Massive Vorwürfe Spitzenforscherin unter Betrugsverdacht

Silvia Bulfone-Paus: Schwere Vorwürfe von Kollegen
Foto: Maurizio Gambarini/ picture-alliance/ dpaZeit für sich selbst, so hat sie einmal gesagt, bleibe ihr nur selten: Schon morgens früh um halb Sieben mache sie ihren drei Kindern Frühstück. Dann haste sie ins Institut, wo nur nebenher Gelegenheit sei, etwas zu essen und zu trinken. Daheim bei der Familie lasse sie sich dafür aber eins nicht nehmen: "Ich bin Italienerin, möchte also ein schönes Abendessen mit Mann und Kindern genießen", sagt Silvia Bulfone-Paus in einem Porträt über ihre Doppelrolle als Mutter und Forscherin, erschienen in einer Zeitschrift der Leibniz-Gesellschaft.
Doch dieser Tage dürfte die Immunologin noch gestresster sein als sonst: Sie muss sich schwerer Vorwürfe erwehren. Es geht um wissenschaftliches Fehlverhalten. Gleich ein Dutzend Veröffentlichungen, auf denen ihr Name steht, hat die Biologin und Medizinerin zurückgezogen, weil sich darin vermutlich manipulierte Abbildungen gefunden haben. Mehrere Untersuchungskommissionen ermitteln gegen den 46-jährigen "Shootingstar der Forschung" ("Hamburger Abendblatt"). Eine ehemalige Mitarbeiterin am Forschungszentrum Borstel nördlich von Hamburg hatte alles ins Rollen gebracht. Und als es vergangenen Sommer so aussah, als würde den Anschuldigungen nicht nachgegangen, traten Unbekannte auf einer Internetseite eine teils diffamierende Kampagne gegen Bulfone-Paus los.
Kurz vor Weihnachten dann gab sie in einer knappen Mitteilung bekannt, ihr Direktorenamt am Borsteler Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften ruhen zu lassen. Mehr will sie öffentlich nicht sagen. Die Vorwürfe wiegen schwer: "Wir haben Manipulationen in gleich mehreren Publikationen gefunden", sagt der Gießener Internist Werner Seeger, Leiter der vom Forschungszentrum Borstel einberufenen Untersuchungskommission, zu SPIEGEL ONLINE: "Es handelt sich schlicht um wissenschaftliches Fehlverhalten." Fabriziert hätten das zwei ehemalige Mitarbeiter aus der Forschungsgruppe von Silvia Bulfone-Paus. "Als Arbeitsgruppenleiterin trägt sie allerdings eine wesentliche Verantwortung für die Fehler in den Publikationen", urteilt Seeger, Vizechef der Uniklinik Gießen.
Im Dezember tauchten dann weitere Verdachtsmomente auf. Und die betrafen unter anderem eine Arbeit aus dem Jahre 1999, in der Bulfone-Paus - damals am Berliner Universitätsklinikum Benjamin Franklin - die Erstautorin ist. Das wird eigentlich nur der Forscher eines Wissenschaftlerteams, der die maßgebliche Datenanalyse für die Arbeit vorgenommen hat. Jetzt rätselt die Fachgemeinde, wie tief eines ihrer Aushängeschilder in den Forschungsskandal wirklich verwickelt ist.
"Richtig heftiger Betrugsfall"
Eine Kommission an der Berliner Charité, zu der die Benjamin-Franklin-Klinik inzwischen gehört, ermittelt in dieser Frage. Bulfone-Paus streitet jegliche Mitwirkung an irgendwelchen Manipulationen ab. Für sie steht viel auf dem Spiel. Denn ihre Habilitationsschrift, die in den neunziger Jahren entstanden ist, könnte Daten der inkriminierten Arbeit aus dem Jahre 1999 enthalten.
Kollegen erheben schwere Vorwürfe. "Dieser Betrugsfall ist richtig heftig", klagt etwa der Biologe Alexander Lerchl von der Jacobs University in Bremen: "Mit gleich zwölf zurückgezogenen Veröffentlichungen reiht er sich ein in die großen Fälschungsfälle der letzten Jahre." Lerchl, der auch assoziiertes Mitglied des Beratungsgremiums "Committee on Publication Ethics" in London ist, fordert nun, dass alle Arbeiten von Bulfone-Paus genauestens untersucht werden müssen. "Was hier geschehen ist, ist ein Betrug an der wissenschaftlichen Gemeinde."
Flecken und Retuschen - wie die Daten manipuliert worden sein sollen
Schon jetzt ist unklar, wie es mit der Forschungsarbeit von Bulfone-Paus weitergeht. Denn die zwölf zurückgezogenen Publikationen enthielten viele der neuen immunologischen Erkenntnisse, aus denen sie ihr Renommee geschöpft hat. Dabei geht es um einen für das Immunsystem bedeutenden Botenstoff namens Interleukin-15, der Körperzellen davon abhalten kann, sich selbst zu zerstören. Diese hochkomplexe Funktion macht die Interleukine interessant etwa in der Erforschung von allergischen Reaktionen wie Asthma.
Mit dem Hinweis auf künftige medizinische Anwendungen verstand es Bulfone-Paus, für ihre Arbeit unter anderem bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) große Geldsummen einzuwerben. Doch im Mai 2010 bekam sie in einem neuen Sonderforschungsbereich Gelder von der DFG, obwohl die Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt am Institut schon bekannt waren. Die DFG hat eine eigene Untersuchung eingeleitet.
Rätsel um angeblich kopierte Flecken
Die Affäre ans Tageslicht gebracht hat Karin Wiebauer, eine ehemalige Mitarbeiterin von Bulfone-Paus. Eigentlich wollte die Wissenschaftlerin eine eigene Forschungsarbeit angehen, hatte sich dafür die alten Veröffentlichungen herausgesucht. Da fielen ihr Ungereimtheiten bei Abbildungen sogenannter Western Blots auf. Mit diesem Verfahren spüren Forscher auf, welche Proteine in einer Zelle in welcher Menge vorhanden sind und versuchen damit, Rückschlüsse auf das molekulare Geschehen zu ziehen. Western Blots sehen in etwa so aus wie ein schwarzer Filzstift-Strich, der auf einem mit Wasser vollgesaugten Löschblatt langsam verläuft. Das Verfahren ist eine wichtige Methode in der Molekularbiologie.
"Das Muster der Abbildungen kam mir plötzlich bekannt vor", erklärt Wiebauer. Beim Vergleich unterschiedlicher Veröffentlichungen stellte sie fest, dass manche Western Blots offenbar einfach per Computer kopiert und mit neuer Beschriftung versehen worden waren. Manche wurden gespiegelt, einige waren etwas gestreckt. Auch am Kontrast und der Helligkeit hatte man digital nachgeholfen, um das Kopieren zu kaschieren. "Alles in allem eine recht plumpe Fälschung", so ihr Urteil.
Darin ist sie sich einig mit einem der Direktoren des Forschungszentrums Borstel, Ulrich Schaible: "Die Manipulationen sind schon sehr offensichtlich", sagt der Mikrobiologe. Er rätselt, wie es Silvia Bulfone-Paus angeblich zehn Jahre lang nicht auffallen konnte, dass sie von zwei ihrer engsten Mitarbeiter Fälschungen untergeschoben bekam. "Es ist schon schwierig, das zu verstehen", sagt Schaible. "Da muss man schon ein sehr großes Vertrauensverhältnis zu den beiden Mitarbeitern aufgebaut haben."
Kritik an schleppender Aufklärung
Rückendeckung bekommt Bulfone-Paus dagegen vom Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft, Karl Ulrich Mayer. Er glaubt fest daran, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Arbeiten richtig sind. "Wir haben mehrere Stunden mit ihr über die Vorwürfe gesprochen", sagt er. "Und sie konnte uns glaubhaft machen, dass die Originaldaten stimmen."
Der Leibniz-Chef ist sich auch sicher, dass Bulfone-Paus selbst nicht an den Fälschungen beteiligt war, und begründet das so: "Bislang haben wir nur Manipulationen in den Arbeiten gefunden, wo jeweils die beiden Mitarbeiter beteiligt waren." US-Forscher hätten ihm versichert, dass die grafische Aufarbeitung der Western Blots "eine regelrechte Kunstform" sei, für die es keinen letztgültigen Stand der Technik gäbe, dafür aber "eine Grauzone" zwischen Schönung und Fälschung. "Ich wäre mit Vorwürfen gegen Silvia Bulfone-Paus vor dem Abschluss der Arbeit der Untersuchungskommission deshalb sehr zurückhaltend", so Mayer.
Ähnlich beschwichtigend argumentiert auch Kommissionsleiter Seeger aus Gießen, der in den inkriminierten Arbeiten trotz aller Manipulationen "eine richtige Ergebnistendenz" erkennen will.
Für Forschungsethiker wie Alexander Lerchl sind dies Versuche, wissenschaftliches Fehlverhalten zu beschönigen: "Wenn in einer Publikation so eindeutig gepfuscht wurde, dann gelten die Ergebnisse für die Wissenschaft als nicht existent." Dabei müsse man in einem solchen Fall eigentlich konsequent vorgehen. "Nur so lassen sich künftige Täter abschrecken." Der Fall in Borstel werde nur schleppend aufgeklärt, kritisiert Lerchl.
Internetkampagne gegen Bulfone-Paus
Mit ungeahnten Folgen: Denn während Bulfone-Paus und die Institutsleitung noch hinter verschlossenen Türen über die Vorwürfe berieten, machte im vergangenen Jahr ein Informant die Anschuldigungen über eine Website publik. Die unbekannte Person, die sich den Namen Marco Berns gibt, stammt vermutlich aus dem Institut selbst. Denn sie verfügt über Interna, unter anderem über eine angebliche Spitzelaktion des Instituts, um den Maulwurf ausfindig zu machen.
Die Fälschungsvorwürfe auf der Website sind detailliert, aber immer wieder auch flankiert mit Informationen, die "unter die Gürtellinie gehen", so Institutsdirektor Schaible. Silvia Bulfone-Paus wehrte sich mit einstweiligen Verfügungen gegen den Urheber der Website. Sie erwirkte bei der Suchmaschine Google sogar, dass die entsprechenden Seiten aus deren Datenspeichern gelöscht werden.
Bis heute findet sich auf der Internetseite allerdings ein weiterer ernster Vorwurf gegen Silvia Bulfone-Paus: Sie habe lediglich einen italienischen Abschluss als "Dottore in Medicina e Chirurgia" - was sie nicht dazu berechtige, in Deutschland als Dr. med. zu firmieren. Die Universität Lübeck, mit der das Forschungszentrum kooperiert, soll damit begonnen haben, den Vorwürfen nachzugehen. Eine Person, die mit dem Vorgang befasst ist, sagte zu SPIEGEL ONLINE, dass Bulfone-Paus über eine Ernennungsurkunde zum Dr. med. aus Berlin verfüge, deren Rechtmäßigkeit aber offenbar noch einmal begutachtet werde.
Silvia Bulfone-Paus erklärt auf Anfrage lediglich, sie könne sich zu den offenen Fragen "wegen des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern".