Petition zu Heilpflanzen Absurde Angst um die Kamille

Gesundes Naturprodukt: Der Kamille droht kein Handelsverbot - anders als viele fürchten
Foto: Z1022 Patrick Pleul/ dpaDer Text klingt bürokratisch, trotzdem haben ihn Zehntausende unterschrieben: "Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass das Verkaufsverbot von Heilpflanzen in der EU ab dem 1. April 2011 in Deutschland nicht greift." Mit diesem Satz beginnt eine Petition , deren Zeichnungsfrist an diesem Donnerstag endet. Und schon jetzt ist klar: Wahre Menschenmassen sind dem Aufruf gefolgt.
Die Aufforderung zum Mitmachen hat sich über E-Mails und Foren weit verbreitet. In der Petition wird vor der EU-Bürokratie gewarnt, die scheinbar nicht einmal davor zurückschreckt, Kamille, Knoblauch oder Salbei zu verbieten. Als Drahtzieher der vermeintlichen Gesetzesänderung wird die Pharmaindustrie gebrandmarkt.
Mit Erfolg: Mehr als 117.000 Menschen haben die Petition unterstützt. Das Absurde an der Situation: Zum 1. April kommenden Jahres tritt definitiv kein Verkaufsverbot von Heilpflanzen in Kraft. Im Gegenteil: Die EU-Richtlinie 2004/24/EG , an der sich die ganze Aufregung entzündet, ist eigentlich kalter Kaffee. Sie wurde bereits im Jahr 2004 verabschiedet und 2005 in der deutschen Gesetzgebung verankert. Das große Sterben der Naturheilkunde müsste also längst im Gange sein - wenn es denn beschlossen worden wäre.
Doch die Richtlinie dreht sich mitnichten darum, dass Heilpflanzen vom Markt verschwinden sollen. Stattdessen liefert sie die Basis dafür, dass traditionelle pflanzliche Arzneimittel in der EU in einem vereinfachten Verfahren zugelassen werden können. Zuvor hatten einige Mitgliedstaaten solche Produkte überhaupt nicht reguliert, dies sollte sich durch die Richtlinie ändern. Deutschland hingegen war schon damals nicht betroffen: Hierzulande gab es bereits ähnliche Standards wie von der EU vorgesehen.
Den Unterzeichnern der Pro-Kamille-Petition ist dies offenbar egal. Selbst eine Stellungnahme des Fachverbands der deutschen Heilpraktiker blieb ungehört: Er hatte die Petition als Panikmache abgetan .
1,2 Milliarden Euro Umsatz
Das Geschäft mit den pflanzlichen Mitteln ist gewaltig. Laut Bundesverband der Arzneimittelhersteller haben die Deutschen im Jahr 2009 rund 1,2 Milliarden Euro für apothekenpflichtige, aber rezeptfreie pflanzliche Arzneimittel ausgegeben. Hinzu kommen noch die nicht apothekenpflichtigen Pflanzenpräparate, die in Drogerien oder Bioläden verkauft werden.
"Die Richtlinie ermöglicht es, traditionelle pflanzliche Arzneimittel leichter zu registrieren, die man bei leichten Befindlichkeitsstörungen nimmt", sagt Werner Knöss vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm). So muss auf der Verpackung der Einsatzbereich genannt werden - "zur Besserung der Beschwerden bei Erkältungskrankheiten" kann dort beispielsweise stehen. Und die Richtlinie definiert, was "traditionell" bedeutet: Ein Mittel muss seit mindestens 30 Jahren medizinisch eingesetzt werden, mindestens 15 Jahre davon in der EU.
Unter die Richtlinie fallen nur rezeptfreie Fertigarzneimittel, die ohne ärztliche Kontrolle eingenommen werden. Der Hersteller muss lediglich nachweisen, dass die Wirksamkeit aufgrund langjähriger Anwendung plausibel und die Sicherheit gewährleistet ist. Für die Registrierung sind dann in der Regel keine Studien, sondern lediglich ein Gutachten sowie ein Literatur-Überblick notwendig.
"Aus Gründen der öffentlichen Gesundheit ist es sicher zu begrüßen, auf dem Markt befindliche pflanzliche Fertigarzneimittel zu regulieren", sagt Knöss. Auch pflanzliche Arzneien können schließlich Nebenwirkungen haben, obwohl sie gern als "sanfte" Medizin verkauft werden.
Doch was haben die Unterzeichner der Petition dann gegen die Richtlinie?
Lebensmittel betrifft die EU-Vorgabe jedenfalls nicht. Knoblauch, Pfefferminze und Zimt bleiben selbstverständlich im Supermarkt erhältlich, auch wenn diese Produkte als Bestandteil in rezeptfreien Arzneimitteln zu finden sind. Das gilt auch für Nahrungsergänzungsmittel oder Tees, solange sie als Lebensmittel und nicht als Arznei gelten.
Was sich zum 30. April 2011 ändert
Aber wie kommt es dann zu dieser Petition? Und warum zielt sie auf eine angebliche Gesetzesänderung ab, die ausgerechnet am 1. April in Kraft treten soll?
Tatsächlich kommt auf die Branche eine gewisse Änderung zu, allerdings erst zum 30. April. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen Hersteller ihre traditionellen pflanzlichen Arzneimittel registriert haben - sonst dürfen diese nicht mehr gehandelt werden. "Es könnten einige Mittel in der EU vom Markt verschwinden, aber nur wenige der 2300 Arzneimittel in Deutschland", prognostiziert Knöss.
Wieso es aber dann zu der ganzen Aufregung gekommen ist, weiß kein Experte in der Branche. Die Kettenmail stammt vermutlich von einer kruden Internetseite, die schon in der Vergangenheit abstruse Thesen zum Thema Gesundheit verbreitet hat.
Nach dem Ablauf der sechswöchigen Zeichnungsfrist muss sich der Petitionsausschuss trotz der großen Menge der Unterstützer nicht mit dem Thema befassen. Entscheidend dafür ist, ob die Zahl der Mitzeichner nach drei Wochen 50.000 übersteigt - was hier nicht der Fall war. Aber der Bundestag war von vornherein nicht der beste Adressat: Er kann nicht einfach eine EU-Richtlinie ignorieren. Die bessere Anlaufstelle wäre deshalb der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments gewesen - doch der hatte sich bereits 2006 mit dem Thema beschäftigt . Damals hatte ein französischer Bürger eine Petition eingereicht, weil er die Richtlinie als Gefahr für die Naturheilmittel-Verbraucher und die gesamte Biobranche sah.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels stand, dass sich der Petitionsausschuss mit diesem Thema befassen muss. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.