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Stade de France: Die Situation im Stadion

Foto: BENOIT TESSIER/ REUTERS

Anschlag beim Stade de France Besonnene Behörden verhinderten Massenpanik

80.000 Fans waren beim Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich im Pariser Stade de France. Die Explosionen der Selbstmordattentate waren deutlich zu hören, trotzdem brach keine Panik aus - weil die Behörden alles richtig machten.

Flutlicht, Fußballfreude und Tausende Fans, die vor dem Anpfiff die französische Nationalhymne Marseillaise sangen: Die Stimmung vor dem Länderspiel am Freitagabend im Pariser Stade de France war gut. 80.000 Menschen waren in der größten Fußballarena des Landes zusammengekommen. Sie wollten den Auftritt der Bleus, der französischen Nationalmannschaft, gegen das DFB-Team sehen. Und bis zum Abpfiff des Spiels bekamen offenbar nur die wenigsten Fans mit, welches Drama sich zur selben Zeit in den Straßen von Paris abspielte - und in der direkten Nachbarschaft des Stadions.

Hier, vor Schnellrestaurants im Stadtteil Saint Dénis, hatten sich offenbar zwei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Bei einem von ihnen wurde später ein syrischer Pass gefunden. Doch weil sich die Organisatoren des Fußballspiels entschieden, die dramatischen Nachrichten des Abends nicht öffentlich bekannt zu machen, gab es keine Massenpanik unter den Besuchern des Spiels.

Evakuierungsforscher loben im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE die Strategie der französischen Behörden. Die Ruhe der Offiziellen dürfte vielen Menschen das Leben gerettet haben.

"So sollte man es machen", fasst der Verkehrspsychologe Bernhard Schlag von der TU Dresden seine Einschätzung kurz zusammen. Und ergänzt dann: "Es ist wichtig, dass die Menschen keine abrupten Informationen bekommen, die zu massenhaftem Verhalten führen, das dann nicht mehr steuerbar ist." Einen Ratschlag, den die Gastgeber des Freundschaftsspiels ganz offensichtlich beherzigt haben.

Zwar hatten die Zuschauer der Partie - auch die am Fernseher - die Explosionen klar gehört - sie sind auch in den TV-Aufnahmen des Spiels zu hören:

Video: SPIEGEL-ONLINE-Reporter Peter Ahrens war im Stadion

Das war noch in der ersten Halbzeit. Doch weil man den Krach - trotz fehlendem Rauch im Stadion - für die Folge eines pyrotechnischen Effekts hielt, gab es keine Panik. In der Halbzeit wurde dann Staatspräsident François Hollande aus der Arena ins Innenministerium gebracht. Aber die meisten anderen Gäste - auch Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf der Ehrentribüne - blieben.

Einen kurzen Moment der Panik gab es doch noch

"Wenn man eine solche Situation bekannt machen würde, könnte das viele Menschen schockieren", sagt der Soziologe Dirk Helbing von der ETH Zürich. "Es ist dann schwer zu sagen, wie sie reagieren würden."

Durchsagen über die Stadionlautsprecher gab es daher nicht. Gleichzeitig machten Sicherheitskräfte im Verborgenen die Zugänge zum Stadion dicht, wohl auch aus Sorge vor einem weiteren Angriff. Einige Fans, die die Ränge verlassen wollten, fanden sich auf dem Vorplatz wieder. Von dort aus kamen sie zunächst nicht weiter. Erst wenige Minuten vor dem Abpfiff wurden die Tore geöffnet - und die Zuschauer zogen problemlos ab.

Video: So erlebten die Fans die Detonationen

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Generell werde die Gefahr zwar oft überschätzt, dass eine Massenpanik ausbrechen könnte, sagt Wissenschaftler Dirk Helbing. "Wenn Menschen genug Zeit haben, die ihnen vorliegenden Informationen zu verarbeiten, dann werden sie meist auch die Ruhe bewahren." Doch kritisch werde es, wenn die Menschen handelten, ohne dass genügend Zeit zum Nachdenken bleibe. "Dann kommt es darauf an, die Menge an die Hand zu nehmen."

Einen kurzen Moment der Panik gab es in der Tat dann doch noch im Stade de France - und zwar nach dem Spiel: "100 bis 200 Menschen kamen in panikartigem Laufschritt über den Vorplatz zum Stadion zurück und versuchten, sich hinter den Säulen zu verstecken", erinnert sich ein Augenzeuge. Warum sie flüchteten, wussten die meisten nicht. Sie hatten nur andere Leute rennen gesehen - und waren gefolgt. Das klassische Muster der Panik. Schuld an der Unruhe war offenbar ein lautes Motorrad, dessen Lärm die Fans verschreckt hatte. Nach wenigen Minuten war die Sache geklärt.

Ansagen müssten plausibel sein, aber nicht die ganze Wahrheit verkünden

Auch dass die Organisatoren den Innenraum des Stadions für Besucher öffneten, loben die Evakuierungsexperten. Bei früheren Stadionunglücken habe oft auch fehlender Fluchtraum zu dramatischen Folgen geführt. In modernen Arenen sei es jedoch üblich, die Menschen auch aufs Feld ausweichen zu lassen. Das sei in den Sicherheitskonzepten normalerweise vorher festgelegt.

Und oft nicht nur das - sondern auch die Botschaften im Krisenfall. Wenn es sie denn überhaupt gibt. Und das ist auch gut so, sagen die Evakuierungsfachleute. Die Ansagen müssten plausibel sein, aber nicht die ganze Wahrheit verkünden. Am besten, die Organisatoren hätten die Texte bereits fertig in der Schublade. Dann riskierten sie nicht, doch noch vom Stress überrumpelt zu werden.

Manchmal kann aber auch Spontaneität weiterhelfen, wie ein Beispiel aus Köln zeigt. Dort hatte es im Februar 2003 eine Bombendrohung gegen die Karnevalsveranstaltung "Lachende Kölnarena" gegeben. Gleich drei Mal an dem betreffenden Abend hatte sich ein anonymer Anrufer gemeldet. Statt die 8000 anwesenden Jecken mit seinen Nachrichten direkt zu konfrontieren, entschlossen sich die Veranstalter zu einem anderen Vorgehen: Sitzungspräsident Burk Mertens rief die Anwesenden zur "größten Polonaise der Welt" auf, die Band hatte gerade den Song "Superjeile Zick" gespielt. Der Plan ging auf.

"Die Halle wurde in Rekordzeit evakuiert", sagt Forscher Helbing.

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