"Pille danach" Frauenärzte blockieren Freigabe ohne Rezept

In 28 europäischen Staaten gibt es die "Pille danach" ohne Rezept. Direkt beim Apotheker. Deutschland dagegen bleibt weiter die Ausnahme. Der Antrag auf Liberalisierung durch die Gesundheitsbehörde Bremen scheitert. Jetzt geht der Streit erst richtig los.
"Pille danach": "Frauen in misslicher Situation helfen"

"Pille danach": "Frauen in misslicher Situation helfen"

Foto: Rolf Vennenbernd/ picture-alliance/ dpa

Saarlouis-Wallerfangen - In Zürich gibt es die "Pille danach" in der Bahnhofs-Apotheke. Wer mag, kann sich zusätzlich von einem Arzt beraten lassen. In weiterführenden Schulen in Schweden und Frankreich gehört sie neben Pflastern und Brandsalbe zur Standardausstattung des Erste-Hilfe-Schranks. Und in England verteilte der "British Pregnancy Advisory Service" vor dem letzten Weihnachtsfest kostenlos die "Pille danach" - schon davor. Denn das Verhütungsmittel muss spätestens 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden, wenn es eine ungewollte Schwangerschaft verhindern soll.

In 28 Ländern europaweit ist die "Pille danach" ohne ärztliches Rezept erhältlich. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, Frauen das Medikament mit dem Wirkstoff Levonorgestrel frei zugänglich zu machen. Nach vielen Jahren der Anwendung existierten gute Erfahrungen, der Einsatz gilt als sicher. Es könnte also alles so einfach sein. Könnte.

Deutschland bleibt dagegen die Ausnahme. Hier muss sich eine Frau erst bei einem Arzt vorstellen, der ihr dann das Medikament verordnet. Seit fast zehn Jahren streiten Gesundheitsexperten und Politiker über den richtigen Weg im Umgang mit der"Pille danach", die verhindern kann, dass eine Schwangerschaft überhaupt erst entsteht - und nicht mit der Abtreibungspille zu verwechseln ist. Es geht um Fragen der richtigen Aufklärung, um Machtansprüche und schlicht um Geld.

Nun hat die Gesundheitsbehörde des Landes Bremen aus "frauengesundheitlichen Gründen" einen neuen Versuch zur Liberalisierung gestartet. Gerade Frauen aus armen Familien solle schnell und unbürokratisch geholfen werden. Auf einem Treffen aller Landesministerien in Saarlouis-Wallerfangen am Mittwoch und Donnerstag sollte der Antrag beraten werden, um bei positivem Bescheid seinen Weg Richtung Bundestag zu machen.

Pillen keine Smarties

Doch der Antrag scheiterte. Schuld, dass Levonorgestrel bislang in Deutschland nicht freigegeben wurde, sei die "ablehnende Haltung der Gynäkologen und ihrer gesundheitspolitisch erfolgreichen Interessenvertretung", erklärte eine Sprecherin der Familienberatung Pro Familia. Die Ärzte hätten die Sorge, Patientinnen zu verlieren und damit finanzielle Einbußen zu haben.

Man sei enttäuscht, heißt es aus dem Bremer Büro der Gesundheitssenatorin. "Das Argument gegen die Befreiung war, man würde den Frauen durch diesen Schritt zu viel Freiheit genehmigen", vor allem die konservativen Länder seien dagegen gewesen. "Solche Pillen sind nun mal keine Smarties", sagt Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU.

Im Kern beharren der Bundesverband der Frauenärzte (BVF)  und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)  darauf, dass vor Einnahme der Pille, die den Wirkstoff Levonorgestrel (LNG) enthält, eine angemessene Beratung der Frau erforderlich ist. Es gehe schließlich um Verantwortung. Moralisch belehren wolle man nicht, aber aufklären, sagt Thomas Bärtling, Gynäkologe aus Aachen. "Vor allem junge Frauen könnten im Notfall nicht einschätzen, ob die Pille einzunehmen ist oder nicht." In mehr als 50 Prozent aller Fälle sei eine Einnahme außerdem gar nicht nötig.

Tatsächlich ist eine LNG-Einnahme nur innerhalb eines bestimmten Zeitfensters angebracht. So kann eine Schwangerschaft nur wenige Tagen in der Mitte des weiblichen Zyklus eintreten. Levonorgestrel kann den Anstieg des Hormons LH verhindern und den Eisprung verzögern oder blockieren. Je früher nach dem ungeschützten Verkehr eingenommen, desto besser.

Wie begründet nun die Angst einer Frau ist, tatsächlich schwanger geworden zu sein, ist gar nicht so leicht zu ermitteln, sagt Regine Wlassitschau von Pro Familia. Tatsächlich drücken sich hier auch die Fachärzte etwas unklar aus. "Unter gewissen Bedingungen" könnte das Zeitfenster ermittelt werden, heißt es nur in der Fachinformation. Im Zweifelsfall sollte die Notfallkontrazeption aber verordnet werden.

Beratung im richtigen Moment

Die WHO beurteilt die Einnahme von Levonorgestrel als unbedenklich. "Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Verdauungsbeschwerden treten selten auf und verlaufen mild", heißt es in einer Empfehlung aus dem Jahr 2010 - eine unnötige Einnahme im Zweifelsfall gilt als vertretbar. Doch auch das sieht der deutsche Frauenarzt-Verband anders. In seinen Anwendungs-Empfehlungen für Ärzte im Notdienst wird vor Nebenwirkungen gewarnt, "die nicht zu unterschätzen seien".

Frauenarzt Bärtling macht noch ein anderes Fass auf: Die Nebenwirkungen seien gering, aber die Gefahr des Missbrauchs groß. Statt sich um eine sinnvolle Verhütung zu kümmern, könnten Frauen - wäre die "Pille danach" frei erhältlich - jedes Mal zu diesem Mittel greifen, sagt der Aachener Arzt. Dass das Notfallkontrazeptivum - auf Dauer eingesetzt - einen teuren Spaß bedeuten würde, sagt der Mediziner nicht. Die "Pille danach" kostet rund 30 Euro, nur für bis zu 18-Jährige ist die Notfallkontrazeption kostenfrei.

"Es geht doch darum, den Frauen in ihrer misslichen Situation zu helfen und ihnen den Stress abzunehmen", sagt Klaus Vetter, Gynäkologe der Klinik für Geburtsmedizin Vivantes Klinikum Neukölln. Der Umgang mit einer Notfallkontrazeption hänge noch zu stark an lange bekannten beruflichen Rollenbildern. "Das entspricht aber nicht mehr dem, was wir wirklich brauchen."

Als der Frauenarzt auf einem Fachvortrag empfahl, bei Kondom-Kampagnen die "Pille danach" gleich mit auszugeben, sei er böse beschimpft worden. Dabei setzt auch Vetter darauf, Frauen - je nach Alter und Lebenssituation - entsprechend zu beraten. "Man muss aber den freiwilligen Moment nutzen."

Beschluss wurde nie öffentlich

Wer die "Pille danach" von ihrer Rezeptpflicht befreien will, müsste das Arzeimittelgesetz ändern. 2004 war es schon einmal fast soweit. Experten des Bundesamts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) hatten ihre Empfehlung gegeben, auch im Bundesgesundheitsministerium (BMG) war man nicht abgeneigt, bestätigt ein Sprecher SPIEGEL ONLINE. Das Verfahren wurde damals nicht weiter verfolgt. "Das hätte im Bundesrat keine Mehrheit gefunden." Mehr will man aus Berlin nicht dazu sagen.

Auch das Bfarm hält sich mit Erklärungen zurück. Der zuständige Ausschuss hatte Mitte 2003 zur "Pille danach - rezeptfrei" ein positives Mehrheitsvotum abgegeben. Es wurde aber niemals öffentlich gemacht. Da in dem Gremium Vertreter von Wissenschaft, Praxis und auch der Industrie sitzen, sahen Kritiker in der Abschaffung der Rezeptpflicht einzig einen Nutzen für die Pharmaindustrie. Wer damals dafür oder dagegen gestimmt hat, ist bis heute nicht bekannt. "Das unterliegt der Vertraulichkeit", heißt es nur.

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