 ins Krankenhaus zu kommen, laut den Daten also um gut zwei Drittel.

Berücksichtigte Morris auch noch, dass sich die Impfquoten zwischen Menschen über und unter 50 Jahren unterscheiden, zeigte sich eine Wirksamkeit von 85 bis 90 Prozent. Löste er die Altersgruppen noch feiner auf und bezog ein, dass das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf mit dem Alter deutlich steigt, ergab sich je nach Altersgruppe gar eine Wirksamkeit von 85 bis 95 Prozent.

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»Das zeigt, dass der Biontech/Pfizer-Impfstoff bei der Verhinderung schwerer Erkrankungen sehr gut gegenüber Delta abschneidet«, schreibt Morris in einem ausführlichen Blogbeitrag . Das Ergebnis deckt sich mit bisherigen Erkenntnissen – die ebenfalls aus Israel stammen.

Impfdurchbrüche so gut wie nie bei Gesunden

In einer in einem Fachmagazin publizierten Studie  aus dem Juli hatten Fachleute Daten von 152 Patientinnen und Patienten aus 17 israelischen Krankenhäusern ausgewertet, die trotz vollständiger Impfung an Covid-19 erkrankt waren. Nur sechs der 152 Menschen waren zuvor gesund, der Rest hatte Vorerkrankungen, etwa ein geschwächtes Immunsystem, was die Wirksamkeit der Impfstoffe beeinträchtigen kann (mehr dazu lesen Sie hier ). Das mittlere Alter der Betroffenen lag bei 71 Jahren.

»Es gab in Israel also praktisch keine schwerwiegenden Durchbrüche von Delta-Infektionen bei Personen ohne signifikante Vorerkrankungen«, schreibt Morris.

In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild: Hier sind bislang insgesamt rund 900 Fälle  von Menschen bekannt, die trotz vollständiger Impfung mit Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten – bei rund 49 Millionen vollständig Geimpften. Die Allermeisten waren älter als 60 Jahre.

Das Problem ist die Impflücke

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zahl der Antikörper nach der Impfung mit der Zeit absinkt – insbesondere bei älteren Menschen. Das kann dazu führen, dass sich Geimpfte in seltenen Fällen infizieren und in noch viel selteneren Fällen auch schwer erkranken.

»Meiner Meinung nach sind die Daten aussagekräftig genug, um auf eine gewisse Abnahme des Schutzes hinzudeuten«, schreibt Morris  mit Blick auf eine weitere, noch ohne Fachprüfung veröffentlichte Analyse  zu Infektionen bei Geimpften aus Israel. Das Ausmaß sei aber noch unklar. »Es könnte sein, dass sich der Verlust des Schutzes vor allem auf asymptomatische Infektionen beschränkt.«

Das Problem in Israel und vielen anderen Staaten, auch Deutschland, ist demnach derzeit weniger, dass die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen Delta etwas schlechter ist und mit Blick auf Infektionen mit der Zeit nachlässt, sondern die insgesamt zu geringe Impfquote. Israel steht nämlich beim Impfen gar nicht mehr so gut da, wie es noch Anfang des Jahres der Fall war.

Der Impf-Weltmeister ist keiner mehr

Nachdem im Frühjahr eine Quote von knapp 60 Prozent  vollständig Geimpfter erreicht war, geriet die Impfkampagne ins Stocken. Bis heute sind nur rund 63 Prozent der israelischen Bevölkerung vollständig geimpft. Das bedeutet umgekehrt: fast 40 Prozent fehlt der gegen die Delta-Variante wichtige vollständige Impfschutz.

Das reichte zwar aus, um frühere Varianten des Virus auch bei vergleichsweise wenigen anderen Gegenmaßnahmen im Frühjahr und Sommer in Schach zu halten. Um die viel ansteckendere Delta-Variante einzudämmen, ist jedoch ein deutlich höherer Anteil Geimpfter nötig. Rein rechnerisch müsste die Zahl der Immunen in der gesamten Gesellschaft bei mindestens etwa 85 Prozent liegen – am besten noch höher (mehr dazu lesen Sie hier ).

Auch in Deutschland sind offiziellen Angaben zufolge erst 58 Prozent  der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Hier steigen die Fallzahlen ebenfalls wieder deutlich. Zu den Impf-Weltmeistern gehören dagegen etwa Malta, mit einer Quote vollständig Geimpfter von mehr als 90 Prozent, in Island besitzen fast 75 Prozent der Bevölkerung einen vollständigen Schutz.

»Es sind vor allem jüngere Altersgruppen von Infektionen betroffen«, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem aktuellen Wochenbericht  für Deutschland. Das Gleiche gilt für die wieder wachsende Zahl Krankenhausfälle: »Die meisten hospitalisierten Fälle wurden in der Altersgruppe der 35- bis 59-Jährigen übermittelt, gefolgt von der Altersgruppe der 15- bis 34-Jährigen.« Also in jenen Altersgruppen , in denen die Impfquoten vergleichsweise gering sind.

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