Kürzungsforderung Krankenkassen sollen sich Homöopathie sparen

Deutschlands Krankenkassen wirtschaften am Rande des Bankrotts - kann sich dieses System noch Zuschüsse für homöopathische Behandlungen leisten? In der SPD regt sich Protest, ein Verbot wird gefordert. Auch einflussreiche Funktionäre und Aufseher sehen ein riesiges Sparpotential.
Homöopathische Mittel: Wasser, Zucker, Alkohol - und sonst wenig Messbares

Homöopathische Mittel: Wasser, Zucker, Alkohol - und sonst wenig Messbares

Foto: DDP

Berlin - Der Streit um die Homöopathie spitzt sich zu. Nachdem für die meisten Wissenschaftler erwiesen ist, dass die Homöopathie auf einem Placeboeffekt beruht, fordert die SPD nun, die Alternativmedizin aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu streichen.

"Man sollte den Kassen schlicht verbieten, die Homöopathie zu bezahlen", sagte Karl Lauterbach, SPD-Obmann im Gesundheitsausschuss des Bundestags, dem SPIEGEL. Dass mittlerweile mehr als die Hälfte aller gesetzlichen Krankenkassen die Leistungen von Homöopathen erstatten, kritisiert der Experte: "Viele Patienten glauben, die Kassen zahlen nur das, was auch nachweisbar hilft. Deshalb adeln die Krankenkassen mit ihrem Vorgehen die Homöopathie."

Auch der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses aus Ärzten und Krankenkassen, Rainer Hess, hält die jetzige Situation für "extrem unbefriedigend". Es gebe nach Hunderten medizinischen Studien bisher keinen klaren Nutzennachweis für die Homöopathie. Trotzdem müssen die Krankenkassen sie bezahlen. "Es hat schon viele Anläufe gegeben, die Schutzvorschrift für derartige Mittel zu streichen, aber einflussreiche Politiker haben dies immer wieder verhindert", sagt Hess.

Jürgen Windeler, der zum 1. September seinen Job als Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) antritt, nennt die Homöopathie im SPIEGEL ein "spekulatives, widerlegtes Konzept". Bis heute sei nicht erwiesen, dass die Methode einen medizinischen Nutzen habe. "Dazu muss man auch gar nicht mehr weiterforschen, die Sache ist erledigt", sagt der künftige oberste Medizinprüfer im Land.

Homöopathie in Beweisnot - und international unter Druck

Die Homöopathie basiert auf den Vorstellungen des deutschen Arztes Samuel Hahnemann. Ab 1796 argumentierte dieser, Krankheiten sollten dem sogenannten Ähnlichkeitsprinzip folgend am besten durch Medikamente geheilt werden, die bei Gesunden die gleichen Symptome hervorrufen könnten wie die Krankheit. Weil das teils nur mit Giftstoffen zu erreichen war, ersann Hahnemann die Potentierung genannte extreme Verdünnung der Wirkstoffe.

Heutige homöopathische Mittel werden ritualisierten Regeln folgend so stark verdünnt, dass die Wirkstoffe mit heutigen Messverfahren meist nicht mehr nachweisbar sind. Für Kritiker macht das die Homöopathie zu einer esoterischen Disziplin.

Ein wissenschaftlicher Nachweis der Wirkung homöopathischer Mittel über das Maß normaler Placebo-Effekte hinaus ist bisher nicht gelungen - weder Kritikern noch Befürwortern. In Großbritannien organisiert die Kampagne "10 hoch 23"  Aktionen, die auf die Entfernung homöopathischer Mittel aus Apotheken und aus dem Leistungsspektrum des öffentlichen Gesundheitswesens NHS drängen. Am 30. Januar rief die Kampagne zu einer öffentlichen Überdosierungsdemonstration, bei der sich rund 400 Freiwillige vielhundertfach überhöhte Dosen homöopathischer Mittel zuführten, um deren Wirkstofffreiheit zu demonstrieren. Dokumentiert wurden zunächst weder Wirkungen noch Nebenwirkungen (siehe Fotostrecke).

Fotostrecke

Protestaktion: Überdosis gegen die Homöopathie

Foto: Kelly Haddow

Mitte Mai sprach sich die britische Ärztevereinigung British Medical Association offiziell gegen den Einsatz homöopathischer Mittel im öffentlichen Gesundheitssystem aus. Hunderte britische Ärzte forderten, die Stoffe aus dem Katalog der von Gesundheitsbehörden bezahlten Mittel zu nehmen. Homöopathie sei nichts als "Hexenhandwerk", sagte ein Vertreter der Standesorganisation.

pat
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