Protest gegen Experiment Lawinenforscher stoppen Versuch mit erfrierenden Schweinen

Ende eines umstrittenen Experiments: Forscher ließen betäubte Schweine unter Schneemassen sterben, um Erkenntnisse über den Lawinentod zu bekommen. Jetzt wurde der Versuch wegen Massenprotests von Tierschützern und Politikern abgebrochen - doch zehn Tiere sind schon erfroren.
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Lawinen: Die weiße Todesgefahr

Foto: A2918 epa apa/ dpa

Wien - Nach Protesten haben Wissenschaftler ihren umstrittenen Tierversuch mit betäubten, im Schnee vergrabenen Schweinen in Tirol nun abgebrochen. Man könne unter diesen Umständen nicht weiter arbeiten, sagte Peter Paal, der Leiter der Studie von der Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin in Innsbruck.

Das am Dienstag begonnene Experiment, bei dem 29 lebende Schweine in Schneemassen ersticken oder erfrieren sollen, hatte nach dem Bekanntwerden am Donnerstag Entsetzen bei österreichischen Tierschützern und Politikern ausgelöst. Ob und wann der Versuch weitergeführt werde, sei unklar, sagte Paal. Bisher seien zehn Tiere gestorben.

Eigentlich haben Menschen keine besonders großen Probleme damit, für ihr Wohl Schweine sterben zu lassen - mehr als 16.000 der Tiere sind nach Zahlen der Bundesregierung 2007 bei wissenschaftlichen Experimenten umgekommen. Eine geradezu winzige Zahl im Vergleich zu der Schweinemenge, die dem menschlichen Appetit geopfert wird: 50 Millionen der Tiere landen jedes Jahr in deutschen Schlachthöfen und anschließend auf dem Teller. Rund einen Zentner Schweinefleisch vertilgt der Durchschnittsdeutsche pro Jahr.

Nun sollte es 29 Schweinen in Österreich an den Kragen gehen - und das Entsetzen konnte größer kaum sein. Denn anders als sonst sollten die Tiere nicht etwa hinter verschlossenen Türen, sondern an einem Berghang ihr Leben lassen: damit Forscher mehr über das Sterben von Menschen in Lawinen erfahren.

"Unfassbar", "unethisch", "widerwärtig" - so bezeichneten Tierschutzverbände und Politiker das Experiment. Selbst das Land Tirol, in dem der Tierversuch stattfindet, und die österreichische Bergrettung distanzierten sich.

Langsamer Tod im Schnee

Doch das Experiment hatte schon begonnen. Nach den Plänen der Medizinischen Universität Innsbruck und des Zentrums für Notfallmedizin Bozen sollten noch etwa zwei Wochen lang jeden Tag Schweine im Ötztal von einer simulierten Lawine begraben werden, berichtete der Sender ORF. Sie wurden dafür betäubt und an Geräte angeschlossen. Je nach Größe der Atemhöhle verfolgten die Wissenschaftler über Minuten oder Stunden das langsame Ersticken der Tiere. Andere Schweine wurden nur bis zum Kopf im Schnee vergraben und erfroren. Danach zerteilen die Forscher die Tiere und nehmen Gewebeproben.

Die Medizin-Uni versuchte das Vorgehen mit einer Stellungnahme zu rechtfertigen: Der Versuch sei vom Wissenschaftsministerium genehmigt worden. Durch die Narkose hätten die Tiere nichts von ihrem Tod bemerkt. Die Belastung wäre sogar deutlich geringer als bei herkömmlichen Schlachtmethoden, sagte Studienmitarbeiter Volker Wenzel. Mit dem Versuch wollte man Erkenntnisse über die Überlebenschancen von Opfern in Lawinen erlangen: "In der dramatischen Situation nach einer Bergung können Notärzte somit besser beurteilen, ob und für welche Opfer reelle Überlebenschancen bestehen."

Die Tierschützer werfen den Forschern mangelndes Gefühl für die ethische Vertretbarkeit von Versuchen vor: "Das ist wohl einer der widerwärtigsten Tierversuche, der jemals in Österreich durchgeführt worden ist", so der österreichische Tierschutzverein. Der Versuch diene lediglich der Profilierung von Wissenschaftlern, das Geld könne zielführender für Lawinensuchgeräte und die Aufklärung von Wintersportlern verwendet werden. Wodurch Menschen bei Lawinen sterben und wie lange das dauert, sei aus jahrzehntelanger Erfahrung bekannt, kritisierte die Organisation "Vier Pfoten".

"Die Wissenschaftler sollen sich selbst eingraben"

Manche Tierschützer forderten die Wissenschaftler gar zum Selbstversuch auf. "Die Wissenschaftler sollen sich selbst eingraben, ihre Kollegen dürfen dann die Ergebnisse auswerten", schlug der Österreichische Tierschutzverein nach einem Bericht der Nachrichtenagentur APA vor.

Unterstützung erhalten die Kritiker aus der Politik. Anton Steixner, Tierschutzreferent der Tiroler Landesregierung, will von dem Versuch nichts gewusst haben und ist von den "sonderbaren Methoden" überrascht. "Schweine lebendig unter Schneemassen zu begraben, ist moralisch äußerst bedenklich", teilte er mit. Er distanziere sich von derart experimentellen Methoden. Auch die österreichische Bergrettung stellte den Sinn des Versuchs in Frage. Die Sozialdemokratische SPÖ und die Grünen fordern ein sofortiges Ende und wollen die Genehmigung im Parlament diskutieren.

Hermann Brugger von der Universitätsklinik Innsbruck, Leiter des Experiments, gab sich zunächst unbeeindruckt: Das Experiment werde fortgesetzt. "Aus tierethischer Sicht wäre es unsinnig, den Versuch abzubrechen", sagte er. Ansonsten wären die bisher getöteten Schweine umsonst gestorben. Über den "einzigen, einmaligen Tierversuch" komme man nicht hinweg, weil man aus den Ergebnissen Schlüsse zum Retten von Menschenleben ziehen könne. "In der dramatischen Situation nach einer Bergung können Notärzte somit besser beurteilen, ob und für welche Opfer reelle Überlebenschancen bestehen", sagte Brugger. Mehr Personen würden dadurch überleben.

Am Ende hatte dieses Argument kein Gewicht mehr.

mbe/boj/dpa/apn

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