Sprachforschung Warum Deutsche so viele Wörter für Schnee kennen

Inuit
Foto: CorbisDie Inuit, so heißt es, hätten mehr Wörter für Schnee als andere. Eine neue Studie kommt dem Phänomen auf die Spur: Sie zeigt, wie sich Sprachen in den Klimaregionen der Erde unterscheiden: "Wir haben gezeigt, dass die Bedürfnisse der Menschen ihre Sprache prägen", sagt Alexandra Carstensen von der University of California in Berkeley, USA.
Zusammen mit Kollegen hat die Forscherin fast 300 Sprachen auf ihre Wörter für Schnee und Eis geprüft. "Wir wollten die Frage über die Inuit-Sprachen hinaus erforschen", sagt Charles Kemp, Psychologe an der Carnegie Mellon University in den USA.
Das Ergebnis: Völker in wärmeren Gefilden haben öfter nur ein Wort für Schnee und Eis, in kühleren Regionen unterscheiden Menschen aber zwischen beiden, berichten die Gelehrten im Wissenschaftsmagazin "Plos One". Ihre Studie zeige, dass die Umweltbedingungen einer Region sich in der Sprache niederschlügen. Beispielsweise kennen englische Dialekte in nördlichen Gefilden zwei Wörter für Schnee und Eis, Hawaiianer hingegen nur eins. Ob Inuit tatsächlich so viele Wörter für Schnee kennen, klärt die Studie allerdings nicht.
Der entscheidende Einfluss
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin deutet die Ergebnisse etwas anders: "Die Kollegen behaupten, einen Einfluss der Umwelt auf das Kategoriensystem einer Sprache und ihres Wortschatzes nachzuweisen. Tatsächlich haben sie aber den Einfluss der Umwelt untersucht auf die Wichtigkeit bestimmter Gesprächsthemen und den Einfluss der Wichtigkeit dieser Themen auf den Wortschatz", sagt er.
In der Sprachwissenschaft bestehe weitgehend Einigkeit, dass es einen direkten Einfluss der Umwelt auf die Sprache nicht gebe. Die Studie bestätige lediglich, dass der Kommunikationsbedarf zu bestimmten Themen einen Einfluss auf die Größe und Ausdifferenzierung des Wortschatzes habe.
Dass die Umwelt nur einen indirekten Einfluss auf den Wortschatz habe, lasse sich am Beispiel des Deutschen zeigen, sagt Stefanowitsch - im Deutschen gebe es ein beachtliches Vokabular für Schnee.
Er zählt auf: "Altschnee, Blutschnee, Brettschnee, Faulschnee, Filzschnee, Firn, Flugschnee, Harsch, Windharsch, Schmelzharsch, Bruchharsch, Industrieschnee, Kunstschnee, Lawinenschnee, Lockerschnee, Nassschnee, Neuschnee, Pappschnee, Pulverschnee, Schwimmschnee, Sulz, Triebschnee und Wildschnee".
Den meisten Deutschen sei nur ein Teil dieser Wörter geläufig. "Eingefleischte Skifahrer dagegen kennen sie fast alle - und zwar nicht, weil sie in einer anderen Umwelt leben, sondern, weil sie mehr Anlässe und eine größere Notwendigkeit haben, differenziert über Schnee zu sprechen."
Der Kommunikationsbedarf sei also der entscheidende Einflussfaktor auf den Wortschatz.