Foto: DER SPIEGEL
Hilmar Schmundt

Raumluftqualität in der Pandemie Verschenken Sie zum Fest der Liebe diesmal einfach: Luft!

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Lage ist ernst, die Intensivstationen füllen sich. Masken, Testen, Abstand und vor allem das Impfen sind im Kampf gegen das Virus entscheidend. Doch eine weitere wirksame Waffe wird bislang kaum genutzt: saubere Luft.

»Man kann allein über die Verbesserung der Luftqualität das Infektionsrisiko um über 90 Prozent reduzieren«, hat mir Martin Kriegel in diesem Interview gesagt . Kriegel ist Professor an der TU Berlin und einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Raumluftqualität. Er ist frustriert: »Wir nutzen diese hervorragende Schutzwirkung der Luftqualität in der Pandemie nicht aus.«

Unstrittig ist: Die Pandemie breitet sich über die Atemluft aus. Während Sie diesen Newsletter lesen, haben Sie schon zigmal ein- und ausgeatmet, über zwölfmal pro Minute, insgesamt gehen über 10.000 Liter am Tag durch Ihre Lunge. Nach ein paar Stunden in einem Raum mit anderen Menschen ist klar, was passiert: Die Luft, die Sie einatmen, war kurz zuvor auch in der Lunge Ihrer Sitznachbarn. Konkret bedeutet das: Wenn Sie zwei Stunden lang mit 20 anderen in einem schlecht gelüfteten Großraumbüro sitzen, könnte das individuelle Infektionsrisiko unter bestimmten Annahmen bei über fünfzig Prozent liegen.

Sind Sie diesem Risiko hilflos ausgeliefert? Nein, denn Sie können es locker halbieren, wenn Sie einfach kurz das Fenster aufmachen: Stoßlüftung. Woher wissen Sie, wann es Zeit ist zu lüften? Dafür fehlt uns Menschen leider das Sensorium, wir bemerken es oft viel zu spät. Hier helfen CO2-Messgeräte , welche indirekt den Anteil der Atemluft in einem Raum messen. Viele Schulen nutzen daher Atemluftampeln. Aber warum fehlen sie bislang fast völlig in Restaurants, in Supermärkten, in Großraumbüros? In Sachen Luftqualität rauschen wir fast im Blindflug durch die Pandemie.

Auch für Privatpersonen sind die kleinen Warngeräte hilfreich, die es schon für unter 100 Euro zu kaufen  gibt. Ich selbst bin seit einem Jahr mit Warngerät unterwegs. Ein Augenöffner. In Frankreich an der Strandpromenade, allein und bei frischem Wind, kontrollierte die Polizei, ob ich eine Maske trage. Im TGV-Schnellzug der Staatsbahn dagegen wurden wir stundenlang bei grottig schlechter Luft eingepfercht. Mein Warngerät piepste, ich stellte mich auf den besser belüfteten Gang. Es ist wichtig, die Regeln einzuhalten. Aber auch, ihre Wirksamkeit einzuschätzen, evidenzbasiert. Das kann Leben retten. Die kleinen Messgeräte gaben mir im Regelchaos ein kleines bisschen individuelle Lufthoheit zurück.

Falls Sie zum Beispiel in einem Großraumbüro mit schlechter Luft arbeiten: Überlegen Sie doch, statt acht Stunden nur zwei Stunden vor Ort zu verbringen, dann ab ins Homeoffice. Schon haben Sie das Risiko auf ein Viertel gedrückt. Ein Messgerät könnte hier Argumentationshilfe leisten. Neuere Geräte sind kleiner als ein Handy, lassen sich über Bluetooth mit dem Smartphone verbinden und erstellen alle paar Minuten ein Raumluftprotokoll.

CO₂-Messgerät in einer Schule

CO-Messgerät in einer Schule

Foto: Hendrik Schmidt / dpa

Corona ist nicht nur eine Katastrophe in Zeitlupe – sondern auch eine Chance. Die Pandemie zwingt uns dazu, endlich die Luftqualität zu verbessern. Dass hohe CO-Werte schädlich sind, galt auch schon vor Corona, und wird auch nach der Pandemie weiter gelten. »Ab einem Wert über 2000 ppm CO leiden viele Kinder und Schüler unter Ermüdungserscheinungen«, warnte zum Beispiel  Heinz-Jörn Moriske, Spezialist für Innenraumlufthygiene beim Umweltbundesamt (UBA). »Das kann die kognitive Leistungsfähigkeit mindern und damit die Schulnoten drücken.« Das Problem der dicken Luft in Schulen ist seit über 150 Jahren bekannt. Bislang hat die Gesellschaft es verpennt, es zu lösen. Die Pandemie könnte ein Aufbruchssignal sein.

Bleiben Sie gesund!

Hilmar Schmundt

Twitter: @hilmarschmundt

Mehr zum Thema: Bei mir im Büro liegt der CO₂-Wert über 2000 ppm – was bedeutet das für mein Risiko, mich mit Sars-CoV-2 zu infizieren? Zu einem interaktiven Rechner geht es hier .

Außerdem empfehle ich Ihnen:

Pandemie-Modellierer: »Wir sind die Überbringer der schlechten Nachrichten«, sagt die Physikerin Viola Priesemann . Sie modelliert das Infektionsgeschehen und berät die Politik. Im Interview erklärt sie, warum der Vormarsch der Omikron-Variante sie pessimistisch stimmt, was sie sich vom neuen Gesundheitsminister erhofft und wie sie mit Coronaskeptikern in ihrem Freundeskreis umgeht.

Ende der Ära Merkel: Wo war die Wissenschaftlerin? Angela Merkel hat als Kanzlerin Bewunderung und Hass auf sich gezogen. Ihr politisches Vermächtnis scheint eindrucksvoll – aber in wenigen Jahren wird sie womöglich vor allem als schlechtes Beispiel dienen.

Neue Omikronvariante: Impfen ist wichtiger denn je. Alpha war bereits deutlich infektiöser als frühere Viruslinien und führte zu etwas schwereren Krankheitsverläufen. Delta ist noch mal ansteckender und kann zudem einen Immunschutz teilweise umgehen. Pünktlich zur Adventszeit kommt Omikron. Schöne Bescherung. Also auf zum Piks. Die Hintergründe erläutert dieser Artikel. 

Sir, geben Sie Wissenschaftsfreiheit: An den Universitäten breitet sich die Political Correctness aus, Forschende fühlen sich eingeschränkt. 64 Prozent der Studierenden vertreten die Auffassung, dass nicht an einer Universität lehren dürfe, wer der Meinung ist, dass Männer und Frauen aufgrund biologischer Voraussetzungen unterschiedlich talentiert sind. Knapp 20 Prozent würden auch Bücher solcher Menschen aus den Bibliotheken verbannen. Bremsen Selbstzensur und Denkverbote den Erkenntnisgewinn in der akademischen Welt? 

Klimawandel: Extreme Hitze kann extrem teuer werden. Hitzewellen werden häufiger. Am Beispiel der US-Stadt Phoenix hat eine Naturschutzorganisation vorgerechnet, wie hoch die Kosten sind, die daraus resultieren. Und gezeigt, was Kommunen gegen die Temperaturen tun können.

Quiz

Der Mensch hat rund 300 Milliarden winzige Lungenbläschen, deren Oberfläche hat zusammengenommen eine Fläche von

a) 8 Quadratmeter

b) 80 Quadratmeter

c) 800 Quadratmeter

Während der Corona-Lockdowns griffen viele Menschen vermehrt zur Flasche. In Großbritannien stieg die Zahl der Alkoholtoten im Vergleich zum Vorjahr um

a) fast ein Fünftel

b) fast die Hälfte

c) fast ein Promille

Worum geht es bei dem geheimnisvollen Objekt am Horizont, das der Mondroboter »Jadehase 2« auf der erdabgewandten Seite des Mondes erspäht hat?

a) Um eine geheimnisvolle Hütte, welche Aliens nach einer Bruchlandung gebaut haben

b) Um die Bühne, auf der 1969 die Mondlandung gefaked wurde

c) Um Pareidolie, ein tief im basalen System verankerter Reflex der menschlichen Wahrnehmung, in Wolken, Bäumen oder auf dem Mars menschliche Gesichter oder menschengemachte Objekte zu erkennen.

*Die Antworten finden Sie ganz unten im Newsletter.

Bild der Woche

Foto: Alexander Winterl

»Echo« heißt ein neuartiger Roboter, der in der Antarktis das Sozialverhalten in einer Pinguinkolonie erkunden soll. Bereits seit einigen Jahren statten dort Forscher regelmäßig 300 Pinguinküken der Kolonie mit RFID-Chips aus, wie sie zum Beispiel auch bei Hunden und Katzen zum Einsatz kommen. Weil das elektronische Bauteil unter der Haut nicht über eine eigene Stromversorgung verfügt, kann man es nur aus geringem Abstand von wenigen Metern auslesen. Diese Aufgabe soll »Echo« in Zukunft übernehmen.

(Feedback & Anregungen? )

*Quizantworten:

1. b) Die Oberfläche aller Lungenbläschen entspricht von der Größenordnung her der Grundfläche einer großen Wohnung: 80 Quadratmeter .

2. b) Im Vereinigten Königreich sind im vergangenen Jahr so viele Menschen an den Folgen von Alkoholkonsum gestorben wie noch nie. Die Zahl der Alkoholtoten stieg um fast ein Fünftel im Vergleich zum Vorjahr.

3. Wir wissen es (noch) nicht. Das ist eine frustrierende Antwort, sorry. Aber zum wissenschaftlichen Weltbild gehört nicht nur das Wissen, sondern auch das Eingeständnis des Nichtwissens. Das muss man aushalten können. Doch es gibt Hoffnung. Der Mondroboter soll sich nun näher an das geheimnisvolle Objekt heranbewegen, in ein paar Monaten dürfte er bessere Bilder funken. Und damit eine Antwort auf diese Quizfrage. Um die Wartezeit zu überbrücken, sei der nachstehende Artikel empfohlen. Psychologie: Was sich auf der abgewandten Seite des Mondes zeigt, ist nicht das Werk außerirdischer Baumeister. Sondern ein Blick in die Tiefen und Untiefen des menschlichen Gehirns .

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