Medizin-Tests in Indien Verkaufte Körper

Freiwillige in indischem Studienzentrum: Tests bergen moralische Sprengkraft
Foto: Ecron AcunovaSkrupellose Mitarbeiter von Pharmafirmen, die ihre neuen Medikamente an armen Menschen testen, und dabei Todesopfer billigend in Kauf nehmen - im Film sind die Rollen einfach verteilt. In "Der ewige Gärtner" etwa entwirft John le Carré ein solches Bild von Gut und Böse, doch die Wirklichkeit gestaltet sich komplizierter.
Seit jeher funktioniert medizinischer Fortschritt durch Versuch und Irrtum. Bei der Entwicklung eines Medikaments ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Forschung das Labor verlässt und an Menschen fortgesetzt werden muss. Damit die Teilnehmer von Studien vor Schaden bewahrt werden, hat sich die Forschung selbst Regeln auferlegt. Bekannt ist die "Deklaration von Helsinki" , die 1964 vom Weltärztebund beschlossen und zuletzt 2008 überarbeitet wurde. Ihr Kernsatz: "Das Wohlergehen des Patienten muss über den Interessen von Wissenschaft und Gesellschaft stehen." Die Bedürfnisse von ökonomisch und medizinisch benachteiligten Menschen müssten besonders berücksichtigt werden.
Besondere Situation der Freiwilligen
Zu der Deklaration kommen "Standards der guten Praxis", es gibt Ethik-Ausschüsse, die die Einhaltung der Menschenrechte überwachen sollen. Behörden wie die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) und ihr US-Pendant FDA schicken Kontrolleure in alle Welt, um stichprobenartig oder bei Verdacht Studienzentren und deren Durchführung zu überwachen.
Problem also gelöst?
Mitnichten. In Indien nähmen 26 Prozent der Testpersonen deshalb an klinischen Studien teil, weil sie dadurch eine kostenlose oder gute Behandlung bekommen, sagt Sandhya Srinivasan, Chefredakteurin des Indian Journal of Medical Ethics . "Das macht es gefährlich, Firmen leichten Zugang zu Patienten zu gewähren und Ärzten Geld für die Anwerbung von Testpersonen anzubieten." Die zunehmende Entwicklung der Pharmaforschung in ihrem Land berge erhebliche moralische Sprengkraft.
Die indische Regierung hat vieles unternommen, um Pharmakonzerne mit niedrigen Steuern und großzügigen Patentregeln anzulocken. Noch bis 2005 war es den Konzernen nur dann erlaubt, in Indien Studien durchzuführen, wenn diese zuvor schon im Ausland gelaufen waren. Dann ergänzte Indiens Regierung die Arzneimittel-Richtlinie so, dass klinische Studien auch möglich wurden, wenn das zu testende Medikament die Erprobung im Ausland noch nicht beendet hatte.
Statt aufwendiger Vorschriften und einer oft langwierigen und teuren Suche nach Versuchspersonen bot Indien plötzlich Zugriff auf seine 1,2 Milliarden Einwohner, darunter viele kranke und bislang unbehandelte Menschen.
Ebenfalls von Vorteil für die Pharmakonzerne: Indische Ärzte sind gut ausgebildet, sprechen meist Englisch und arbeiten trotzdem für wenig Geld - ein gewichtiges Argument für Unternehmen, die Millionen Euro in die Entwicklung eines Medikaments stecken. Die tatsächliche Höhe der Ausgaben ist zwar umstritten, aber teuer sind die Tests allemal. Experten schätzen, dass ein Hersteller 30 bis 50 Prozent der Ausgaben sparen kann, wenn er ein neues Mittel in Indien statt in der EU testet.
Investment aus dem Ausland stieg an
Derzeit sollen rund 150.000 Menschen an Arzneimitteltests in Indien teilnehmen, heißt es sich in indischen Zeitungen. Ob das stimmt, ist unklar. Wie viele Tests vor einigen Jahren begonnen wurden, wie viele Patienten daran beteiligt waren oder sind - das weiß niemand genau zu sagen. Um mehr Transparenz zu erlangen, führte die zuständige Behörde, das Indian Council of Medical Research (ICMR), 2007 ein Register ein, in dem alle laufenden Versuche im Land verzeichnet werden müssen. Zwischen Dezember 2007 und Dezember 2011 wuchs die Zahl der dort registrierten Studien von 11 auf 2380. Und noch immer gibt es genügend Studien, die in dem Register nicht zu finden sind - da sind sich die Mitarbeiter des ICMR sicher.
Probleme bei der Kontrolle kennen auch die Pharmafirmen, denn die erhobenen Daten müssen später dem kritischen Blick der internationalen Zulassungsbehörden genügen. Die Unternehmen setzen daher auf sogenannte Contract Research Organisations (CRO) - Dienstleister, die auf die Durchführung klinischer Studien spezialisiert sind. "Eine große internationale Studie in einem wichtigen Indikationsgebiet mit vielen Patienten kostet uns insgesamt einen dreistelligen Millionenbetrag", sagt Boehringer-Ingelheim-Sprecherin Judith von Gordon. "Das ist ein richtiger Kraftakt für ein Pharma-Unternehmen." Die Einhaltung ethischer und wissenschaftlicher Standards könne man nicht den Kliniken vor Ort überlassen. "Dann hätten wir keine vergleichbaren Daten mehr", sagt von Gordon. "Ein einziger Ausreißer - einer, der schlampig arbeitet und die Kriterien nicht einhält - kann uns eine Studie ruinieren."
In den USA oder Europa gilt der Grundsatz, dass sich wenige Menschen zugunsten anderer für Tests zur Verfügung stellen - aber dennoch alle davon ausgehen können, dass das Medikament, ist es erst einmal entwickelt, allen zu Gute kommt. In Indien gibt es dagegen keine Garantie dafür, dass die Medikamente, die an der Bevölkerung getestet werden, nach ihrer Zulassung auch für die Menschen erhältlich sind - jedenfalls nicht zu einem erschwinglichen Preis.
Im Rahmen einer Studie der Buko Pharma-Kampagne wurde etwa das Geschäftsverhalten der Pharmakonzerne Bayer, Boehringer Ingelheim und Baxter in Indien untersucht. Das Ergebnis: Alle drei führen zwar klinische Studien im Land durch, erforschen damit aber neue Produkte für Anwendungsgebiete, die eher in den westlichen Nationen auftreten. Krankheiten, die in armen Ländern vorherrschten, würden vernachlässigt. Auch das Arzneimittelsortiment, das in Indien angeboten wird, decke sich nicht mit den Bedürfnissen der Menschen.
Boehringer etwa biete zu 70 Prozent unnötige Pillen für den indischen Markt an, verzichte aber immerhin bei einem Aids-Medikament auf eine strikte Durchsetzung des Patentrechts. Bei Bayer seien immerhin 64 Prozent der angebotenen Medikamente für den indischen Markt gedacht, zeitgleich schließe die Preispolitik aber viele arme Menschen vom Zugang zu den Arzneien aus.
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