"Rote-Hand-Brief" Zahl der Warnungen vor Arzneimitteln stark gestiegen

Nebenwirkungen: In 2013 gab es deutlich mehr Warnungen
Foto: Corbis"Rote-Hand-Briefe" erreichen jeden Arzt: Die Pharmakonzerne verschicken die Informationsschreiben per E-Mail über die Arzneimittelkommission und zur Sicherheit zusätzlich per Post. Nötig wird ein solcher Versand, wenn über neu erkannte Arzneimittelrisiken bei einem Medikament informiert, fehlerhafte Arzneimittelchargen zurückgerufen oder sonstige wichtige Informationen mitgeteilt werden sollen. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Briefe gegenüber 2012 stark gestiegen.
Gab es 2012 noch 35 Warnungen, waren es im vergangenen Jahr 50 Stück. "Der Anstieg ist deutlich", erklärt Walter Schwerdtfeger, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), dem Magazin "Wirtschaftwoche". Die Briefe würden seit dem vergangenen Jahr häufiger eingesetzt, da das Risikobewusstsein und die Auflagen, auch durch die europäischen Behörden, gestiegen seien.
In den Briefen warnen Medikamentenhersteller vor Risiken, die zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht bekannt waren, zum Beispiel wenn es in bestimmten Fällen bei der Einnahme eines Präparats zu Leberschäden kommen kann oder eine Pille für gewisse Patientengruppen nur unter Auflagen verschrieben werden darf. Zum Teil geht es auch nur um einzelne Chargen eines Arzneimittels, die in der Herstellung verunreinigt wurden und nicht verwendet werden dürfen.
Immer mehr seltene Erkrankungen werden erkannt
Besondere Bekanntheit erlangte die Warnung für den umstrittenen Gerinnungshemmer Pradaxa , der vor allem bei Nierenkranken zu tödlichen Blutungen führen kann. Hersteller Boehringer Ingelheim verschickte Ende Oktober 2011 einen "Rote-Hand-Brief", in dem die Ärzte deutlich davor gewarnt wurden, das Mittel Patienten zu verschreiben, deren Nieren nur noch schlecht funktionieren.
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (Vfa) erklärt den Anstieg der Warnungen gegenüber 2012 ebenfalls mit der "konsequenten Umsetzung der neuen Gesetzgebung zur Arzneimittel-Sicherheitsüberwachung (Pharmakovigilanz)". Außerdem würden mit dem Anstieg der verzeichneten Fälle in der entsprechenden europäischen Datenbank auch zunehmend sehr seltene Sicherheitsrisiken erkannt, was dann wieder an die Ärzte kommuniziert werden müsse.
Die Annahme, dass Risiken früher weniger ernst genommen wurden, weist der Vfa zurück. Möglicherweise sei die Schwelle für die Entscheidung, eine Sicherheitsinformation über den Weg eines "Rote-Hand-Briefes" zu kommunizieren, aber etwas gesenkt worden. In früheren Jahren seien die eine oder andere Informationen nur über aktualisierte Packungsbeilagen und den Außendienst verbreitet worden, 2013 wurde dafür ein "Rote-Hand-Brief" verschickt.
Roche warnt vor Fälschungen
Ein besonders fleißiger Briefeschreiber im vergangenen Jahr war laut "Wirtschaftswoche" der Pharmamulti Roche. Gleich achtmal versandte er die rote Post. Als Innovationstreiber bringe man vergleichsweise viele neue Produkte auf den Markt, erklärt der Konzern auf Anfrage. Außerdem habe man den Brief auch genutzt, um vor "Medikamentenfälschungen durch Dritte" zu warnen.
"Rote-Hand-Briefe" gibt es bereits seit 1969. Eingeführt wurden sie aus dem Wissen heraus, dass über die Sicherheit von Arzneimitteln zum Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung längst nicht alles bekannt sein kann (siehe multimediale Grafik). Dies liegt daran, dass die klinische Erprobung der Medikamente nur an einer relativ geringen Zahl von Patienten durchgeführt werden kann, seltene oder sehr seltene unerwünschte Wirkungen können nicht unbedingt erkannt werden.
Seit Oktober 2012 können Patienten auch selbst Nebenwirkungen bei den Arzneimittelbehörden melden und so dazu beitragen, die Sicherheit von Arzneimitteln zu verbessern. Dafür hat das BfArM eine Internetseite eingerichtet.