Langzeitstudie Forscher bezweifeln Sinn von Prostatakrebs-Check

Prostatakrebs-Therapie: Häufigster Tumor beim Mann
Foto: DPAProstatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern in Deutschland. Bei etwa 64.000 wird die Krankheit jährlich diagnostiziert, etwa 11.500 sterben nach Angabe des Robert-Koch-Instituts jährlich daran. Viele Hoffnungen haben sich auf eine bessere Früherkennung gerichtet, um die Krankheit zurückzudrängen: Wenn alle Männer ab einem gewissen Alter untersucht würden, könne das die Todesfälle durch den Krebs senken, war die Idee.
Doch Studien deuten in die Richtung, dass ein Massen-Screening zwar im Einzelfall helfen kann, jedoch gleichzeitig Schaden anrichtet. Denn: Oft wachsen Prostatatumoren sehr langsam. Betroffene können viele Jahre beschwerdefrei leben - die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie nicht am Krebs, sondern an etwas anderem sterben. Wird der Tumor aber durch ein Screening entdeckt, ist der Mann unweigerlich ein Krebspatient; und als Nebenwirkungen der Therapien drohen Impotenz und Inkontinenz. Eine Untersuchung im Jahr 2009 hatte ergeben: Um nur einen Todesfall durch Prostatakrebs zu verhindern, müssen 1400 Männer zum Screening gehen und 48 Krebspatienten behandelt werden.
In diese Kerbe schlägt jetzt auch eine schwedische Studie, die im "British Medical Journal" veröffentlicht wurde: Zwar könne durchs Screening die Zahl der Todesfälle durch Prostatakrebs gesenkt werden. Doch gleichzeitig sei das Risiko unnötiger Behandlungen hoch.
Die Forscher um Gabriel Sandblom vom Stockholmer Karolinska Institut haben die Prostatakrebsfälle in der schwedischen Stadt Norrköping 20 Jahre lang dokumentiert. Der lange Zeitraum macht die Untersuchung interessant.
Mehr Krebsdiagnosen in der Screening-Gruppe
Die Mediziner erklärten alle männlichen Einwohner Norrköpings, die zu Studienbeginn im Jahr 1987 zwischen 50 und 69 Jahre alt waren, zu Teilnehmern. Männer unter 50 erkranken sehr selten an Prostatakrebs; bei der Diagnose sind die Betroffenen im Schnitt 69 Jahre alt. Ein Sechstel der Norrköpinger Männer, insgesamt 1494, wurde alle drei Jahre zur Früherkennung eingeladen, die übrigen 7532 dienten als Kontrollgruppe. Insgesamt gab es vier Screening-Termine, die zwischen 70 und 78 Prozent der Männer wahrnahmen.
Bei den ersten beiden führten die Mediziner eine Tastuntersuchung durch, beim dritten und vierten wurde zusätzlich ein sogenannter PSA-Test eingesetzt. Dabei wird die Konzentration des prostataspezifischen Antigens im Blut bestimmt. Ist der Wert erhöht, deutet das auf Krebs hin - dann folgt eine Biopsie, um den Verdacht zu bestätigen oder zu entkräften.
Die Studie lieferte folgende Zahlen:
- Krebsfälle: Während der Früherkennung diagnostizierten die Ärzte 43 Prostatatumoren, bei weiteren 42 Männern wurde ebenfalls Krebs entdeckt - allerdings zwischen den Screening-Terminen. Insgesamt stellten die Mediziner also bei 5,7 Prozent der Screening-Teilnehmer Prostatakrebs fest. In der Kontrollgruppe war das nur bei 3,9 Prozent der Fall. In der Screening-Gruppe wurden mehr Tumore in früherem Stadium entdeckt.
- Todesfälle: In der Screening-Gruppe starben 30 Männer an Prostatakrebs, also zwei Prozent der Teilnehmer. In der Kontrollgruppe waren es 130, also 1,7 Prozent. Die Forscher haben zusätzlich berechnet, wie viele der Männer mit Prostatakrebs-Diagnose an der Krankheit starben. Demnach hatten die Männer in der Screening-Gruppe etwas bessere Überlebenschancen. 35 Prozent erlagen der Krankheit, in der Kontrollgruppe waren es 45 Prozent.
Das Screening und die folgende Behandlung senkt die Sterblichkeit durch Prostatakrebs höchstwahrscheinlich nicht mehr als um ein Drittel, folgern die Mediziner. Der Preis dafür sei jedoch das Risiko von Überdiagnosen und unnötigen Behandlungen. Bei Prostatakrebs wird entweder operiert, bestrahlt oder eine Hormontherapie durchgeführt. Zusätzlich gibt es unter anderem noch das "Aktive Beobachten" bei weniger aggressiven Tumoren. Das bedeutet: Man zögert die Therapie hinaus, bis der Krebs eine Behandlung dringend nötig macht oder der Patient eine Behandlung fordert.
Man könne zwar weiter in Erwägung ziehen, den PSA-Test bei Männern durchzuführen, die genau über möglichen Nutzen und Schaden der Früherkennung informiert wurden, meint Sandblom. Das sei auch bei Männern denkbar, bei denen nicht bereits ein Krebsverdacht vorliegt. Aber: "Ich glaube nicht, dass eine Reihenuntersuchung aller Männer eine gute Idee ist", sagt Gabriel Sandblom.
Bei Veröffentlichung veraltet
Die Studie hat auch Schwächen. So war die Teilnehmerzahl im Vergleich zu anderen Screening-Studien, die auf bis zu 182.000 Teilnehmer kamen, sehr gering. Die Daten sind daher mit Vorsicht zu genießen. "Die Studie ist viel zu klein um Unterschiede in der Sterblichkeit durch Prostatakrebs entdecken zu können", sagt auch Medizinstatistiker Hans-Hermann Dubben vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Dubben hat die generellen Probleme solcher Langzeitstudien bereits in einem Fachartikel zusammengefasst, bei der aktuellen Untersuchung weist er auf Folgendes hin: Alle Ergebnisse dieser Studie bezögen sich auf eine Gruppe, die vor etwa 24 Jahren ins Screening gestartet ist. Seitdem hätten sich die Bevölkerung, die Diagnostik und die therapeutischen Möglichkeiten verändert. "Das Ergebnis ist zwangsläufig veraltet. Auch die Ergebnisse zukünftiger Krebsfrüherkennungsstudien werden aus gleichem Grunde immer veraltet sein", so Dubben. Dies zeigt sich in der schwedischen Studie sogar deutlich: Die ersten zwei der vier Screening-Termine liefen ohne einen PSA-Test ab, weil der damals noch nicht als Diagnosemittel etabliert war.
Ein interessantes Ergebnis liefert die Studie dennoch, sagt Dubben: Die Zahl der Überdiagnosen sei deutlich. "Von 55 Männern in der Screening-Gruppe erhält einer eine Krebsdiagnose und eine entsprechende mehr oder minder aggressive Krebstherapie, die er definitiv nicht benötigt. Das sollte ein klarer Warnhinweis sein."
In Deutschland ist es ohnehin dem Einzelnen überlassen, ob er einen PSA-Test machen lässt: Wenn keine Verdachtsmomente vorliegen, übernehmen die Krankenkassen die Kosten von 15 bis 45 Euro nicht. Die jährliche Tastuntersuchung für Männer ab 45 Jahren wird dagegen von den Kassen bezahlt.
Die schwedischen Mediziner schlagen indes vor, stärker in eine andere Richtung zu forschen: Man müsse Wege finden, um harmlose Tumore von aggressiven zu unterscheiden und Therapien für diese harmlosen Krebsfälle finden, die mit weniger Nebenwirkungen verbunden sind.