Kariesschutz Fluorid schützt anders als gedacht

Modellgebiss: Karies lässt sich mit richtiger Mundhygiene vermeiden
Foto: Peter Macdiarmid/ Getty ImagesDie Bilder aus der Werbung leuchten jedem Kind ein: Wer seine Zähne schützen will, greift am besten zu Fluorid - denn das macht den Zahn stabil und lässt fiese Bakterien einfach abprallen. Tatsächlich härten Fluoride die oberste Schmelzschicht des Zahns. Erreger haben es nicht mehr so leicht, darauf zu wachsen.
Doch jetzt haben Wissenschaftler der Universität des Saarlandes eine überraschende Entdeckung gemacht: Beim Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahncreme dringt das Fluorid sehr viel weniger tief in den Zahnschmelz ein als man bisher angenommen hat. Das stellten die Forscher fest, als sie die Wirkung zweier verschiedener Fluoride auf künstlichem Zahnschmelz untersuchen wollten.
Wie Frank Müller und seine Kollegen im interdisziplinären Fachmagazin "Langmuir" berichten, benutzten sie dazu eigens hergestellte Stückchen aus Hydroxylapatit. Damit simulierten sie eine Art normierten Zahnschmelz. Die Plättchen behandelten sie zum einen mit einer herkömmlichen Natriumfluoridlösung. Diese hat einen neutralen pH-Wert und wird auch zur Fluoridierung von Zahncremes eingesetzt. Zum anderen testeten sie eine Lösung des Aminfluorids Olaflur, das ebenfalls für die Zahnhygiene eingesetzt wird. Bei Letzterem liegt der pH-Wert mit 4,2 im sauren Bereich.
Überraschenderweise hatten die beiden Behandlungen völlig unterschiedliche Auswirkungen auf den Testzahnschmelz. Das konnten die Physiker mit Hilfe der sogenannten Photoelektronenspektroskopie beobachten: Beim neutralen Natriumfluorid bildete sich auf der Oberfläche der Kunstzähne das gegen Säure widerstandsfähige Fluorapatit. Beim sauren Olaflur dagegen raute die Zahnoberfläche auf. Dabei entstand relativ viel Kalziumfluorid. Diese chemische Veränderung macht den Zahnschmelz möglicherweise nicht stabiler, sondern sogar empfindlicher, spekulieren die Forscher.
Nur Millionstel Millimeter
Zudem lag die Eindringtiefe des Fluorids in beiden Fällen weit unter den bisher geschätzten Werten: Beim Natriumfluorid maß die neugebildete Schicht lediglich knapp zehn Nanometer (zehn Millionstel Millimeter), beim Olaflur etwa 100 Nanometer. Das könnte daran liegen, dass die Oberfläche bei Olaflur so porös wurde, vermuten die Forscher.
Zwar stellen die Ergebnisse nicht in Frage, dass Fluorid vor Karies schützt. Allerdings lassen sie Zweifel an den bisherigen Erklärungsansätzen aufkommen. Denn die fluoridhaltige Schicht, die sich auf der Zahnoberfläche bildet, ist nicht etwa einige Mikrometer (Tausendstel Millimeter) dick, wie frühere Studien nahegelegt hatten. Stattdessen ist sie um einen Faktor von fast 100 dünner als gedacht.
Es sei fraglich, ob eine derartig dünne Schicht tatsächlich als eine Art schützende Haut fungieren kann oder ob das Fluorid seine schützende Wirkung auf andere Weise ausübt, schreiben die Wissenschaftler. Schließlich müssten solche dünnen Schichten sich theoretisch schon bei einer herkömmlichen Belastung der Zähne innerhalb kürzester Zeit abschleifen. Es sei denkbar, dass die Fluoridbehandlung noch weitere, bisher nicht bekannte chemische Veränderungen im Zahnschmelz hervorruft, die für den bereits hinreichend belegten Schutzeffekt verantwortlich sind.
Außerdem müsse man daran arbeiten, den Einfluss des pH-Wertes genauer zu charakterisieren. Die Wissenschaftler wollen daher als nächstes untersuchen, ob saure oder neutrale Fluoridlösungen effektiver vor Karies schützen.