Drückermethoden in Arztpraxen Bayer darf das

Unlautere Praxis: Pharmaherstellern ist es verboten, Pillenproben unverlangt an Ärzte zu schicken. Der Konzern Bayer tat es trotzdem, auch andere Hersteller nutzen diesen Werbetrick. Der Verein, der einschreiten und kontrollieren müsste, entpuppt sich als wirkungslos. Nicht zum ersten Mal.
Xarelto: Wurde es korrekt beworben?

Xarelto: Wurde es korrekt beworben?

Foto: AP/ Janssen Pharmaceuticals

Hamburg - Pharmahersteller Bayer kann alles erklären - etwa, warum der Konzern die widerrechtliche Praxis pflegte, Ärzten zu Werbezwecken unaufgefordert Probepäckchen mit Medikamenten ins Haus zu schicken. Man habe sich nicht in der Lage gesehen, "sämtliche Ärzte, die sich für unser neues Präparat interessierten, persönlich durch unseren Außendienst besuchen zu lassen", sagt Sprecher Wilhelm Schäfers. Also schickte man Info-Pakete in die Arztpraxen. Auch Florian Schumacher aus Nürnberg bekam diese Post, ein Kurier brachte die Lieferung an die Praxistür. Neben Informationen zum neuen Bayer-Blutverdünner Xarelto war gleich ein Muster enthalten - der Allgemeinmediziner verweigerte darauf hin die Annahme des lilafarbenen Pakets.

Im großen Stil nutzten Pharmakonzerne die Möglichkeit, per Mustersendung Informationen in die Arztpraxen zu bringen. Um eine mögliche Beeinflussung der Mediziner zu verhindern, wurde das Verfahren im Arzneigesetz bereits mehrfach neu geregelt - eine Zusendung ist nur erlaubt, wenn der Arzt das Muster vorher schriftlich angefordert hat. Zuletzt wurde die Abgabe auf zwei Packungen pro Jahr und Arzt beschränkt.

Klingt gut, doch in der Praxis nutzen Pharmafirmen zunehmend den Weg, Muster auch ohne vorherige schriftliche Anforderung in die Praxis zu bringen - per Kurier. Bei der Übergabe soll dann der Arzt nicht nur den Empfang der Sendung, sondern gleich auch die Anforderung des Musters schriftlich bestätigen. Und nicht nur Bayer hat seinen Hoffnungsträger Xarelto per Post verschickt. Auch der weltgrößte Pharmakonzern Pfizer hat sein Alzheimer-Mittel Aricept per Dienstleister verteilt, der deutsche Hersteller Dr. Wolff versandte auf diesem Weg Muster seiner Fettcremes und Salben. Quittiert werden sollte Bestellung und Empfang mittels einfacher Formulare, die SPIEGEL ONLINE vorliegen.

Paketbote steht schon auf der Fußmatte

Zahlreiche Kollegen hätten massiven Unmut über diese Praxis geäußert, sagt Wolfram Becker-Brüser von der pharmakritischen Zeitschrift "arznei-telegramm" ("at"). "Viele, die aus der Sprechstunde herausgerufen werden, um die Übergabe eines nicht angeforderten Musters per Kurier durch Unterschrift zu legitimieren, sind verärgert und fühlen sich erpresst. Die sogenannte Anforderung, die in der Sekunde vor der Musterabgabe unterschrieben werden soll, erinnert uns an Überrumpelung oder Aspekte einer Nötigung und nicht an die Freiheit des Arztes, Muster anzufordern." Möglicherweise spekulierten die Firmen darauf, dass Kurierdiensten wohl kaum Hausverbot erteilt werden kann, Pharmareferenten aber sehr wohl, überlegt Becker-Brüser.

Bayer-Sprecher Wilhelm Schäfers erklärte bei Bekanntwerden der Postaktion im Januar 2012, dass an dem Vorgehen nichts auszusetzen sei: Das Gesetz verlange zwar die schriftliche Aufforderung zur Mustersendung, lasse aber offen, wie diese "Anforderung" durch den Arzt im Einzelfall auszusehen habe.

Holger Diener, neuer Geschäftsführer des Vereins Freiwillige Selbstkontrolle Arzneimittelindustrie e.V. (FSA ) wollte nach Anfrage von SPIEGEL ONLINE dennoch prüfen lassen, ob es reicht, dass eine "schriftliche Aufforderung" attestiert wird, wenn der Paketbote schon mit dem Musterpaket auf der Fußmatte steht. Es sei ein Graubereich, erklärte Diener da noch, die Schiedsstelle des FSA würde prüfen, ob die Musterabgabe zulässig ist.

Korruptionsbeauftragter wurde verhindert

Die Mitglieder des Pharmakontroll-Vereins - derzeit 65 Pharmaunternehmen - haben sich einem selbst geschriebenen Kodex unterworfen, der die "ethisch einwandfreie Zusammenarbeit" mit Ärzten und Apothekern regeln soll, außerdem sollen Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz untersucht und Fehlverhalten geahndet werden.

Die Ankündigung Dieners, das Marketing-Verhalten Bayers zu überprüfen, erfolgte am 18. Januar 2012. Ganze zweieinhalb Monate kommt nun die Entscheidung des Vereins: Man halte eine Beanstandung der Post-Aktionen für unbegründet. Das Arzneimittelgesetz gebiete "keinen bestimmten zeitlichen Abstand zwischen Anforderung und Musterabgabe, es will lediglich sicherstellen, dass die Freiheit des Arztes, sich für oder gegen eine Musteranforderung zu entscheiden, gewahrt bleibt."

Das Verfahren ist für die freiwillige Selbstkontrolle somit eingestellt. Während die Pharmakonzerne Bayer und auch Pfizer die FSA-Entscheidung begrüßen, - "wir gehen weiterhin davon aus, dass unser Verhalten im Einklang mit den arzneimittelrechtlichen Vorgaben steht" - will Christoph Harras-Wolff, Geschäftsführer des Herstellers Dr. Wolff derzeit keine Stellungnahme abgeben.

Einmal mehr wird der FSA ihrem Ruf als Deckmänntelchen-Verein gerecht.

Statt eines staatlichen Korruptionsbeauftragten für die Pharmaindustrie, wie es der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vorschwebte, konnte die Pharmalobby 2004 ihren Vorschlag durchsetzen, sich selbst freiwillig zu kontrollieren. "Das ist so, als übernähme der ADAC die Geschwindigkeitskontrolle seiner Mitglieder", kritisierte Peter Sawicki, früherer Leiter des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Fehlverhalten soll geahndet werden

Tatsächlich überprüft der FSA nicht eigenständig, was seine Mitglieder in Sachen Marketing oder Ärzte-Werbung so unternehmen. Stattdessen gibt eine Schiedsstelle, bei der Fehlverhalten gemeldet werden kann, durch Ärzte, Patienten, Krankenkassen oder Behörden.

Tatsächlich ist das Verfahren recht langatmig, am Ende zeigt sich der FSA meist gnädig mit seinen Mitgliedern und spricht Verwarnungen aus. Von 317 Beschwerden seit Gründung im Jahr 2004 wurden 107 Abmahnungen ausgesprochen, in 32 Fällen wurden Geldstrafen verhängt - bis Ende 2011 lag die maximale Sanktionshöhe allerdings bei 200.000 Euro. Für milliardenschwere Pharmakonzerne kein wirklicher Schrecken.

Die angebliche Höchststrafe aber - das angezeigte Pharmaunternehmen wird namentlich durch den FSA benannt - wurde bislang noch niemals verhängt. Bekannt sind daher nur wenige Fälle: Pharmahersteller Novo Nordisk zahlte vor drei Jahren 20.000 Euro Strafe, nachdem die geltenden Regeln für die Durchführung von Anwendungsbeobachtungen nicht beachtet wurden. Gegen Novartis wurde, nachdem man 2007 Ärzte samt ihrer Ehepartner zu einem lauschigen Wochenende im Spreewald eingeladen hatte, ein Buße von 50.000 Euro verhängt.

Immerhin hat der FSA mittlerweile die Höhe einer möglichen Sanktion auf 400.000 Euro erhöht. Gleichzeitig wurde mit Holger Diener ein neuer Geschäftsführer eingesetzt, der zuvor im Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) angestellt war. Die Gründe für die Auswechslung seines Vorgängers, Michael Grusa, werden nicht genannt.

Grusa selbst erklärt SPIEGEL ONLINE, "man wollte wohl eine andere Weichenstellung", der FSA-Geschäftsführer sollte näher an den Lobby-Verband der Pharmaindustrie geholt werden.

Im aktuellen Fall des Muster-Marketings per Kurier hat "arznei-telegramm" mehrere Anzeigen erstattet. Mit Bayer/Xarelto ist die Bezirksregierung Köln befasst, die Landesbehörde von Baden-Württemberg beschäftigt sich mit dem Fall Pfizer/ Aricept und die Landesbehörde von Nordrhein-Westfalen mit der Firma Dr. Wolff. Die Rückmeldungen stehen allesamt noch aus.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten