Stammzellen Forscher werfen Kollegen Türsteher-Methoden vor

Stammzellen: Heiß umkämpfte Forschung - auch mit unlauteren Mitteln?
Foto: JOHN BAZEMORE/ APDie Forschung an Stammzellen ist eines der heißesten Gebiete der Biologie. Auf den Zellen lasten so hohe Erwartungen für die Zukunft der Medizin, dass jeder Fortschritt schnellen Ruhm und satte Forschungsgelder verspricht. Manch einer erliegt der Versuchung und fälscht seine Ergebnisse - wie etwa der Koreaner Hwang Woo-Suk vor wenigen Jahren.
Doch auch wenn Hwang ein extremer Einzelfall war: Der Wettbewerb ist hart, der Erfolgsdruck groß - so groß, dass offenbar auch mit unlauteren Mitteln gekämpft wird. 14 Stammzellforscher um Austin Smith, Direktor des Center for Stem Cell Research an der University of Cambridge, üben nun in einem offenen Brief an die Chefredakteure der Fachzeitschriften Systemkritik. Ihr zentraler Vorwurf: Gutachter bei wissenschaftlichen Fachmagazinen würden die Veröffentlichung wichtiger Arbeiten ihrer Konkurrenten verzögern oder gar blockieren. Zudem führe der starke Konkurrenzdruck zwischen den Magazinen dazu, dass fehlerhafte oder minderwertige Arbeiten veröffentlicht würden - aus Angst, eine Arbeit an die Konkurrenz zu verlieren.
Bei den Unterzeichnern handelt es sich nicht etwa um frustrierte Außenseiter. Unter ihnen befindet sich auch Shinya Yamanaka. Dem Japaner von der Universität Kyoto gelang im Jahr 2007 ein ganz großer Wurf, als er zum ersten Mal Körperzellen in Stammzellen verwandelte und damit die Forschung von ihrer ethischen Problematik befreite. Seitdem genießt Yamanaka in der Fachgemeinde Star-Status.
Der Gutachter könnte Konkurrent sein
Das System wissenschaftlicher Publikationen basiert auf Selbstkontrolle, die von Fachmagazinen wie "Nature" und "Science" organisiert wird. Will ein Forscher eine Arbeit veröffentlichen, wird sie von der Redaktion zunächst einigen Gutachtern vorgelegt - den sogenannten Peers. Ihr Urteil entscheidet maßgeblich, ob die Arbeit veröffentlicht wird oder nicht. Je bekannter ihr Name ist, desto mehr Einfluss haben sie in der Regel.
Das Problem beim Peer-Review-Prozess aber ist, dass die Gutachter selbst aktive Forscher sind - und damit eventuell Konkurrenten desjenigen, dessen Arbeit sie begutachten sollen. So könnten sie womöglich ihre Position missbrauchen, um missliebige Veröffentlichungen zu verzögern oder sogar zu verhindern. Eine unauffällige Methode ist, weitere Experimente beim Autor anzufordern. Das kostet Zeit, die möglicherweise dem Gutachter selbst oder einem Mitarbeiter aus seinem Labor zugute kommt, der eine ähnliche Arbeit publizieren will. Genau das kritisieren Smith und die anderen Forscher jetzt in ihrem offenen Brief.
"Tatsächlich kommt es immer mal wieder vor, dass man etwas hört - aber so etwas lässt sich schwer belegen", sagt Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Der Grund: Die Gutachter bleiben anonym. Der Beurteilte erfährt nie, wer seine Arbeit geprüft und ob er mit einem ablehnenden Urteil womöglich Eigeninteressen verfolgt hat. Ein anderer deutscher Stammzellforscher, der nicht genannt werden will, berichtet SPIEGEL ONLINE von regelmäßigen Fällen verhinderter oder verzögerter Publikationen. Seiner Meinung nach ist das eine ernste Sache.
Campbell: Keine "privilegierte Clique" von Gutachtern am Werk
Philip Campbell, Chefredakteur des Fachmagazins "Nature", verteidigte den Ruf seines Magazins: "Es ist die Pflicht eines Redakteurs zu gewährleisten, dass Verzögerungen minimiert werden", sagte Campbell der BBC. "Und wir arbeiten nicht mehr mit Gutachtern zusammen, die Verzögerungstaktiken anwenden - aus welchen Gründen auch immer."
Das aber bezweifeln Smith und die anderen Kritiker. Es seien immer die gleichen Gutachter, die zu Rate gezogen würden, sagten sie der BBC. Und das Wort eines namhaften Gutachters werde oft zu stark gewichtet. Campbell weist das zurück: "Im letzten Jahr haben wir 400 Gutachter im Bereich Stammzellforschung und Entwicklungsbiologie herangezogen. Und wir rekrutieren ständig neue. Die Vorstellung, dass dort eine privilegierte Clique am Werk ist, ist durchweg falsch."
Tatsächlich begutachten bei "Nature" immer drei Gutachter eine eingereichte Arbeit, erklärt Schöler. Die Redakteure seien meist gut mit dem Thema vertraut und achteten darauf, dass die Gutachter nicht in direkter Konkurrenz zu dem Forscher stehen, dessen Arbeit sie bewerten sollen.
Smith und seine Kollegen regen in dem Brief an, den Review-Prozess transparenter zu gestalten: So sollen die Gutachten und der Schriftverkehr zwischen Peers und Fachmagazin-Redakteuren als Zusatzmaterial zu den Arbeiten veröffentlicht werden. Selbstverständlich unter Wahrung der Anonymität.