
Rezeptdatenhandel: Opposition mahnt strengeren Schutz von Patientendaten an
Skandal um Rezepthandel Opposition mahnt strengeren Schutz von Patientendaten an
Hamburg - Ob rot, grün oder gelb: Medikamentenrezepte sind für Patienten einfach das nötige Formular, um in der Apotheke die benötigte Arznei zu erhalten. Für Krankenkassen sind sie der Beleg für die spätere Abrechnung - und für Marktforschungsinstitute ein begehrter Datenrohstoff. Ablesen lässt sich von den unscheinbaren Formblättern vieles, was für Pharmakonzerne und ihre Vertreter von Wert sein kann: Welcher Arzt verschreibt welche Medikamente? Welche Gruppe von Patienten werden durch den Mediziner behandelt? Werden in der Praxis eher billige Generika oder auch innovative Mittel verschrieben?
Dieser Datenschatz wird - wenngleich mit Billigung des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht - in höchst fragwürdiger Weise verwendet: Das süddeutsche Apothekenrechenzentrum VSA in München soll Daten aus eingescannten Rezepten in lediglich pseudonymisierter Form an Marktforschungsunternehmen verkauft haben. Einer der Kunden ist das renommierte Marktforschungsinstitut IMS Health, eines der weltgrößten im Gesundheitsmarkt.
Wie weit der Rezepthandel gehen darf, das will nun die Fraktion der Grünen geklärt wissen. In einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung (17/14708) wollen die Politiker um Birgitt Bender wissen, ob der Datenschutz der Patienten noch gewahrt ist. Auch soll beantwortet werden, ob externe Datenaufbereiter und Pharmaunternehmen mittels der gehandelten Rezeptdaten Versicherte, Apotheker und Ärzte identifizieren konnten.
Wie weit ging die Anonymisierung?
Die Verwendung von Rezeptdaten "für andere Zwecke" als zur Verrechnung ist laut Sozialgesetzbuch (SGB V) zwar erlaubt - allerdings nur unter strengen Auflagen: Die personenbezogenen Daten müssen anonymisiert werden. Andernfalls drohen bis zu zwei Jahre Haft. Apothekenrechenzentren verkaufen Rezeptdaten für rund 1,5 Cent pro Stück und verdienen dadurch jedes Jahr mehrere Millionen Euro.
Sowohl die VSA als auch der internationale Konzern IMS Health haben der Darstellung des SPIEGEL widersprochen. "Zu keiner Zeit sei ein Rückschluss auf einzelne Ärzte oder einzelne Patienten weder bei IMS Health noch bei unseren Kunden möglich", heißt es etwa.
Generell sei der Handel mit Rezeptinformationen "einer der größten Datenskandale der Nachkriegszeit", sagte Thilo Weichert, der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein: "Es wäre traurig, wenn die Dienstleister des Vertrauensberufs Apotheker erst durch Gerichtsprozesse zur Vertraulichkeit zu veranlassen wären."
Wollen Patienten, dass ihre Daten weitergegeben werden?
Seit dem Bekanntwerden der Vorfälle tobt ein Streit um die Frage, was das Apothekenrechenzentrum VSA unter "personenbezogene Daten" und "anonym" versteht. Die Anwälte der VSA fordern sowohl vom SPIEGEL als auch von Datenschützer Weichert die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung. Beide haben abgelehnt. Bald könnten die Gerichte entscheiden.
Doch schon vorher könnte es spannend werden: Bis Donnerstag findet das nationale Treffen der Landesdatenschützer statt, der sogenannte Düsseldorfer Kreis. In der kommenden Woche trifft sich, ebenfalls in Düsseldorf, der Deutsche Apothekertag. Für genügend Gesprächsstoff dürfte gesorgt sein.
Bereits 2012 wurde illegaler Handel mit Rezeptdaten bekannt. Damals hatte ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma pharmafakt/Gesellschaft für Datenverarbeitung (GFD) mehrere deutsche Rechenzentren beschuldigt, illegal mit Daten aus Millionen Apothekenrezepten gehandelt zu haben.