Seuchensimulation Biowaffen-Anschlag könnte mehrere Kontinente treffen

Computersimulation: Die Grafik zeigt die Wahrscheinlichkeit für Ausbrüche zum Zeitpunkt der Entdeckung des Angriffs (oben) und zwei Wochen danach (unten)
Foto: NatureEin Angriff mit nuklearen oder chemischen Waffen auf eine Großstadt hätte grausige Folgen - aber wenigstens wäre schnell klar, womit man es zu tun hat. Eine Attacke mit Biowaffen dagegen ist wesentlich heimtückischer: Ein Infizierter kann den Erreger lange mit sich herumtragen, bevor die Krankheit ausbricht und bis dahin viele weitere Menschen anstecken. Bis die Behörden dahinter einen Angriff erkennen, können Tage oder gar Wochen vergehen.
In dieser Zeit kann sich die Krankheit überraschend weit verbreiten, wie eine Studie jetzt ergeben hat. Bisherige Untersuchungen besagten zwar, dass westliche Städte relativ gut auf einen Terroranschlag mit Biowaffen vorbereitet wären, schreiben Alessandro Vespignani von der Northeastern University in Boston (US-Bundesstaat Massachusetts) und seine Kollegen im Fachblatt "Scientific Reports" . Allerdings seien dabei oft die Folgen menschlicher Bewegungsmuster außer Acht gelassen worden.
Und die können entscheidend sein, betonen Vespignani und sein Team. Die Wissenschaftler sind in ihrem Modell von zwei unterschiedlichen Szenarien ausgegangen. Im ersten haben sich fünf Terroristen absichtlich mit dem Pockenvirus infiziert und sich dann so lange wie möglich durch London bewegt. Im zweiten Szenario berechneten die Wissenschaftler, was geschähe, wenn zehn Bewohner der Metropole ohne ihr Wissen mit dem Virus infiziert werden.
Rasende Verbreitung über mehrere Kontinente
Die Ergebnisse waren in beiden Fällen ähnlich - und änderten sich auch dann kaum, wenn die Forscher statt London eine andere Stadt auswählten, etwa Paris oder New York: Der Erreger verbreitete sich mit rasender Geschwindigkeit. "Bevor die Freisetzung überhaupt erkannt wird, kann es zu Ausbrüchen auf mehreren Kontinenten kommen", heißt es in der Studie. Innerhalb von nur zwei Wochen wären demnach große Teile Europas mit hoher Wahrscheinlichkeit betroffen. Das gleiche gilt für Metropolen in den USA, in Arabien, Asien und Afrika (siehe Grafik).
Die Gegenmaßnahmen, die sich in früheren Simulationen als wirksam erwiesen hätten - ein schnelles Erkennen des Angriffs, die sofortige Einleitung von Impfungen und die Nachverfolgung von Kontakten -, seien bei einem solchen Szenario kaum ausreichend, schreiben Vespignani und seine Kollegen. Für besonders bedenklich halten sie die mögliche Verbreitung der Krankheit in ärmeren Länder, die weder über effektive Quarantänemöglichkeiten noch ausreichende Impfstoffmengen verfügen.
Die Forscher betonen, dass ihre Berechnungen eher konservativ seien. So würden Mediziner, die die Opfer des Terroranschlags behandeln, zunächst wahrscheinlich gar nicht darauf kommen, dass es sich um eine Pockeninfektion handelt - bis sich die ersten unmissverständlichen Symptome zeigten. Deshalb würden bis zum Erkennen der Epidemie vermutlich noch weitere Tage ins Land gehen.
Warum aber haben die Forscher ausgerechnet die Pocken gewählt? Schließlich gilt die Krankheit seit 1980 als ausgerottet; der Erreger existiert seitdem nur noch in zwei Hochsicherheitslabors in den USA und Russland, zumindest offiziell.
Vespignani und seine Kollegen räumen zwar ein, dass ein Terrorangriff mit den Pocken ziemlich unwahrscheinlich ist. Andererseits sei der Erreger für Terroristen eine verlockende Waffe, da in der Bevölkerung 30 Jahre nach dem Ende der Impfkampagnen kaum noch ein Immunschutz bestehen dürfte. Zudem sind die Pocken hoch ansteckend und äußerst tödlich: Ohne Behandlung sterben etwa 30 Prozent der Infizierten. Ein weiteres Argument für die Pocken als Basis für die Berechnungen sei, dass sie häufig auch in Computermodellen zur Vorbereitung auf Bioterrorismus mit anderen Erregern eingesetzt würden.
Die Studie könnte allerdings auch eine gute Nachricht enthalten: Die Angreifer können kaum kontrollieren, wen sie treffen. "Sie glauben vielleicht, dass sie nur das ursprüngliche Zielgebiet schädigen", sagte Vespignani der Nachrichten-Website "Defense One". Aber die Krankheit werde sich "leicht und schnell über die ganze Welt verbreiten", womöglich auch ins Heimatland der Terroristen. "Wenn man diese Art Waffe benutzt", sagt Vespignani, "gibt es keinen Sieger - das steht fest."