Gesundheitsminister Spahn zur Corona-Lage
»Es ist noch nicht vorbei, noch gar nicht«
Die Corona-Zahlen sind weiterhin hoch, auch wenn sich ein leicht positiver Trend abzeichnet. Gesundheitsminister Jens Spahn ruft die Bevölkerung auf, durchzuhalten.
RKI-Chef Lothar Wieler (l.), Virologe Christian Drosten (m.) und Gesundheitsminister Jens Spahn (r.) (Archiv)
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Bernd von Jutrczenka/ dpa
Vor rund einem Jahr gab es die ersten Corona-Fälle in Deutschland beim bayerischen Unternehmen Webasto. Mittlerweile sind rund 50.000 Menschen in Deutschland in Zusammenhang mit dem Virus gestorben. »Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass sich daraus so eine Pandemie entwickeln würde?«, fragt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf der Bundespressekonferenz. »Und es ist noch nicht vorbei, noch gar nicht.«
Spahn mahnte die Bevölkerung in Deutschland, sich weiterhin an die Maßnahmen zu halten. »Wenn wir zu früh aufhören, könnte sich daraus eine noch schlimmere Lage entwickeln«, sagte der Gesundheitsminister, insbesondere im Hinblick auf die Mutationen aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien. »Das Risiko solcher Mutationen zwingt uns, den Umgang mit dem Virus zu verändern.« Man müsse sie als eine neue Pandemie ansehen.
Die Zahlen seien immer noch auf einem zu hohen Niveau. Jetzt gehe es darum, den Widerspruch gut zu erklären, dass die Zahlen in die richtige Richtung gingen und gleichzeitig die Beschränkungen verschärft wurden, um die Infektionen noch »ein ganzes Stück weiter runterzubringen«, sagte Spahn. Er verwies darauf, dass in anderen Ländern, wo zu früh gelockert wurde, »es ganz schnell wieder entflammt«.
»Zero Covid« für Deutschland unrealistisch
Eine Zero-Covid-Strategie hielt Spahn jedoch für unrealistisch. Deutschland sei kein Inselstaat. Das Land liege in der Mitte eines Kontinents, in der Mitte der Europäischen Union, »deswegen sehe ich Null als dauerhafte Zielmarke nicht als das, was in einem Land wie Deutschland mit unserer Lage und Situation funktionieren kann.« Im vergangenen Sommer habe man bereits teilweise sehr niedrige Inzidenzen von drei oder fünf gesehen. »Zero Covid« bezeichnet eine Strategie, wonach die Corona-Zahlen in Europa durch strikte Maßnahmen auf null gedrückt werden sollen.
»Wir müssen es schaffen, dass die Pandemie wieder kontrollierbar wird, wir die Kontakte nachverfolgen können und das Gesundheitssystem wieder entlastet wird«, sagte er. Gleichzeitig machte Spahn auch Mut: »Wir befinden uns zwar auf dem Höhepunkt der Pandemie, aber wir haben einen Ausweg«, sagte er. Dank der Impfkampagne habe man die Aussicht auf einen besseren Sommer. »Es geht vielen zwar nicht schnell genug, auch ich hätte gern mehr Impfstoff zur Verfügung«, sagte Spahn. Dennoch rechne er weiterhin damit, jedem bis zum Sommer ein Impfangebot machen zu können.
Zum Stand der Impfungen sagte Spahn, in Deutschland seien bereits über 1,5 Millionen Impfungen verabreicht worden, davon hätten über 100.000 Menschen schon die zweite Impfung erhalten.
900 Ausbrüche in Pflegeheimen
Auch der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) sprach auf der Bundespressekonferenz darüber, dass die aktuellen Maßnahmen durchgehalten werden müssten. »Nach wie vor sind die Fallzahlen immer noch zu hoch«, sagte Lothar Wieler. »Wenn wir weiterhin konsequent mitmachen, werden wir Erfolge erzielen. In einigen Bundesländern sehen wir schon deutliche positive Trends.« Aber man könne nur zu einem halbwegs normalen Alltag zurückkehren, wenn man die Fallzahlen massiv senke und auf Dauer niedrig halte.
Bundesweit sehe man immer noch sehr viele Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. »Derzeit haben wir rund 900 Ausbrüche in Heimen«, sagte Wieler. »Insgesamt sind seit Beginn der Pandemie mehr als 50.000 Menschen gestorben, das ist für mich eine bedrückende, schier unfassbare Zahl.«
Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, warnte davor, dass die Intensivmedizin zusammenbrechen könnte, sollten sich die Mutationen verbreiten, ohne dass die zweite Welle unter Kontrolle sei. »Wir müssen also die Infektionszahlen weiter drastisch reduzieren.« Sollte sich die mutierte Virusform weiter ausbreiten, würde dies zu einer »extremen Belastung der Intensivmedizin« führen.
Dass es etwas bringt, wenn sich die Bevölkerung an die Maßnahmen hält, zeigt sich auch auf den Intensivstationen: Weihnachten und Silvester haben in Deutschland zu keiner Verschärfung bei den schweren Fällen der Infektion mit dem Coronavirus geführt, sagte Marx. Es sei auf den Intensivstationen der Krankenhäuser kein »Weihnachts- und Silvesterpeak« zu erkennen. Dies sei dem Verhalten der Bevölkerung zu verdanken.
Nicht zu naiv in den Sommer
Der Berliner Virologe Christian Drosten warnte davor, grundsätzlich davon auszugehen, dass es im Sommer zu einer deutlichen Entspannung kommen wird, wie im vergangenen Jahr. »Nur weil es Sommer wird, wird es nicht automatisch besser«, sagte er. »Im vergangenen Jahr haben wir sehr früh einen Lockdown gemacht, daraufhin hat sich das Virus ruhiger verhalten im Sommer.«
Jedoch habe man in anderen Ländern teilweise eine andere Entwicklung beobachten können. »Auch in warmen Ländern, wie zum Beispiel Spanien, haben sie geöffnet und die Zahlen sind direkt wieder hoch«, sagte Drosten. »Man sollte daher nicht naiv in die Situation gehen und lieber mit Problemen rechnen, auf die man sich vorbereitet.«
Das RKI meldete am Freitag 17.862 Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland. Die Gesamtzahl der nachgewiesenen Corona-Infektionen in Deutschland seit Beginn der Pandemie stieg damit auf 2.106.262. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz betrug 115,3. Sie war damit etwas niedriger als am Vortag, an dem sie bei 119,0 gelegen hatte.
Wegen der weiterhin hohen Infektionszahlen hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Bundesländer am Dienstag den derzeitigen harten Lockdown bis zum 14. Februar verlängert und zugleich verschärft.