Schweinegrippe und Narkolepsie Kollateralschaden im Gehirn

Schlafendes Kind: Narkolepsie lässt sich behandeln, ist aber nicht heilbar
Foto: CorbisAnmerkung der Redaktion vom 31.7.2014: Die Studienautoren haben den Artikel in "Science Translational Medicine " zurückgezogen, da sie die zentralen Ergebnisse nicht reproduzieren konnten.
Narkolepsie ist ein schweres Leiden. Von der Krankheit Betroffene empfinden eine bleierne Müdigkeit, fallen unvermittelt in den Tiefschlaf oder verlieren plötzlich ihre Muskelspannung (Kataplexie). Damit verbundene Stürze können zu schweren Verletzungen führen. Etwa einer von 3000 Menschen leidet an der Krankheit. Stimulanzien und Antidepressiva können helfen, bringen jedoch Nebenwirkungen mit sich.
Als das Schweinegrippevirus H1N1 grassierte, machten Forscher erschreckende Beobachtungen:
Jetzt berichtet ein internationales Forscherteam um Elizabeth Mellins und Emmanuel Mignot von der Stanford School of Medicine in Palo Alto (US-Bundesstaat Kalifornien) im Fachmagazin "Science Translational Medicine" , wie der Zusammenhang von Grippe, Impfstoff und Narkolepsie zu erklären ist. Durch ihre Erkenntnisse kommen Ärzte ein großes Stück weiter, die Krankheit zu verstehen und so möglicherweise neue Therapien zu entwickeln.
Vererbtes Risiko
Wissenschaftler haben schon länger vermutet, dass Narkolepsie eine Autoimmunkrankheit ist, bei der die Körperabwehr eigenes Gewebe zerstört. Das ist beispielsweise auch bei Diabetes Typ-1 der Fall, wo die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse vom Immunsystem vernichtet werden. Bei Narkolepsie-Patienten sind andere spezialisierte Zellen betroffen: die rund 70.000 Neuronen im Hypothalamus, die das Hormon Orexin (auch als Hypocretin bekannt) produzieren. Es beeinflusst den Schlaf-Wach-Rhythmus. Nach dem Untergang der Nervenzellgruppe bildet sich im Körper der Betroffenen kein Orexin mehr - mit den beschriebenen schlimmen Folgen.
Dass das Immunsystem wohl beteiligt ist, zeigt sich auch an einer Besonderheit: 98 Prozent der von Narkolepsie Betroffenen tragen eine bestimmte vererbte Immunsystemvariante, die in der Gesamtbevölkerung nur bei jedem Fünften zu finden ist.
Die aktuelle Arbeit bestätigt die Autoimmunkrankheit-Hypothese: Bei Narkolepsie-Patienten sprachen bestimmte Immunzellen, sogenannte T-Zellen, auf Orexin an. Bei gesunden Geschwistern war das nicht der Fall. Die Forscher untersuchten sogar eineiige Zwillinge, von denen nur einer erkrankt war.
Fatale Ähnlichkeit
Noch können die Wissenschaftler nicht beantworten, in welchen genauen Schritten diese Fehlreaktion zur Zerstörung der orexinproduzierenden Nervenzellen führt.
Erklären können sie dagegen den Zusammenhang mit der Schweinegrippe. Zwei Segmente von Orexin ähneln sehr stark dem Bruchstück eines Proteins, das sich auf H1N1-Viren findet. T-Zellen von Narkolepsie-Patienten reagieren genau auf diese Segmente und greifen so nicht nur das Virus an, sondern richten sich auch gegen den eigenen Körper. Forscher sprechen in diesem Fall von Kreuzreaktivität. Während jemand die Schweinegrippe durchmacht und sein Immunsystem sich auf deren Erreger einschießt, werden die Orexin-Nervenzellen also in Mitleidenschaft gezogen.
Warum gerade der in Europa eingesetzte Schweinegrippe-Impfstoff Pandemrix mit einer höheren Narkolepsie-Rate verbunden war, andere Impfstoffe wie der in China eingesetzte aber nicht, erklärten ihre Daten nicht, schreiben die Forscher. Eventuell war der dem Impfstoff zugesetzte Wirkverstärker das Problem. Möglicherweise haben nach Angaben der Forscher auch gleichzeitige bakterielle Infektionen die Kreuzreaktivität ausgelöst.
Den Daten zufolge erkrankte etwa eines von 15.000 mit Pandemrix geimpften Kindern an Narkolepsie. Insgesamt könne der Impfstoff einige tausend Narkolepsie-Fälle in Europa ausgelöst haben, teilt die Stanford School of Medicine mit. Das Forscherteam um Mignot und Mellins will nun genauer ergründen, wie die T-Zellreaktion zum Untergang der Hypocretin-Neuronen führt - und ob sich dieser Prozess stoppen lässt.
Die Studie wurde unter anderem von Pandemrix-Hersteller GlaxoSmithKline sowie von Jazz Pharmaceutical, dem Produzenten eines Narkolepsie-Medikaments, finanziert. Drei der Studienautoren haben ein Patent eingereicht, das sich auf die Narkolepsie-Diagnose bezieht.

Was ist die Schlafstörung Narkolepsie?Wie gehen Betroffene damit um?Eine Betroffene erzählt aus ihrem Alltag.