Verheerende Pandemie Forscher analysieren historische Berichte über Spanische Grippe

Nachgezüchtete Viren der Spanischen Grippe: Nicht für alles verantwortlich
Foto: A9999 DB Centers for Disease Control and Prevention/ dpaEin Virus, mehrere Krankheitswellen und 50 Millionen Tote weltweit: Die Spanische Grippe war die Schlimmste der Pandemien, und es wird sich ihrer immer wieder bedient, wenn es um die Rechtfertigung von Notfallplänen und Impfkampagnen geht. Es könnte ja alles so kommen wie damals, 1918/19. Immer wieder ist diese Warnung derzeit in Zusammenhang mit der Schweinegrippe zu hören, unter anderem vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI).
Doch was ist vor 90 Jahren eigentlich genau passiert? Könnte es sich wirklich wiederholen? Obwohl es bereits zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen dazu gibt, sind noch immer viele Fragen offen.
Tom Jefferson und Eliana Ferroni von der internationalen Cochrane Collaboration haben nun das frisch digitalisierte Archiv des renommierten Fachblatts British Medical Journal (BMJ) nach zeitgenössischen Artikeln über die Spanische Grippe durchforstet. 55 Veröffentlichungen zwischen Juli 1918 und Oktober 1920 haben die Wissenschaftler ausgewertet.
"Wir haben versucht, diese Pandemie mit den Augen der zeitgenössischen BMJ-Autoren zu betrachten", so Jefferson und Ferroni. "Denn wir glauben, dass manche der damaligen Beobachtungen und aufgeworfenen Fragen vielleicht auch für die derzeitige Pandemie wichtig sind."
Eine Pandemie darf nicht vereinfacht werden
So fiel den Ärzten damals zum Beispiel auf, dass Krankheitsfälle der Spanischen Grippe zu Beginn oft sporadisch und anscheinend unabhängig voneinander an mehreren Orten gleichzeitig auftraten. Dies solle auch für die Schweinegrippe-Pandemie untersucht werden, schreiben Jefferson und Ferroni, denn so könnten möglicherweise wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie sich Influenza-Viren verbreiten.
Auch die bei einigen Volksgruppen extrem hohen Todesraten konnten die Cochrane-Autoren anhand der Dokumente näher analysieren. Manchmal stießen sie auf einfache Gründe: So beschreibt ein Militärarzt auf Samoa 1918 wie die Einheimischen mit hohem Fieber regelmäßig ins Meer stiegen, um sich abzukühlen. Die Folge war oft: Lungenentzündung. Und in Lappland, berichtet ein zeitgenössischer Mediziner, seien die Kranken in isolierten Hütten praktisch sich selbst überlassen worden.
Jefferson und Ferroni fanden auch eine Impfstudie aus der Zeit, in der ein Arzt mit einer Mischung aus drei verschiedenen Bakterienimpfstoffen gegen den damals noch unbekannten Erreger der Spanische Grippe impfte - mit Erfolg: Komplikationen und Todesfälle der eigentlich durch ein Virus verursachten Influenza sanken signifikant. Dieses Ergebnis hielt auch der Überprüfung durch die Cochrane-Autoren stand.
Das Fazit der Forscher: Die Spanische Grippe sei "weit mehr als nur eine Sache von 'ein Erreger verursacht eine Krankheit'" gewesen. Sie warnen davor, die damalige wie auch die heutige Pandemie zu vereinfachen. Zumindest 1918/19 hätten neben dem Influenza-Virus wahrscheinlich auch noch andere Erreger und Einflüsse eine Rolle gespielt.