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Pharma-Land Indien: Apotheke der neuen Welt

Foto: Nicola Kuhrt

Medikamente in Indien Big Pharma per Zwangslizenz enteignet

Die indische Regierung erlaubt wieder die Produktion patentgeschützter Pillen. Nach Novartis protestiert nun Bayer gegen extreme Preissenkungen. Schon überlegen die internationalen Konzerne, Neuentwicklungen nicht mehr in Indien zuzulassen - das könnte das Land vom Fortschritt abschneiden.

Analysten vermuten schon länger, dass Indien seinen mühsam erlangten Ruf als idealer Standort der Pharmaindustrie einbüßen könnte. Experten glauben, dass China Indien langfristig den Rang ablaufen wird. Zwar seien die Standards und Infrastrukturen in Indien besser geworden, aber längst noch nicht so gut wie anderswo.

"Die Chinesen sind sehr strukturiert", sagt Volker Rönicke, Partner der Strategieberatung Booz & Company. "Das kommt den internationalen Konzernen natürlich entgegen." Auch lebten in dem autoritären Staat viele wohlhabende Menschen, die medizinische Leistungen aus eigener Tasche bezahlen könnten.

Die Entwicklung scheint paradox: Längst gilt Indien als die Apotheke für Schwellen- und Entwicklungsländer. Mehr als 20.000 kleine und große Pharmafirmen gibt es im Land, die meisten sind auf die Herstellung von Generika - wirkstoffgleiche Kopien von Originalmedikamenten - spezialisiert und äußerst produktiv: Mehr als 70 Prozent aller Nachahmer-Arzneien weltweit kommen mittlerweile aus indischen Fabriken, die Branche bestreitet rund 80 Prozent der Umsätze des 20 Milliarden Dollar starken indischen Pharmamarkts.

Indien gibt eigenen Konzernen Vorteile

Liegt es am gewonnenen Selbstbewusstsein, oder ist es schlicht der Wunsch, die inländischen Produzenten weiter zu stärken? Anfang April bewilligte das indische Patentamt einen Antrag des Generikaherstellers Natco, das Krebsmittel Nexavar von Bayer nachmachen zu dürfen. Natco-Konkurrent Cipla hatte bereits ohne Lizenz eine Kopie des Krebsmittels auf den indischen Markt gebracht und kann somit auf eine nachträgliche Absegnung des Vorgehens per Gerichtsurteil hoffen. Ein Urteil mit Signalwirkung: Erstmals seit 2005, als das indische Patentrecht reformiert wurde, erteilt Indien wieder eine Zwangslizenz.

Eigentlich sind diese im internationalen Handelsrecht für Notfälle wie Epidemien und Erdbeben vorgesehen, um die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten zu gewährleisten. Nexavar ist ein Mittel gegen Leberkrebs oder fortgeschrittenen Nierenkrebs, wenn die Standardtherapie versagt hat. Es wird also nicht in großen Mengen benötigt, lebensrettend ist es ebenfalls nicht - es verlängert das Überleben der Patienten um wenige Monate.

Mit der Lizenz verleiht die indische Regierung allerdings einem inländischen Hersteller einen Vorteil: Acht Jahre vor Ablauf des Patentschutzes darf Natco das Medikament nachahmen und vertreiben. Der Preis wird dabei deutlich unter dem des Originals liegen. Statt umgerechnet rund 5700 Euro wird die Therapie mit dem Präparat 135 Euro kosten. Bayer wird sechs Prozent davon als Lizenzgebühr erhalten, was weit unter den üblichen Sätzen liegt. Der deutsche Konzern muss somit einen Preisabschlag von mehr als 90 Prozent für sein Produkt hinnehmen.

Das harsche Vorgehen verträgt sich wenig mit der bisherigen Marschroute, ein Testfeld für Big Pharma zu sein. Schon überlegen manche Hersteller, ob sie Neuentwicklungen überhaupt in Indien anbieten werden.

Patientenorganisationen und "Ärzte ohne Grenzen" begrüßen die Entscheidung der indischen Regierung. Branchenkenner hingegen befürchten schwerwiegende Folgen für den Gesundheitsmarkt: Sollten die Pharmafirmen einen Umweg um Indien machen, wird das Land möglicherweise vom technologischen Fortschritt abgehängt.

Der Leverkusener Konzern macht mit Nexavar einen Umsatz von etwa 725 Millionen Dollar weltweit. Damit gilt das viertwichtigste Medikament des Unternehmens als Kassenschlager, die Entscheidung des indischen Patentamts will man jedenfalls nicht hinnehmen: Bayer hat Widerspruch eingelegt.

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