Regenerative Medizin Forscher fürchten die dunkle Seite der Stammzellen

Induzierte pluripotente Stammzellen: Zweifel an der Sicherheit
Foto: James ThomsonStammzellen sind so etwas wie der Heilige Gral der regenerativen Medizin. Forscher sind begierig auf eine ihrer wesentlichen Eigenschaften: die Pluripotenz. Denn Stammzellen sind "zu vielem mächtig", so die Bedeutung des Begriffs. Ihre Macht liegt darin, dass sie in einem Stadium schlummern, aus dem sie erweckt und in jegliche Zellform verwandelt werden können: Ganz gleich welcher Gewebetyp gewünscht ist - Haut, Nerven, Muskel, Herz oder andere Organe - aus einer pluripotenten Stammzelle kann alles erwachsen.
Dem Patienten sollen Stammzellen so eines Tages als Ersatzteillager für geschädigtes Gewebe dienen. An dieser Stelle führen Wissenschaftler gerne Beispiele wie Alzheimer, Diabetes, Parkinson oder Rückenmarksverletzungen an. Gelänge es, das erkrankte Gewebe durch neu gezüchtetes zu ersetzen, stünden den Betroffenen revolutionäre Therapien zur Verfügung. Doch wie immer bei solchen Ansätzen in der Medizin gilt es, noch etliche Hürden zu überwinden. Eine davon erregt seit vielen Jahren die Gemüter: Um pluripotente Stammzellen zu gewinnen, muss man Embryonen zerstören.
Inzwischen ist die Stammzellforschung aber zwei große Schritte weiter: Sie hat nicht nur verstanden, wie man Stammzellen gezielt dazu bringt, sich in spezielle Zelltypen zu verwandeln. Inzwischen können Forscher auch die Gewinnung von Stammzellen aus Embryos umgehen (was in Deutschland ohnehin verboten ist), indem sie gewöhnliche Körperzellen in einem komplexen Prozess zu den Alleskönnern umprogrammieren.
Jetzt erkennen die Stammzellforscher, dass sie trotz dieser Erfolge einen Schritt zurückgehen müssen. Gleich drei Fachartikel im Wissenschaftsjournal "Nature" ( Hussein et al. , Gore et al. , Lister et al. ) beschäftigen sich mit der dunklen Seite dieser sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS, siehe Kasten links) - und alle drei Arbeiten lassen nur ein Resumée zu: Eine Therapie mit solchen umprogrammierten Zellen wäre zu diesem Zeitpunkt noch viel zu gefährlich, denn in ihrem Erbgut finden sich bedenkliche Fehler, die sogar das Risiko für Krebs steigern können.
Es ist nicht das erste Mal, dass Forscher Zweifel an der Praxistauglichkeit von iPS-Zellen hegen. Die aktuellen Studien setzen sich nun im Detail damit auseinander, wie stark das Erbgut der iPS-Zellen verändert ist, wie die Veränderungen aussehen und welche Folgen sie möglicherweise haben können.
Wichtige Mammutaufgabe
Es war eine wahre Mammutaufgabe, das gesamte Erbgut solcher iPS-Zellen zu untersuchen. Zelllinie um Zellline, gezüchtet in den verschiedensten Laboren weiltweit, DNA-Baustein um DNA-Baustein. Zwei große Forscherkonsortien arbeiteten daran, die Liste aller beteiligten Wissenschaftler ist lang. Darunter finden sich namhafte Beispiele wie etwa Andras Nagy von der University of Toronto in Kanada, dessen Arbeitsgruppe entscheidende Beiträge bei der Entwicklung von Umprogrammier-Methoden geliefert hat, sowie der bekannte Bonner Mediziner Oliver Brüstle, der zu den wenigen Forschern gehört, die hierzulande mit bestimmten embryonalen Stammzelllinien arbeiten dürfen.
Für die Wissenschaft ist diese Arbeit von großem Wert, denn nur wenn die Forscher die Risiken einer möglichen Stammzelltherapie kennen und deren Bedenken mit Hilfe weiterer Entwicklungen ausräumen können, haben die iPS-Zellen als potentielle Wunderwaffe eine reale Chance und können es jemals bis in klinische Studien schaffen.
Nun sind also zumindest die wesentlichen Risiken und Hürden der iPS-Methoden erkannt. Martin Pera zufolge, ebenfalls ein renommierter Stammzellforscher von der University of Southern California, der nicht an den Studien beteiligt war, aber einen Kommentar dazu verfasst hat , fasst sie in drei Punkten zusammen:
- iPS-Zellen können genetische Anomalien aufweisen. Das heißt, ihr Erbgut ist im Vergleich zu gewöhnlichen Körperzellen (in diesem Fall Hautzellen) sowie embryonalen Stammzellen verändert. Teilweise betreffen diese Veränderungen nur einzelne DNA-Bausteine (Mutationen), teilweise aber auch ganze Abschnitte auf der DNA. Manchmal kann sich sogar die Zahl der Chromosomen ändern, was besonders schwerwiegende Folgen mit sich tragen könnte. Zudem ist nicht nur die Abfolge der DNA-Bausteine von Veränderungen betroffen - auch die molekularen Schalter, die die Arbeitsweise der Gene verändern und darüber entscheiden, ob ein Gen aktiv oder stillgelegt ist, sind in iPS-Zellen teilweise verändert.
- Die Veränderungen können, je nach Methode der Umprogrammierung, zu verschiedenen Zeitpunkten auftreten. Einige Veränderungen finden sich bereits in den Körperzellen, aus denen die iPS-Zellen gezüchtet werden. Andere Veränderungen tauchen zu Beginn des Umprogrammierungsprozesses auf, andere wiederum erst nach der komplexen Prozedur.
- Einige Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Veränderungen des Erbguts häufig solche Bereiche treffen, die bei der Kontrolle des Zellwachstums eine Rolle spielen. Fehler in diesen DNA-Regionen können aber das Risiko für Krebs deutlich erhöhen.
Nagy, der Stammzellforscher, der sich einst sehr viel von den iPS-Zellen versprach und zu jenen gehörte, die glaubten, dass die "saubere" Stammzelle schon in greifbarer Nähe sei, fordert jetzt angesichts dieser Ergebnisse: "Die Erbgutanalyse sollte Bestandteil der Qualitätskontrolle von iPS-Zelllinien sein." Nur so könne man sicher gehen, dass diese Zellen genetisch normal seien - und sie für therapeutische Zwecke überhaupt nutzen.
Pera aber schreibt in seinem Kommentar, dass die Studien eine wesentliche Frage weitestgehend offen lassen: Es sei immer noch nicht klar, welche Schritte der Umprogrammierung von Körperzellen zu den genetischen Veränderungen der iPS-Zellen beitragen können. Zudem wisse man nicht, welche Bereiche des Erbguts besonders anfällig dafür seien.
Wie man es drehe und wende, die Take-Home-Message sei in jedem Fall eindeutig, sagt Kun Zhang von der University of California in San Diego, der eine der drei Arbeiten geleitet hat: Bevor man also die iPS aus den gewöhnlichen Körperzellen eines Patienten züchte und wieder in den Körper zurückgebe, müsse man sicher gehen, dass das Genom dieser Zellen das gleiche sei wie das ursprüngliche. Denn: "Bei der Umprogrammierung können Dinge schief gehen."