Rechtsmedizin Forscher können Todeszeitpunkt noch genauer bestimmen

Untersuchung am Tatort: "Die Temperatur wird rektal gemessen"
Foto: ArtistGNDphotography/ Getty ImagesDiese Szene findet sich in fast jedem Krimi: Die obligatorische Leiche wird von Rechtsmedizinern untersucht. Der Kommissar oder die Kommissarin nähern sich, blickt bedeutungsschwer und fragt: "Und? Können Sie schon etwas zum Todeszeitpunkt sagen?" Meist ist die Antwort vage und für den wissensdurstigen Kommissar wenig zufriedenstellend.
Glaubt man niederländischen Wissenschaftlern, könnte die Einschätzung der Rechtsmediziner im Film und im echten Leben bald sehr viel genauer ausfallen. Die Forscher stellen im Fachmagazin "Science Advances" eine Methode vor, mit der sich ein Wert ermitteln lässt, der durchschnittlich weniger als eine Stunde vom tatsächlichen Todeszeitpunkt abweicht. Das Verfahren beruhe auf der Messung der Körpertemperatur an mehreren Stellen und berücksichtige zahlreiche mögliche Einflussfaktoren, so die Forscher.
Der genaue Todeszeitpunkt ist etwa dann wichtig, wenn es darum geht die Umstände eines ungeklärten Todesfalls zu ermitteln und Alibis von Tatverdächtigen zu prüfen. In der Regel wird die Körpertemperatur herangezogen, um beim Auffinden einer Leiche festzustellen, wie viel Zeit seit dem Tod vergangen ist. Das ist möglich, weil der Körper mit Eintritt des Todes langsam abkühlt.
Neue Methode berücksichtigt auch Körperfett
"Die Temperatur wird rektal gemessen", erläutert Maurice Aalders von der Universität Amsterdam. "In Kombination mit dem Körpergewicht und den Umgebungsbedingungen kann man in einer Tabelle nachschauen, wie viele Stunden seit dem Tod einer Person vergangen sind."
Diese Tabelle heißt Henßge-Nomogramm, benannt nach dem Begründer Claus Henßge, einem ehemaligen Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Uniklinikum Essen. Um es zu erstellen, wurde der Abkühlungsprozess von Leichen genau erfasst, allerdings unter Standardbedingungen. Korrekturfaktoren ermöglichen es, die Angaben zu präzisieren, etwa die Bekleidung oder die Bedingungen am Fundort in die Bestimmung einfließen zu lassen. Nicht berücksichtigt werde etwa, wie hoch der Körperfettanteil des Verstorbenen war, erläutern die Wissenschaftler. Das beeinflusse aber die Abkühlung des Körpers. Aus diesen Gründen liefert das Modell letztlich nur eine Annäherung mit teils mehreren Stunden Abweichung vom tatsächlichen Todeszeitpunkt. Zudem berge die rektale Messung die Gefahr, Beweise zu zerstören.
Die niederländischen Wissenschaftler erstellten nun ein Modell, das auf einer dreidimensionalen Repräsentation des Körpers beruht. Es berücksichtigt unter anderem die Umgebung, also wo der Körper auf dem Boden aufliegt, wo er von Kleidung bedeckt ist oder eben den Körperfettanteil des Toten. Selbst ein starker Bartwuchs oder lange Haare werden miteinbezogen. Das Körpermodell ist in einzelne würfelförmige Abschnitte aufgeteilt. Rechnerisch kann so ermittelt werden, wie die Wärme von einem Abschnitt zum nächsten gelangt - in Abhängigkeit von Kleidung oder der Position des Körpers.
Im Durchschnitt 38 Minuten Abweichung
Die Forscher haben die Tauglichkeit ihres Modells an vier Menschen geprüft, die zwischen fünf und 50 Stunden zuvor gestorben waren. Mit Wärmekameras oder Sensoren maßen sie deren Körpertemperatur an insgesamt vier Regionen: an Brust, Bauch, Stirn und Oberschenkel. Anschließend fütterten sie diese Daten in das Modell. Eine rektale Messung gab es nicht.
Die mit dem Modell vorhergesagten Todeszeitpunkte stimmten demnach gut mit den tatsächlichen überein. Der ermittelte Zeitpunkt wich den Forschern zufolge durchschnittlich 38 Minuten vom tatsächlichen Todeszeitpunkt ab, die maximale Abweichung betrug gut drei Stunden. Beim gegenwärtig angewendeten Standardverfahren liege der Fehler zwischen drei und sieben Stunden. Die Methode sei damit forensisch wertvoll und eigne sich zur breiten Anwendung.
"Das Henßge-Verfahren hat Schwächen und es ist grundsätzlich sinnvoll, Körperfettanteil und Körperhaltung der Verstorbenen bei der Todeszeitpunktermittlung zu berücksichtigen", kommentiert Iliana Tzimas die Studie. Sie ist Fachärztin für Rechtsmedizin und Mitarbeiterin am Uniklinikum Essen, dessen Leiter Henßge lange Zeit war. Die neue Methode müsse aber noch an mehr Verstorbenen geprüft werden. Außerdem werde aus der Studie nicht ersichtlich, ob das Verfahren im Alltag praktikabel anwendbar sei.
"Einer der Vorteile des Henßge-Verfahrens ist, dass es schnell geht und einfach durchzuführen ist", sagt Tzimas. "Mit Erfahrung kann man über die Korrekturfaktoren und andere Parameter wie die Ausbildung von Leichenstarre oder Totenflecken den Zeitpunkt des Todes recht gut eingrenzen."