Globale Verschmutzung Neun Millionen Menschen sterben jedes Jahr vorzeitig durch Umweltgifte

Feinstaub in der Luft, Unrat im Wasser, Blei im Boden: Einer internationalen Studie zufolge zählt Umweltverschmutzung zu den größten Gesundheitsgefahren – mit mehr Todesopfern als Krieg, Terrorismus oder Malaria.
Tödlicher Feinstaub: Smog in Kairo

Tödlicher Feinstaub: Smog in Kairo

Foto: David Degner / Getty Images

Umweltverschmutzung ist einer Studie zufolge für weltweit jeden sechsten vorzeitigen Todesfall verantwortlich. Im Jahr 2019 starben neun Millionen Menschen verfrüht, wie aus einer am Mittwoch in der Fachzeitschrift »Lancet«  veröffentlichten Studie hervorgeht. Hauptursachen sind demnach schlechte Luftqualität und chemische Schadstoffe wie Blei. 6,7 Millionen vorzeitige Todesfälle waren laut der Studie auf Luftverschmutzung zurückzuführen, 1,4 Millionen auf Wasserverschmutzung und 900.000 auf Bleibelastung.

Die Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die Gesundheit seien »sehr viel größer als die von Krieg, Terrorismus, Malaria, HIV, Tuberkulose, Drogen und Alkohol«, erklärten die Autoren rund um Hauptautor Richard Fuller von der Globalen Allianz für Gesundheit und Umweltverschmutzung (GAHP). Umweltverschmutzung und Abfälle, die in Luft, Wasser und Boden gelangen, führen selten direkt zum Tod. Sie können jedoch schwere Herzerkrankungen, Krebs, Atemprobleme und akuten Durchfall verursachen.

Die Zahl der vorzeitigen Todesopfer, die sich auf Abgase von Autos, Lastwagen und Industrie zurückführen lassen, ist seit dem Jahr 2000 um 55 Prozent gestiegen – vor allem in Asien mit seiner raschen Industrialisierung und seinen wachsenden Städten. Fortschritt gibt es hingegen, weil weniger Menschen an dem Schmutz aus primitiven Feuerstellen im Haus oder an mit Fäkalien verschmutztem Wasser sterben. Insgesamt hielt sich die Sterbezahl seit einer vorherigen Untersuchung im Jahr 2015 konstant.

Höchste Sterberaten in Zentralafrika

»Die schlechte Nachricht ist, dass sie nicht sinkt«, sagte Philip Landrigan, Direktor des Global Public Health Program and Global Pollution Observatory am Boston College. Besonders betroffen sind demnach Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Auf sie entfallen 92 Prozent der vorzeitigen Todesfälle und ein Großteil der damit verbundenen wirtschaftlichen Verluste. Diese lagen 2019 laut der Studie bei 4,6 Billionen Dollar (4,38 Billionen Euro) und damit bei etwa 6 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.

In Indien sterben der Studie zufolge 2,4 Millionen Menschen jährlich verfrüht durch die Verschmutzung, in China 2,2 Millionen. Bezogen auf die Bevölkerungszahl haben afrikanische Staaten wie Tschad, die Zentralafrikanische Republik und Niger trotz starker Rückgänge noch immer die höchsten Sterberaten: rund 300 Tote jährlich pro 100.000 Einwohner, zumeist wegen verschmutzten Wassers. Doch auch von Kohlekraft geprägte Staaten wie Nordkorea mit einem besonders starken Anstieg und das EU-Mitglied Bulgarien fanden sich unter den Top Ten. Die niedrigsten Sterberaten verzeichneten Brunei, Katar und Island mit 15 bis 23, der weltweite Durchschnitt betrug 117.

»Jeder einzelne ist ein unnötiger Tod«

»All dies sind vermeidbare Todesfälle. Jeder einzelne von ihnen ist ein unnötiger Tod«, sagte die Gesundheitsforscherin Lynn Goldman von der George Washington University School of Public Health, die nicht an der Studie beteiligt war. Ihr zufolge sind die Zahlen sinnvoll berechnet, allenfalls zu konservativ: Wahrscheinlich liege die wahre Zahl der Opfer der Umweltverschmutzung noch höher.

»Die Tatsache, dass die Bleibelastung vor allem in ärmeren Ländern zunimmt und die Zahl der Todesfälle steigt, ist erschreckend«, sagte Hauptautor Fuller der Nachrichtenagentur AFP. Algerien hatte 2021 als letztes Land weltweit Blei im Benzin verboten. Dennoch gelangt der Schadstoff weiterhin in die Umwelt, insbesondere durch unsachgemäßes Recycling von Bleisäurebatterien und Elektroschrott.

Das Bewusstsein für das Problem und die finanziellen Mittel zur Bekämpfung seien seit 2015 nur geringfügig gestiegen, erklärte Fuller. »Wenn wir es nicht schaffen, auf saubere und grüne Weise wirtschaftlich zu wachsen, machen wir etwas furchtbar falsch.« Für jedes dieser Probleme sei die Lösung bekannt. »Was fehlt, ist der politische Wille.«

ak/AFP/AP
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