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Big Pharma in Indien: Vom IT-Experten zum Pharma-Inder

Foto: Yahya Arhab/ dpa

Klinische Studien in Indien Eine Frage der Globalisierung

Klinische Studien werden immer öfter in Entwicklungsländern stattfinden - das prognostizieren Pharmaexperten seit Jahren. Indien gilt neben China als ein Hotspot. Der Vorteil des Landes: Viele der Menschen haben noch nie in ihrem Leben ein Medikament bekommen.

Medikamente sind heute Globetrotter. Die Inhaltsstoffe kommen aus Indien, Israel, China oder Litauen. Auch die Forschungsaktivitäten der Pharmakonzerne finden längst rund um den Globus statt. Manche Studien besagen, dass mehr als die Hälfte aller weltweiten Tests außerhalb bekannter Märkte wie den USA, der EU und Japan stattfinden.

Bis zu 40 Prozent kann es günstiger sein, eine Studie nicht in Industrie-, sondern in Schwellenländern durchzuführen: Doch löst der "Pharma-Inder" tatsächlich den "Computer-Inder"ab?

Eine Analyse der existierenden Register und Gutachten, etwa der Europäischen Arzneimittelbehörde (Ema),  zeigt die Entwicklung in Drittländer. Insgesamt sollen aktuell über 1900 klinische Studien in Indien laufen. Von 2006 bis 2011, das ergibt die Auswertung des internationalen Registers clinicaltrials.gov, lag die Zahl der neu initiierten Tests in Indien zwischen 204 (2006) und 173 (2011). Indien und China bewegen sich in etwa auf dem gleichen Niveau: 2006 begannen in China 150 neue Tests, im Jahr 2011 waren es 184 (siehe Fotostrecke).

Trotz der deutlichen Differenz zu den Industriestaaten sehen Experten eine Tendenz: "Der steigende Bedarf an klinischen Studien und der gleichzeitige Rückgang an geeigneten Testpersonen in den Industriestaaten könnte den medizinischen Fortschritt gefährden", sagt Analyst Todd Clark, Vorsitzender der US-Pharma-Unternehmensberatung VOI. Die Qualität der Studienzentren in Drittländern hätte sich in den vergangenen zehn Jahren allerdings deutlich verbessert, so dass diesen eine immer wichtigere Rolle in der Entwicklung von Medikamenten zukäme.

Die Auswertung der Europäischen Arzneimittelagentur (Ema) bestätigt das. Kamen 2005 noch 20 Prozent aller Studienteilnehmer aus Entwicklungs- und Schwellenländern (dazu gehören Staaten in Afrika, Asien, Südamerika und Osteuropa), waren es 2008 bereits 34 Prozent. Auf Indien entfallen 1,3 Prozent. Zum Vergleich: China und Thailand stellten im Zeitraum 2005 bis 2008 je 0,8 Prozent aller Studienteilnehmer weltweit, aus den USA kamen dagegen 32 Prozent.

Melden sich in Europa zu wenig Freiwillige?

Begründet wird die Abwanderung in die Schwellen- und Entwicklungsländer gern mit der schwindenden Bereitschaft der Europäer und Nordamerikaner, sich freiwillig für klinische Studien zu melden. Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) ergab eine Umfrage unter 300 chronisch Kranken, dass 80 Prozent von ihnen neuen Medikamenten hohe Bedeutung für den therapeutischen Fortschritt beimaßen. Aber nur 13 Prozent gaben an, dass sie an einem klinischen Versuch teilnehmen würden.

Wer aber bei den Dienstleistern nachfragt, die für Pharmakonzerne klinische Studien organisieren und umsetzen, bekommt eine ganz andere Antwort: Es gebe keine Probleme, geeignetes Testpersonal zu finden, sagt etwa Charlotte Taylor, Sprecherin des Weltmarktführers Quintiles. Das gelte auch für Europa und die USA.

Der Gang in Richtung Asien hat für Medikamentenhersteller wohl eher andere Gründe. So sind die Personal- und Arbeitskosten dort niedriger als in den Industriestaaten. Die Firmen können bei den Entwicklungskosten eines Medikaments - die sich meist auf mehrere Hundert Millionen Euro belaufen - zwischen 30 und 50 Prozent der Kosten sparen, schätzen Pharmaökonomen.

Zudem gibt es in Indien mit seinen über 1,2 Milliarden Einwohnern viele Menschen, die als treatment-naïve bezeichnet werden: Sie wurden noch nie mit Medikamenten behandelt. Für klinische Studien ist das oft ein Vorteil. Bei Tests in den Industriestaaten ist es hingegen ein Problem, dass die Menschen bereits viele andere Medikamente eingenommen haben. Dass macht es schwer, die Wirksamkeit neuer Pillen zu testen, ohne mit einer ganzen Reihe von Wechselwirkungen konfrontiert zu sein, die Testergebnisse beeinflussen können.

Probleme mit der Zulassung eines Medikamentes in der EU gibt es nicht, wenn der Pharmakonzern in Indien getestet hat: Es gilt die Regelung, dass Studien nicht zwangsläufig in dem Land oder der Region durchgeführt werden müssen, in dem für das Medikament später die Zulassung beantragt wird. Entscheidend bei der Bewertung der Studien sei, dass die Testpersonen mit den künftigen Patienten vergleichbar ist, dass also die medizinischen Ergebnisse übertragbar seien, erklärt Thomas Sudhop vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). "Dies ist im Fall Europa und Indien gegeben."

nik
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