Vorsorge-Untersuchung Augenärzte distanzieren sich von eigenem Angebot

Zuerst protestierten die Augenärzte - jetzt geben sie den Kritikern Recht: Als nutzlos und unnötig bewerten sie die Messung des Augeninnendrucks zur alleinigen Früherkennung eines Grünen Stars. Die Messung sei ein Kunstfehler.
Blick ins Auge (Archivbild): Erhöhter Innendruck im Auge kann zu Problemen führen

Blick ins Auge (Archivbild): Erhöhter Innendruck im Auge kann zu Problemen führen

Foto: Michael Hanschke/ picture-alliance/ dpa

Hamburg - "Zuerst kommen einige Tröpfchen ins Auge, dann ein paar Lichtimpulse. Das tut alles nicht weh", so erklärt eine Augenärztin ihrer Patientin die gleich folgende Früherkennungsuntersuchung. Gemessen werde der Druck im Auge. Sei der zu hoch, zerquetsche dies förmlich den Sehnerv.

Das klingt drastisch, trifft aber zu: Ein erhöhter Augeninnendruck kann zum Entstehen eines Grünen Stars (Glaukom) und letzlich auch zur Erblindung führen. Augeninnendruck-Messungen sind immer dann sinnvoll, wenn bereits ein Verdacht besteht, dass eine Erkrankung vorliegt. In diesem Fall werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt.

In seinem neu gestarteten "Monitor"  hatte der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) bewertet, die Ärzte anbieten und die Patienten selbst zahlen müssen. Der Augeninnendruckmessung zur Vorsorge - also ohne Verdacht auf eine Erkrankung - wurde ein "tendenziell negatives" Zeugnis ausgestellt.

Wie SPIEGEL ONLINE berichtete, hatten die Experten festgestellt, dass die Methode einen Grünen Star nicht zuverlässig vorhersagen oder diagnostizieren kann. Der Bundesverband der Augenärzte (BVA) protestierte: Derart negative Bewertungen würden Menschen von der wichtigen Vorsorge abhalten, sie könnten unnötig erblinden. Doch nun hat der BVA umgedacht: Er stimmt der Kritik zu. Und schnürt gleich ein ganzes Vorsorge-Paket.

"Richtig ist, dass die Augendruckmessung allein noch keine Aussage zum Krankheitsbild ermöglicht, vielmehr steht der Sehnerv, genauer dessen Veränderung, im Mittelpunkt des Geschehens", sagt Verbandssprecher Georg Eckert. "Die isolierte Tonometrie, also die Druckmessung, wird von keinem Augenarzt in Deutschland angeboten und wird durch den BVA als Kunstfehler bezeichnet. Denn damit würde ein Glaukom bei ungefähr jedem zweiten Glaukompatienten übersehen."

Für jeden Augenarzt sei die Beurteilung des Sehnervs von überragender Bedeutung, sagt Eckert, auch dieser werde untersucht. Lediglich in der breiten Öffentlichkeit werde oft vereinfachend von der Augendruckmessung gesprochen.

Einziges Problem: Das scheinen weder die Patienten und auch längst nicht jeder Arzt zu wissen. Und niemand kann nachprüfen, ob Augenärzte wirklich immer beide Leistungen anbieten.

Augeninnendruck deutet nicht zwangsläufig auf Grünen Star hin

"Nach unseren Erkenntnissen wird die Messung des Augeninnendrucks in vielen Fällen allein durchgeführt", sagt Monika Lelgemann, Expertin für Methodenbewertung des MDS. Ob tatsächlich immer ein "Paket" angeboten wird, lässt sich nicht überprüfen, schließlich handelt es sich um eine individuelle Gesundheitsleistung. Der Patient bezahlt den Arzt direkt, was der genau getan hat, wird nicht zentral erfasst.

Der Augenarztverband schickte nach Bekanntwerden der IGeL-Kritik auf SPIEGEL ONLINE jedenfalls direkt eine Notiz an alle Mitglieder, in der diese auf die Wichtigkeit der zusätzlichen Sehnerv-Beurteilung hingewiesen wurden.

Erhöhter Augeninnendruck und Glaukom haben weniger miteinander zu tun als man noch vor wenigen Jahren annahm, berichten die Experten des Medizinischen Diensts: So haben ein bis zwei von vier Glaukom-Patienten keinen erhöhten Augeninnendruck. Und umgekehrt bekommen die meisten Patienten mit erhöhtem Augeninnendruck später kein Glaukom.

Ein erhöhter Augeninnendruck kann also entweder ein Risikofaktor sein oder ein Krankheitssymptom - ein Risikofaktor, wenn noch kein Glaukom erkennbar ist, ein Krankheitssymptom, wenn auch andere Indizien auf ein Glaukom hindeuten.

Der Medizinsche Dienst untersucht zurzeit bereits die zusätzliche Begutachtung des Sehnervs. "Wir haben mit der Innendruckmessung begonnen, da diese auch in der von den Augenärzten selbst immer wieder zitierten Leitlinie an erster Stelle genannt wird", sagt Monika Lelgemann. Auch das spreche dafür, dass eben auch die Begutachtung des Sehnervs (Optimetrie) allein angeboten werde.

Der Druck wird meist mit der Goldmann-Methode gemessen

Die Leitlinie sei von ausgesprochen fraglicher Qualität und entspreche nicht den von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften und der Bundesärztekammer abgestimmten Qualitätskriterien, sagt Lelgemann.

Wie aber erkennt nun ein Patient, ob der Augenarzt bei ihm sowohl Augeninnendruck als auch Sehnerv untersucht? BVA-Sprecher Eckert weicht aus. "Da gibt es verschiedenen Methoden", sagt er. Nach mehreren Nachfragen zählt er dann einige Möglichkeiten auf.

Den Druck würden die meisten Ärzte mit der Goldmann-Methode ermitteln. Ein Messkörper wird auf das Auge gelegt, dann die Kraft gemessen, die benötigt wird, um die Hornhaut zu verflachen. Andere Ärzte arbeiteten beispielsweise mit Lichtimpulsen. Der Sehnerv wiederum werde meist mit einem sogenannten Ophthalmoskop gemessen.

Grundsätzlich sei wichtig zu unterscheiden, wann die Innendruck-Messung durchgeführt werden sollte. Es gehe nicht um eine generelle Verteufelung der Methode, sagt Monika Lelgemann. "Eine Augeninnendruckmessung ist immer dann sinnvoll, wenn ein Anhalt besteht, dass eine Erkrankung vorliegt." Und in diesem Fall bezahlen dann auch die Krankenkassen die Messung - und nicht der Patient.

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