Geplante MMS-Messe Der Wundermittel-Wahn erreicht Kassel

Das vermeintliche Wundermittel MMS soll gegen Aids, Krebs, Herpes und Demenz helfen. Gesundheitsbehörden weltweit warnen vor der ätzenden Chemikalie - nur Deutschland schafft es nicht, zu handeln.
Screenshot einer Google-Suche: "MMS heilt Krebs"

Screenshot einer Google-Suche: "MMS heilt Krebs"

Hamburg - Seit Monaten wird ein vermeintliches Wundermittel über das Internet intensiv beworben und über dubiose Online-Shops verkauft: "Miracle Mineral Supplement", kurz MMS, soll gegen allerhand Leiden gleichzeitig helfen - Krebs, MS, Autismus, Alzheimer.

Doch die "Wunder-Mineralienergänzung" ist gefährlich. Verkauft wird es oft als Set, bestehend aus Natriumchlorit (nicht zu verwechseln mit Natriumchlorid, also Kochsalz) und einer Zitronensäure-Lösung als "Aktivator". Wird beides vermischt, entsteht Chlordioxid, das auch zum Bleichen von Textilien eingesetzt wird. MMS ist kein Arzneimittel, es gibt keine Zulassungsstudien, die die Sicherheit und Wirkung attestiert hätten. Bekannt ist allerdings, dass MMS auf Haut und Schleimhaut reizend bis ätzend wirkt.

Trotzdem geht das Geschäft mit dem Mittelchen stetig weiter - weil es hierzulande keine Bundesbehörde gibt, die in solchen Fällen die Kontrolle und Überwachung übernimmt. Eltern autistischer Kinder werden in Foren zur Therapie mit MMS gedrängt, der Internethandel floriert. Wer vor den Gefahren des Mittels warnt, wird als Lobbyist der Pharmaindustrie beschimpft. In Kassel soll nun erneut eine Messe rund um das angebliche Wundermittel stattfinden.

Behörden in Amerika, Kanada, Frankreich und Deutschland warnen schon lange vor MMS. Nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz wurde von Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Blutdruckstörungen und sogar schweren Nierenfunktionsstörungen nach der Einnahme berichtet. Auch andere deutsche Stellen warnen vor dem Mittel, zum Beispiel:

Derzeit ermitteln Staatsanwälte in München, Traunstein, Koblenz, Wuppertal und Hildesheim in Sachen MMS. In Hannover läuft ein Verfahren gegen einen Drahtzieher der "Spirit of Health"-Messe wegen unerlaubten Verkaufs des Mittels.

Gefährliches "Wundermittel" MMS

Ungeachtet der zahlreichen Warnungen will Kassel im April Gastgeber der nächsten MMS-Messe werden. Auf Anfrage flüchten sich die Veranstalter in Allgemeinplätze. Der "Kongress Palais Kassel" sei "ein kommunales Kongresszentrum und steht grundsätzlich allen interessierten Veranstaltern offen", erklärt eine Mitarbeiterin der Marketingabteilung. Man achte lediglich darauf, dass keine rechtswidrigen Handlungen stattfänden. "Darüber hinaus ist es uns nicht möglich, Veranstaltungen inhaltlich zu bewerten." Man gehe aber davon aus, dass sich Besucher im Vorfeld informieren würden, welche Informationen sie erwarten würden.

Gesundheitsexperten fordern schon länger, in Fällen wie MMS eine Art Taskforce zu gründen, die das Vorgehen der Gesundheitsbehörden für alle Bundesländer koordiniert - um dem Geschehen auf dem grauen Markt besser begegnen zu können. Doch das Gesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde schiebt die Verantwortung von sich: "Die föderalen Abläufe sind für den Bund und die Länder gesetzlich festgelegt; eine 'Aussetzung' dieser Abläufe und Zuständigkeiten ist nicht möglich", erklärt das Ministerium auf Anfrage. Die Einstufung eines Stoffes als zulassungspflichtiges Arzneimittel und die Verfolgung etwaiger Straftaten seien Angelegenheiten der Bundesländer.

Was also tut sich in Hessen? Laut Esther Walter, Sprecherin des dortigen Sozialministeriums, habe das Regierungspräsidium Darmstadt das Kasseler Ordnungsamt bereits im Januar darauf hingewiesen, dass der MMS-Kongress "den Tatbestand der Anstiftung zur Körperverletzung erfüllen kann" - und gebeten, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Wird die MMS-Messe in Kassel nun also gestoppt, so wie es kürzlich in Australien geschehen ist ? Ministeriumssprecherin Walter ist überfragt. Sie rät, das Ordnungsamt in Kassel zu fragen.

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